Die politischen Urgesteine Konrad Adenauer und David Ben-Gurion haben sich in ihrem Leben nur zwei Mal gesehen. Und dennoch verband diese beiden Staatsmänner eine ganz besondere Freundschaft. Entgegen aller Widerstände, auch in den eigenen Ländern, war es ihnen gelungen, ein tiefes und belastbares Vertrauensverhältnis aufzubauen. „Wie kann es sein, dass zwei Menschen, die so unterschiedlich sind, die so unterschiedliche Wege gegangen sind, die unterschiedliche Temperamente haben, unterschiedliche Prioritäten setzen und eine unterschiedliche Sichtweise vertreten, sich in so kurzer Zeit so augenscheinlich nahekommen konnten?“, fragt Michael Borchard in der Einleitung zu seinem Buch „Eine unmögliche Freundschaft. David Ben-Gurion und Konrad Adenauer“.
Ähnliche Charakterzüge
Um Antworten zu finden, hat der Politikwissenschaftler die Freundschaft der beiden Männer ausführlich untersucht. Dabei stellt er charakterliche Ähnlichkeiten fest: Beide bewiesen außergewöhnliche Durchsetzungskraft, Improvisationstalent und Kreativität.
Zunächst erzählt Borchard die Lebenswege Adenauers und Ben-Gurions als Parallelgeschichten. Er beleuchtet die frühen Beziehungen des Deutschen zum Judentum, seinen Einsatz als Kölner Oberbürgermeister für ein gutes Miteinander von Juden und Christen in der Stadt, sein Plädoyer für den Zionismus. Adenauer bekundet offen seine Sympathie für das Judentum und ist dadurch Hasspropaganda und Diffamierung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Es folgen Morddrohungen, die Absetzung als Oberbürgermeister und schließlich die Flucht nach Berlin. Dort gerät Adenauer in finanzielle Schwierigkeiten.
Später schreibt Adenauer über diese Zeit, die einzigen, die ihm aus dieser Notlage geholfen hätten, seien Juden gewesen. Borchard zitiert hier unter anderem aus Adenauers niedergeschriebenen Lebenserinnerungen sowie aus Aufzeichnungen des Publizisten Hans-Peter Schwarz. Nach Kriegsende versucht Adenauer als neu eingeführter Bürgermeister von Köln, an die guten Beziehungen zum Judentum vor dem Krieg anzuknüpfen. Unter anderem organisiert er Rücktransporte aus Konzentrationslagern nach Köln.
Ben-Gurions Weg nach Palästina
Borchard zeichnet auch Ben-Gurions Lebensweg nach. In Polen als David Grün geboren befasst dieser sich bereits in jungen Jahren mit Zionismus und Sozialismus. Später arbeitet er eine Zeit in Palästina, nimmt dann in Istanbul das Studium der Rechte auf. Er wird jedoch ausgewiesen, geht nach Ägypten, von wo aus es ihn nach Amerika verschlägt. Dort lernt er seine Frau Paula kennen. Als Familie wandern sie nach Ende des Ersten Weltkriegs in das nun britische Mandatsgebiet Palästina ein.
Früh erkennt Ben-Gurion, der seinen Namen hebräisiert hat, die Notwendigkeit, eine Wehrpflicht der Juden in Palästina zu etablieren. Im Ausland wirbt er um Spendengelder für den „zionistischen Haushalt“. 1945 bis 1946 reist er drei Mal in das zerstörte Deutschland und ermutigt Juden zur Einwanderung nach Palästina.
Borchard beleuchtet in seinem Buch auch Ben-Gurions Verhältnis zu Deutschland. Er geht der Frage nach, wie stark der Holocaust die Politik des Staatsgründers beeinflusste. Als Quellen dienen ihm unter anderem die Biographie des israelischen Historikers Tom Segev über Ben-Gurion sowie Werke des 2017 verstorbenen deutschen Zeithistorikers Hans-Peter Schwarz.
Der Autor gibt ferner Einblicke in die vorsichtige Annäherung zwischen Deutschland und Israel Anfang der 1950er Jahre. Ausführlich geht er auf die Widerstände und Bedenken ein, denen sich Ben-Gurion beim Thema Wiedergutmachungsleistungen von Deutschland in der Knesset und auch bei der Bevölkerung gegenübersah.
