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Dialog mit einem Taxifahrer

Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz in den Medien, einen Taxifahrer oder Friseur tunlichst nie zu zitieren. Beide pflegen unmittelbaren Kontakt zu allen Schichten der Bevölkerung. Dennoch gelten sie als schlechte Quelle, weil sie es bestens verstehen, dem Kunden nach dem Mund zu reden. Eine Beobachtung von Ulrich W. Sahm.
In dem Jerusalemer Viertel Abu Tor leben Araber und Juden streng voneinander getrennt
Wie von seiner Firma telefonisch angekündigt, stand der Taxifahrer innerhalb von fünf Minuten vor dem Jerusalemer Supermarkt, um schwere Taschen voller Kartoffeln, Zwiebeln, Büchsen und Kleinkram für mich nach Hause zu befördern. Da noch ein Umweg zur Bank anstand, gab es eine gute Gelegenheit für einen ausführlichen Plausch. In der hierzulande typisch direkten Art fragte ich den Taxifahrer nach seinem Namen. Grundsätzlich wird immer nur der Vorname angegeben: „Muhammad“*. Damit verriet er nicht nur seinen Wohnsitz im „israelisch besetzten“ Ostjerusalem, sondern auch seine Identität als Araber und noch dazu seine Religionszugehörigkeit. Arabisch-christliche Taxifahrer oder ihre jüdischen Kollegen propagieren ihre Identität oft mit einem Kreuzchen oder einem Amulett mit dem „Tefilat HaDerech“ (Jüdisches Gebet bei Reisen und Fahrten außerhalb der Stadt) am ? Rückspiegel. Auf die Frage nach seinem Wohnort antwortete Muhammad: „In Abu Tor, direkt an der Grenze“. Also einem arabischen Viertel, das während der jordanischen Besatzung mit einer stacheldrahtbewehrten Grenze mitten durch das Dorf geteilt war. Im Kopf der Bewohner gibt es die Grenze in dem zur Hälfte von Juden bewohnten Viertel bis heute. Man kann sie sogar sehen. Wo der arabische Teil beginnt, mehren sich die Schlaglöcher in der Straße und die Müllbehälter laufen über, weil sich die Stadtverwaltung nicht kümmert. Sowie Muhammad „Ihr“ sagt und damit einen israelischen Juden meint, weil wir das Gespräch in bestem Hebräisch führen, stelle ich mich auf Arabisch vor: „Ana Sahafi Almani“ (Ich bin ein deutscher Journalist). So kann er auch mich in die richtige Schublade packen. Ich bin weder Feind, noch Israeli oder sonst Partei im Nahostkonflikt. Muhammad lacht fröhlich. „Toll, dann erklär du mir mal den Nahostkonflikt und die Lage hier, sozusagen von Außen, als Unbeteiligter.“

„Bibi unterscheidet sich kaum von seinen Vorgängern“

Wir beginnen mit israelischer Innenpolitik. „Die spinnen. Vor einem halben Jahr gab es hier demokratische Wahlen, aber die Medien, Politiker und andere wollen nicht akzeptieren, dass Bibi (Benjamin Netanjahu) gesiegt hat“, behaupte ich. Muhammad antwortet spontan: „Du hast recht. Meine meisten Kunden wollen keinen Frieden. Die sind für die Regierung. Ich verstehe diesen Hass auf Bibi in den israelischen und arabischen Medien und bei vielen Politikern nicht. Der Bibi unterscheidet sich doch kaum von seinen Vorgängern.“ Ich fühle Muhammad weiter auf den Zahn: „Würdest du in die palästinensischen Autonomiegebiete umziehen und in Nablus oder Hebron leben?“ Etwas zögerlich antwortet er: „Wenn ich dort ein gutes Geschäft hätte, schon.“ Dank der Erfahrung ähnlicher Gespräche mit zahllosen anderen arabischen Taxifahrern aus Ostjerusalem kontere ich: „Ich kenn dich ganz genau. Du hast einen israelischen Ausweis und einen jordanischen Pass. Du genießt die israelische Sozial- und Krankenversicherung. Hast also alle Vorteile eines Israeli und denkst nicht daran, nach ‚Palästina‘ zu gehen.“ Muhammad lacht laut. „Du kennst dich aber verdammt gut aus und hast recht. Die Arbeitslosigkeit drüben, das total korrupte Regime, das Chaos mag ich alles nicht.“ Wohlgemut fahre ich fort: „Du hast sogar demokratische Rechte. Du bist wahlberechtigt zum palästinensischen Parlament.“ Muhammad lacht wieder: „Aber das Parlament ist doch vor elf Jahren aufgelöst worden. Das gibt es gar nicht mehr. Und mit deren Tricks zählen die meine Stimme ohnehin nicht mit. Aber ich erinnere mich, gewählt zu haben.“

„Wie siehst du die Zukunft des Nahen Ostens?“

Muhammad ist also über 30, denn die letzten Wahlen zum palästinensischen Parlament fanden 2006 statt. Heute haben der Wahlsieger – die Hamas – sowie das jetzige Regime unter Präsident Mahmud Abbas jegliche demokratische Legitimation verloren. „Sag mal, wer wird eigentlich Nachfolger von Abbas? Saeb Erekat, Muhammad Dahlan, Dschibril Radschub?“ Muhammad lacht höhnisch. „Die sind doch alle ein korruptes Pack. Schau dir deren Paläste an, während das Volk hungert.“ Fast am Ziel angelangt, wird er plötzlich ernst: „Du stehst über den Dingen und gehörst nicht dazu. Wie siehst du die Zukunft des Nahen Ostens?“ Ich antworte ihm vorsichtig: „Einen palästinensischen Staat wird es nie geben, weil die Palästinenser ihn gar nicht wollen. Denn dann müssten sie Verantwortung für sich selber übernehmen. Die arabische Welt befindet sich in einem Zustand der Auflösung. Niemand kann vorhersehen, wo das hinführt.“ Vor meiner Haustür steigt Muhammad aus, um meine schweren Taschen die Treppe herunterzutragen. Andere Taxifahrer bleiben hierzulande an ihrem Steuerrad. Dabei erzähle ich ihm die „Lösung“, von der einst ein einflussreicher Journalist aus den palästinensischen Gebieten „geträumt“ hatte: „Als Araber wünsche ich, dass die Jordanier zurückkehren. Als Journalist wünsche ich mir die Israelis hier.“ Muhammad lacht sich schief und krumm. „Genial“. Er reicht die Hand zum Abschied und sagt auf Englisch: „You made my day“ (Du hast meinen Tag gerettet). Die Fahrtkosten werden in Israel mit elektronischem Taxameter gemessen und mit ausgedruckter Quittung auf den Schekel genau abgerechnet. Das üppige Trinkgeld hatte er sich voll verdient. (uws) *Der echte Vorname liegt „www.audiatur-online.ch“ vor, wo dieser Beitrag zuerst erschien.

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