Offenbar keine Einsicht: 288 Tweets sind es seit November 2018, als der Diplomat Christian Clages seinen Dienst in der deutschen Auslandsvertretung in Ramallah aufgenommen hat. Eine überschaubare Zahl, sollte man meinen. Doch angesichts des Skandals im Juli und der anschließenden öffentlichen Entschuldigung des Auswärtigen Amtes zeigt sich, wie verheerend die Twitter-Bilanz der diplomatischen Vertretung in Ramallah ist.
Mitte Juli wurde über Social Media und Presse bekannt: Die Deutsche Vertretung in Ramallah „likt“ auf Twitter antisemitische und anti-israelische Kommentare. Nachdem sogar die „Bild“-Zeitung darüber berichtet hatte, entschuldigte sich das Auswärtige Amt. Für alle Auslandsvertretungen wurden die Sicherheitshinweise zum dienstlichen Auftritt in den sozialen Medien geschärft und aktualisiert. „Darin wird insbesondere klargestellt, dass auch ‚Likes‘ als Meinungsäußerung der Bundesregierung verstanden werden und daher ebenfalls mindestens im Vieraugenprinzip geprüft werden müssen“, heißt es in der Stellungnahme des Auswärtigen Amts.
Der deutsche Gesandte in Ramallah, Christian Clages, verkündete am 30. Juli öffentlich auf Twitter: „Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, dass eine Reihe von antisemitischen Nachrichten über diesen Account angenommen wurde. Wir lehnen solche Botschaften nachdrücklich ab. Wir entschuldigen uns aufrichtig und werden sicherstellen, dass dieses Fehlverhalten in Zukunft nicht wiederholt werden kann.“
Die beanstandeten „Likes“ sind seitdem tatsächlich verschwunden. Doch der deutsche Spitzenbeamte verantwortet nach wie vor Retweets, die in Ton und Inhalt eines Diplomaten unwürdig sind.
Hamas mit israelischer Regierung gleichgesetzt
Anfang Mai, nach einem Wochenende mit über 700 Raketen aus Gaza und Toten auf beiden Seiten, wird nicht etwa eine von mehreren Stellungnahmen der Bundesregierung geteilt, in denen der Terror gegen die Zivilbevölkerung scharf verurteilt wurde. Unser Mann in Ramallah teilt stattdessen einen französischen Text, einen Text der UN. Dann verbreitet er zum krönenden Abschluss ein Statement der Geschäftsführerin der Organisation Gischa, in dem behauptet wird, dass beide Seiten, also sowohl die Hamas als auch die israelische Regierung, unter der „Torheit“ eines „moralisch ruderlosen Führers“ stünden.
So many civilians have paid, are paying and will pay the price for the folly of morally rudderless leaders plunging an entire region into war. There aren't just "two sides," there are multiple ways this can end and not all of them promise war on millions of people.
— Tania Hary (@taniahary) 5. Mai 2019
Man stelle sich vor, Herr Clages würde bei einem offiziellen Termin Herrn Netanjahu mit den Worten begüßen: Schalom, „dummer“, „moralisch ruderloser“ Premierminister.
Aber nicht nur Israelis werden von dem deutschen Diplomaten beleidigt. In einem Retweet wird offenbar auch summarisch das Personal der amerikanischen Botschaft als „Fucker“ diffamiert, ohne dass der Spitzendiplomat es für nötig hält, sich zumindest von der Wortwahl zu distanzieren.
Thread.
— Daniel Seidemann (@DanielSeidemann) 1. März 2019
For those who love Jerusalem and it history, recent and no so, and for those devoted to the US, Israel and Palestine (yes, it’s possible to all three) this is a profoundly sad and poignant moment.