Historischer Moment: Das erste Treffen
Anschaulich beschreibt Borchard das historische erste Treffen von Adenauer und Ben-Gurion am 14. März 1960 im New Yorker Nobelhotel Waldorf Astoria. Da Adenauer (84) der Ältere ist, kommt der 73-jährige Ben-Gurion dem Wunsch des Deutschen nach und begibt sich von seiner Suite im 37. Stock zu Adenauer in die 35. Etage. Eine Geste, in der die israelische Presse den Versuch der Deutschen sieht, ihre Vormacht unter Beweis stellen zu wollen. Adenauers Sekretärin Anneliese Poppinga schreibt über diese Begegnung später: „Beide strahlten Herzlichkeit aus. Die Sympathie, die beide füreinander empfanden, war offensichtlich.“
Borchard gewährt Einblicke in die historische Konversation, deren vertraulicher Teil nach anderthalb Stunden endete. Dabei sei auffällig gewesen, dass auf der Tagesordnung des Vieraugengesprächs zwei Themen fehlten, die Gegenstand von Diskussionen zwischen den beiden Staatsmännern hätten sein müssen. So sei nicht über die antisemitischen Vorfälle gesprochen worden, die sich in Deutschland auffällig gehäuft hatten. Auch der Wunsch Israels nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen kam bei dem Gespräch nicht auf den Tisch.
Das Treffen war geprägt von einer außergewöhnlich freundschaftlichen Atmosphäre. Ein Journalist der israelischen Zeitung „Ma’ariv“ erklärte später gegenüber Ben-Gurion, Fernsehzuschauer in Israel hätten sich dadurch gestört gefühlt, dass es wie „ein Treffen voller Freundschaft und Zuneigung“ ausgesehen habe.
Proteste in Israel
Begleitet war die Zusammenkunft von Protesten auf israelischer Seite. So war im Parlament vom „brutalen Missbrauch des Gedenkens an unseren ermordeten Brüdern“ und einer „historischen Schande“ die Rede. International machte das Treffen hingegen großen Eindruck.
Auch die zweite Begegnung der beiden Politiker nimmt Borchard unter die Lupe. Im Mai 1966 reist Adenauer auf Einladung Ben-Gurions nach Israel. Seinem Besuch verleiht er privaten Charakter und baut damit seinen Gastgebern eine Brücke. Denn diese haben schwierige protokollarische Fragen zu bewältigen: Bei der Ankunft darf die deutsche Nationalhymne nicht gespielt, die deutsche Flagge nicht gehisst werden.
Borchard überliefert Momentaufnahmen von Zeitzeugen und berichtet von dem „Mordskrach“, zu dem es nach einer Rede des damaligen israelischen Premiers Levi Eschkol bei einem Abendessen gekommen war. Dennoch spricht Adenauer rückblickend von der Reise als einem „der ernstesten und schönsten Augenblicke meines Lebens“.
Wissenschaftlich fundiert, dennoch spannend zu lesen
Die Reise endete mit einem Besuch bei Ben-Gurion in der Wüste Negev. Adenauer schrieb über den Aufenthalt im jüdischen Staat später: „Ich habe hier in Israel tiefere seelische Erschütterungen empfunden als in vielen Phasen meines Lebens. Ich wünsche dem israelischen Volk, dass es diese Kraft und Willensstärke beibehält und dass es immer solche Führer hat, wie Ben-Gurion einer ist, der in der ganzen Welt bekannt und geehrt und gefeiert ist.“
Borchard ermöglicht mit seinem Buch den Lesern einen tiefgründigen Einblick in das Leben und Denken der beiden Staatsmänner. Fachlich fundiert, detailreich und dennoch spannend beleuchtet er diesen wichtigen Abschnitt deutsch-israelischer Geschichte. Zitate aus Briefen und Tagebucheinträge der Protagonisten verleihen dem wissenschaftlichen Essay eine lebendige und persönliche Note. Dazu tragen auch der kleine Bildteil am Ende des Buches mit Schwarz-Weiß-Fotografien sowie die Vorworte der Enkel der beiden Staatsmänner Yariv Ben-Elieser und Konrad Adenauer ihren Teil bei.
Michael Borchard: „Eine unmögliche Freundschaft – David Ben-Gurion und Konrad Adenauer“, Herder, 384 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-451-38275-8