Benjamin Netanjahu hatte auch diesen Wahlkampf wieder ganz darauf ausgerichtet, sich selbst als „rechts“ darzustellen und vor einer linken Regierung zu warnen. Links, das sind für den Mann, der Israel ununterbrochen seit nunmehr 10 Jahren lenkt, alle, die nicht mit ihm koalieren wollen – zuvörderst natürlich sein Herausforderer Benny Gantz, aber seit dem am Dienstag zu Ende gegangenen Wahlkampf vor allem auch ein anderer: Avigdor Lieberman.
Lieberman ein Linker? Hierzulande ist der ehemalige israelische Verteidigungsminister und auch einstige Büroleiter Netanjahus unter ganz anderen Schlagworten bekannt: Hardliner, Ultra-Nationalist, Ultra-Rechter, Rechtspopulist. Wie man auch immer zu diesem Labeling stehen mag, klar ist jedenfalls: Lieberman kennt man dafür, dass er die Todesstrafe gerne einführen würde und für eine härtere Linie gegenüber der Israel seit Jahren terrorisierenden Hamas eintritt. Linke Forderungen sind das nicht.
Lieberman ist keinem Block zuzuordnen
Und dennoch weigert sich der Chef der Partei „Israel Beitenu“ kategorisch, noch einmal in eine Koalition mit den ultra-orthodoxen und rechts-religiösen, von ihm auch als „messianisch“ bezeichneten Parteien einzutreten. Eine solche Regierung hatte das Land bis zuletzt – allerdings seit Ende 2018 ohne Lieberman – geführt. In Deutschland wurde diese Regierung gerne als „die rechteste Regierung in der Geschichte Israels“ bezeichnet. Man würde denken, dass dies nach dem Geschmack Liebermans sein müsste.
Doch auch wenn die Fernsehsender des Landes am Dienstag nach den Prognosen sofort auch die beiden „Blöcke“, den linken und den rechten, mit ihrer jeweiligen Sitzzahl einblendeten: Diese Kategorien, die auf die Situation der vergangenen Wahlperiode gepasst haben mögen, haben sich in Israel in diesem Wahlkampf völlig überholt. Dies wurde nicht nur darin deutlich, dass die Sender Lieberman weder dem einen, noch dem anderen Block zuordnen konnten, eben weil er eine Beteiligung an einer rechts-religiösen Regierung ausgeschlossen hat.
Eine Linke gibt es kaum noch
Auch die Behauptung, es gebe einen linken „Block“ unter Führung von Benny Gantz, ist zweifelhaft. Gantz konnte sich zu keinem Zeitpunkt des Wahlkampfes auch nur den Hauch einer Hoffnung machen, eine Mitte-Links-Regierung zu bilden. Israels Linke ist geradezu pulverisiert. Laut den jüngsten Hochrechnungen kommen jene Parteien, die man als tatsächlich links bezeichnen könnte – das Demokratische Lager und die Arbeitspartei, die sich allerdings mit der eher mitte-rechts ausgerichteten Gescher-Partei zusammengetan hatte – gerade Mal auf 11 der insgesamt 120 Sitze. Schaut man sich das Ergebnis in Prozenten an, wirkt es noch übler: Beide Listen werden zusammen wohl kaum über 10 Prozent der Stimmen bekommen haben.
Den ehemaligen Armeechef Gantz mit seinem blau-weißen Bündnis kann man indes nicht als genuin links bezeichnen. Gantz lässt sich sicherheitspolitisch von Netanjahu kaum unterscheiden. Zu einem Friedensprozesses mit den Palästinensern hat er sich zwar bekannt, aber ansonsten keine wirklich konkreten Aussagen dazu gemacht. Freilich nimmt er gesellschaftspolitisch liberalere Haltungen als Netanjahu ein, etwa wenn es um den Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel am Schabbat oder den Umgang mit Homosexualität geht. Auf Platz 3 der blau-weißen Liste zieht Mosche Ja’alon in die Knesset ein, ein einstiger Likud-Politiker und Verteidigungsminister, der vielen Linken zumindest früher als Falke galt.
Konfliktline zwischen Säkularen und Religiösen spaltet die Rechte
Das alles zeigt vor allem eines: Die Konfliktlinien lassen sich in Israel dieser Tage nicht einfach allein zwischen links und rechts nachzeichnen. Eine gewichtige Rolle spielte in diesem Wahlkampf etwa auch die Konfliktlinie zwischen nationalreligiösen und säkularen Vorstellungen. Und als Rechter kann man sowohl religiös – dafür stand der große Teil des „Jamina“-Bündnisses –, als auch säkular sein – so wie Lieberman. Dem gelang es als „radikaler Säkularer“ mit seiner Anti-Charedi-Kampagne – sein Slogan war: „Israel wieder normal machen“ –, diese Konfliktlinie zu einer der wichtigsten im Wahlkampf zu machen. Am Ende profitierte er davon, indem er die Sitzzahl seiner Partei „Israel Beitenu“ nahezu verdoppeln konnte. Gleichzeitig spaltete er damit das rechte Lager. Ausbaden könnte das am Ende Netanjahu.
Das blau-weiße Bündnis, dessen Chef Gantz inhaltlich in vielen Themenbereichen blass geblieben ist, profitierte indes von einer anderen Konfliktlinie, die schon die Wahl im April geprägt hatte: „To Bibi or not to Bibi“, für oder gegen Netanjahu, den Langzeitpremier, der nicht nur um sein politisches Überleben kämpft, sondern auch um seine persönliche Freiheit. Im Oktober droht ihm endgültig eine Korruptionsanklage.
Einheitsregierung als Antwort?
Die jetzige Situation, in der kein „Block“ eine Mehrheit hat, ist die logische Folge der zwar keinesfalls neuen, aber von Lieberman bewusst forcierten Spaltung des rechten Lagers auf der einen, und der Schwäche der israelischen Linken auf der anderen Seite. Eine denkbare Antwort darauf wäre die Bildung einer Großen Koalition von Likud und Blau-Weiß. Dafür müsste allerdings – und hier beginnen die Spekulationen – einer der beiden Benjamins über seinen Schatten springen: Wäre dieser eine Netanjahu, wäre dies gleichbedeutend mit seinem Rückzug aus der Regierungspolitik. Nur so könnte er die letztlich wohl einzige wirkliche Bedingung von Blau-Weiß für eine Koalitionsbildung erfüllen. Kaum vorstellbar.
Oder Gantz müsste sein Versprechen aufgeben, nicht mit Netanjahu in einer Regierung zu sitzen. Damit allerdings würde er seine Wähler verraten, von denen die meisten ihm wohl nicht in erster Linie deswegen ihre Stimme gegeben haben, weil er Benny Gantz heißt – sondern weil er der Anti-Netanjahu war. Klar ist also bereits zu diesem Zeitpunkt: Wenn das Land nicht in einer dauerhaften Blockade verharren soll, wird mindestens eine Seite ein zentrales Wahlversprechen brechen müssen. Dies gälte auch für alle anderen theoretisch denkbaren Konstellationen, etwa die Rückkehr Liebermans in den Schoß Netanjahus. Aber: Ein Bruch von Wahlversprechen wäre vielen Wählern letztlich wohl sogar lieber, als schon in wenigen Monaten erneut an die Wahlurnen schreiten zu müssen.
Von: Sandro Serafin