1/ https://t.co/LlP7F3eH9M
Zweifellos gehört es zu seinen Aufgaben als quasi Botschafter, gute Verbindungen mit führenden Persönlichkeiten in seinem Amtsbereich zu halten. Doch es fragt sich, ob er bei gewissen Figuren nicht auch eine professionelle Distanz wahren könnte. Etwa zu Issa Amro, der als „prominenter Aktivist“ gilt und wegen seines Widerstandes gegen Israel von einschlägigen Organisationen in der Welt unterstützt wird. Es stellt sich heraus, dass Amro mehrfach verhaftet worden ist, von israelischen Militärs und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die er regelmäßig kritisiert. Clages schreckt nicht davor zurück, als Unterstützer Amros eine Beendigung polizeilicher Ermittlungen gegen ihn zu fordern. Das ist wohl eine inakzeptable Einmischung in ein rechtsstaatliches Verfahren. In keinem Land könnte sich ein fremder Botschafter ein derartiges Vorgehen erlauben.
I have been summoned to go to the Israeli police today. I don't know what for – there is zero justice under military occupation so in a sense it is irrelevant what the summons is for.
— Issa Amro عيسى عمرو
I hope not to be taken into custody and will update you all
Amro, der sich beklagt, dass er in Israel nicht wählen dürfe, „erklärt“ schon auch mal einem Terror-Opfer, dessen Vater durch palästinensische Attentäter ermordet wurde, dass die PA lediglich „Sozialhilfe“ für die Familien auszahle, die „ihren Vater wegen der Besatzung“ verloren hätten. Dass eine Familie nur dann Geld bekommt, wenn der liebe Papa vor seinem Tod oder seiner Verhaftung zum Judenmörder wurde, erwähnt Amro nicht.
TWO MILLION DOLLARS TO MURDER MY DAD. I made this video to ask the Palestinian leadership a simple question: Why are you paying millions of dollars to the terrorist who murdered my dad? Can’t you find a better use for that money? Share to help keep my father's memory alive. pic.twitter.com/QYEC0U4KKh
— Micah Avni | מיכה אבני
Und auch Aussagen von Issa Amro, dass „die Besatzung (Israel) der Feind der Bildung in Palästina ist“, retweetet der deutsche Botschafter:
Occupation is the enemy of education in Palestine
Es geht bei der im Tweet genannten Schule im Übrigen um den Abriss ungenehmigter Bauten. Clages hätte sich auch mal zu den Schulbüchern in palästinensischen Schulen äußern können, die von der UNO wegen Antisemitismus beanstandet worden sind. Doch das sind alles Themen, die er nicht anrührt. Stattdessen barmt er wegen „schwieriger Lebensbedingungen unter der Blockade“.
Alumni meeting in Gaza with DAAD and our colleague Ullrich Kinne. They returned to the strip after many years of German university studies. Admirable work as doctors, engineers, professors. Our bridge to Gaza and important source about difficult living conditions under blockade. pic.twitter.com/E04PTvKXWx
— Germany in Ramallah (@GerRepRamallah) 11. Januar 2019
Terror nicht erwähnt
Dass Grenzzäune und Checkpoints eine Folge des Terrors sind, wird bei Clages konsequent „vergessen“. Auch zur Distanzierung von Mustafa Barghuti sieht Clages offenbar keinen Grund. Barghuti kandidierte einst gegen Mahmud Abbas und ist ein „gern gesehener“ Propagandist, der Israel als Apartheidstaat hinstellt – oder von einer rassistischen israelischen Regierung spricht.
Israeli decision to ban #Tlaib_Omar visit proves that #Israel is not a democracy, has a racist government and afraid of exposing its #human_rights violations against #Palestinians.
— Mustafa Barghouti @Mustafa_Barghouti (@MustafaBarghou1) 15. August 2019
Barghuti zählt auch zu den expliziten Unterstützern der Israelboykott-Bewegung BDS, die der Bundestag kürzlich als „antisemitisch“ verurteilt hat. Nichtsdestotrotz beruft Clages sich positiv auf ihn.
Farewell of Beyhan Senturk, Head of Friedrich Ebert Foundation in East Jerusalem, Ramallah, Gaza. Years of great energy and inspiration! Mustafa Bargouthi praised her on behalf of Palestinians and other friends alike. We will miss her! pic.twitter.com/8m2D5xQeNn
— Germany in Ramallah (@GerRepRamallah) 23. Januar 2019
In Gabriels Fußspuren
Fragen wirft auch die Nähe des deutschen Vertreters zu der israelischen Organisation B‘Tselem auf. Typisch ist die Wiedergabe einer Statistik von B‘Tselem zu der Zahl verhafteter Palästinenser durch Israel. Wer nur die Zahlen von Verhafteten weiterverbreitet, ohne die Verhaftungsgründe zu erwähnen, der sollte sich fragen, wie es um sein eigenes Rechtsverständnis bestellt ist. Denn auch in Deutschland gilt es als Straftat, Felsbrocken auf Autofahrer zu schleudern, Menschen zu erstechen oder andere Terroranschläge zu verüben.
