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Deutsch-jüdischer Schriftsteller startet Hungerstreik

BERLIN (inn) - Der deutsch-jüdische Journalist und Schriftsteller Peter Finkelgrün will aus Protest gegen das Berliner Entschädigungsamt "unbefristet fasten". Am 9. November, dem Gedenktag für die "Reichskristallnacht" von 1938, will der Kölner am Stelen-Feld des Berliner Holocaust-Mahnmals die Begründung für seinen Hungerstreik öffentlich machen.

Das Entschädigungsamt ist verantwortlich für die Versorgung politisch, rassisch oder religiös verfolgter Opfer des Nationalsozialismus, abgekürzt PrVG. Bei Finkelgrün wurden körperliche und psychische Schäden als Folge seiner traumatischen Erlebnisse als Kleinkind im jüdischen Ghetto Shanghai diagnostiziert. Seine von den Nazis verfolgten Eltern waren dorthin geflüchtet. 1942 kam Finkelgrün in dem Ghetto zur Welt.

Das Amt verweigerte dem Schriftsteller erstmals 1969 die Zahlung der Medikamente und Krankenhausaufenthalte mit dem Argument: „Es sei zu bedenken, dass der Antragsteller als Säugling im Ghetto Shanghai überhaupt noch nicht über eine derartige Bewusstseinslage verfügte, dass er überhaupt hätte neurotisch reagieren können.“ Heute heißt es, dass Finkelgrüns Herzinfarkt „zeitnah“ zur Schädigung als Kleinkind hätte stattfinden müssen.

Am 23. Oktober 2009 schrieb Finkelgrün an den Leiter der Entschädigungsbehörde Jürgen Raabe: „Beamte des NS-Systems haben meine ersten Lebensjahre beschädigt, indem sie den Willen des Gesetzgebers umgesetzt haben. Beamte der demokratischen Bundesrepublik verbittern mir meine letzten Lebensjahre, indem sie den Willen des Gesetzgebers nicht umsetzen.“

Nazi-Verfolgte im Geschäftsbericht als „Produkt mit Stückpreis“ bezeichnet

Im Geschäftsbericht 2008 werden die wesentlichen Leistungsdaten und Ergebnisse der „wirkungsorientierten ganzheitlichen Steuerung des Amtes“ dargelegt, mitsamt einem „Zahlenteil für die wichtigsten Produkte“. Die Zahl der „kompetent und flexibel“ behandelten „Kundinnen und Kunden“ dieser Behörde mit „strategischem Zielfeld“ nahm im Zeitraum von 2004 bis 2008 rapide von 7165 auf 5500 ab.

Die „Nazi-Verfolgten“ sind laut einer 2006 erschienenen Statistik der Behörde ein „Produkt“ mit „Stückpreis“. Finkelgrün moniert, dass er kein Einzelfall sei, der aufgrund der „Wirtschaftlichkeit bei diesem Produkt“ von der Hilfe für Geschädigte des Nazi-Regimes ausgeschlossen worden war. „Dazu gehört es durchaus, Verfahren auf die lange Bank der Rechtsprechung zu schieben, wobei Alter und Krankheitsstand der Berechtigten unberücksichtigt bleiben. Ihr Ableben während des zermürbenden  Kampfes um ihre Rechte wird offenbar in Kauf genommen“, schreibt er dem Behördenchef. „Ich habe ein Jahrzehnt meines Lebens gebraucht, um den Mörder meines Großvaters vor Gericht zu bringen. Ich will nicht die letzten Jahre meines Lebens damit verbringen, gegen das Fehlverhalten Ihrer Behörde anzugehen.“

Israelisches Theaterstück über Mörder des Großvaters

Seit 1980 erforschte Finkelgrün das Schicksal seines Großvaters. Dieser war im Gestapo-Gefängnis „Kleine Festung Theresienstadt“ nahe Prag vom SS-Oberscharführer Anton Malloth ermordet worden. Häftlinge nannten den Massenmörder „Schöner Toni“. Finkelgrün klagte erfolglos bei der „Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund“ gegen Malloth. Im Mai 2000 griff die Staatsanwaltschaft München den Fall auf. Das Landgericht München verurteilte Malloth wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft. Malloth starb 2002.

Die Recherchen zu diesem Fall dokumentierte Finkelgrün in seinen autobiographischen Büchern „Haus Deutschland. Die Geschichte eines ungesühnten Mordes“ und „Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung“. Der israelische Dramatiker Jehoschua Sobol verarbeitete die Geschichte zum Theaterstück „Schöner Toni“. 1998 drehte Dietrich Schubert einen Film mit dem Titel „Unterwegs als sicherer Ort“ über Finkelgrün.

Beinahe Eklat bei Pressetermin in Tel Aviv

1981 wurde der Schriftsteller als Korrespondent der „Deutschen Welle“ nach Israel entsandt. Kurz vor einem offiziellen Besuch von Bundeskanzler Kohl teilte der Presseattaché der deutschen Botschaft in Tel Aviv mit, dass wegen „Platzmangels“ nur die „entsandten“ und nicht die „ortsansässigen“ Korrespondenten zu dem Staatsessen zu Ehren Kohls eingeladen würden. Obgleich von der Deutschen Welle „entsandt“, stand Finkelgrün nicht auf der Einladungsliste. In Anwesenheit Finkelgrüns und einem Dutzend Journalisten entfuhr es dem Diplomaten: „Aber der ist doch Jude.“ Um einen Eklat zu vermeiden, sorgte der deutsche Botschafter dafür, dass dennoch alle deutschen Journalisten, ungeachtet ihres „Status“ oder ihrer Religionszugehörigkeit, zu dem offiziellen Termin eingeladen wurden.

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