Wegen eines Treffens mit den Organisationen B’Tselem und Breaking the Silence hatte der vorige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel seinen Antrittsbesuch beim israelischen Premierminister Netanjahu platzen lassen und eine Krise zwischen Israel und Deutschland heraufbeschworen. Es fragt sich daher, ob die Pflege dieser Kontakte Teil des Arbeitsauftrags des deutschen Botschafters ist.
#Occupation365 – Updates from the West Bank routine: Between Nov. 24 and Dec. 7, Israeli security forces arrested at least 110 Palestinians, including 13 minors; made at least 241 raids on towns and villages; raided at least 127 homes; and set up at least 126 flying checkpoints. pic.twitter.com/tgOyHZJ91B
— B'Tselem בצלם بتسيلم (@btselem) 19. Dezember 2018
Natürlich zählt es zu den Pflichten eines Botschafters, die Großstädte in seinem Gastland zu besuchen und dann auch die Bürgermeister zu treffen. Doch wenn er das im Falle von Hebron dann an die Öffentlichkeit weitergibt, hätte er vielleicht im Nebensatz erwähnen können, dass sein Gespächspartner Tajsir Abu Sneine ein verurteilter Massenmörder ist, der nur dank eines Gefangenenaustausches wieder auf freiem Fuß steht.
EU Heads of Mission in Hebron yesterday: The situation is worrying. Meetings with the Governor, the City, the Chamber of Commerce and at Shjarat Aldor Basic Girls School. pic.twitter.com/8Lb1LU0aXw
— Germany in Ramallah (@GerRepRamallah) 20. März 2019
Falschbehauptungen über Christen in Bethlehem
Weiter behauptet Clages, dass die Christen aus Bethlehem von den israelischen Siedlungen und Mauern erstickt werden.
Xmas procession in Bethelem before the arrival of Apostolic Administrator of Jerusalem Pierbattista Piazzaballa (nomen est poem!). The city is alife and vibrant, in spite of suffocation risks through walls and settlements. pic.twitter.com/Yij44ZNIO5
— Germany in Ramallah (@GerRepRamallah) 25. Dezember 2018
Tatsache ist, dass die christlichen Gemeinden in der Geburtsstadt Jesu bis zum Abzug der Israelis 1994 blühten. Erst mit dem Einzug Arafats flüchteten viele Christen nach Israel oder nach Südamerika. Nur in privaten Gesprächen kann man dann auch von Schikanen der Moslems gegen die wenigen verbliebenen Christen erfahren, darunter das Verbrennen von Bibeln, Mord oder die Beschlagnahmung von christlichen Häusern und Grundstücken durch Moslems, die inzwischen die Mehrheit stellen. Noch vor hundert Jahren war die Stadt fast ausschließlich von Christen bewohnt.
Angesichts dieser diplomatischen Gesamtbilanz fällt es schwer, Clages‘ Begeisterung über die Freude der Palästinensischen Autonomiebehörde angesichts der hohen Transferleistungen aus Deutschland uneingeschränkt zu teilen.
Thank you, Germany, for donating €9.5 million to the oPt Humanitarian Fund, making Germany’s contribution the largest single allocation received by the Fund since its inception. @CBPFS #InvestinHumanity pic.twitter.com/WXhLeWSQQT
— OCHA oPt (Palestine) (@ochaopt) 8. Juli 2019
Für den Hinweis auf die Tweets der deutschen diplomatischen Vertretung in Ramallah danken wir dem Twitter-Nutzer @KonLex09.
Zu den Autoren: Elisabeth Lahusen ist Redakteurin bei „ILI – I like Israel“ und lebt in Bremen und Jerusalem. Ulrich W. Sahm ist Nahostkorrespondent und lebt seit 50 Jahren in Jerusalem.