Kinder in Israel sprechen heute selbstverständlich Hebräisch. Die Sprache ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Einwanderer erhalten kostenlosen Unterricht, die Israelis der zweiten Generation denken dann schon auf Hebräisch. Als der vor 100 Jahren verstorbene Sprachwissenschaftler Elieser Ben-Jehuda 1881 nach Palästina kam, das damals zum Osmanischen Reich gehörte, sah die Situation völlig anders aus: Juden sprachen Arabisch und Jiddisch, Deutsch und Russisch, aber kein Hebräisch. Der Zionist war hingegen davon überzeugt: Wenn es einen jüdischen Staat geben soll, müssen die Bürger Hebräisch als gemeinsame Sprache haben.
Elieser Jitzchak Perlman wurde am 7. Januar 1858 im heute belarussischen Luschki geboren. Sein Vater starb früh, ein Onkel nahm sich seiner an und schickte ihn im Alter von 13 Jahren auf eine Talmudschule (Jeschiva) in der belarussischen Stadt Polozk. Dort traf er auf einen Dozenten, der ein Anhänger der jüdischen Aufklärung (Haskala) war. Dieser „Maskil“ brachte ihm entgegen den damaligen Gepflogenheiten hebräische Grammatik bei. Damit legte er unwissend einen Grundstein für das spätere Wirken seines Schülers, der Hebräisch als Umgangs- und Literatursprache wiedererwecken würde. Dem Onkel allerdings war die Haskala zuwider. Als er von dem unbotmäßigen Treiben des Lehrers erfuhr, musste Elieser die Jeschiva wieder verlassen.
Dieser nahm 1878 ein Medizinstudium in Paris auf – um Juden in Palästina helfen zu können. Ein Jahr später veröffentlichte er zum ersten Mal einen Artikel unter dem Namen Elieser Ben-Jehuda, den er nach seiner Einwanderung offiziell annehmen sollte. In dem Beitrag ging es um die Auferweckung der hebräischen Sprache. Eine Tuberkulose-Infektion, die ihn für den Rest seines Lebens einschränken sollte, zwang ihn zum Abbruch des Studiums.
Auswanderung nach Jerusalem
Im Jahr 1881 heiratete Elieser in Kairo eine junge Frau, deren Familie ihn nach dem Verlassen der Jeschiva aufgenommen hatte: Debora Jonas. Das Ehepaar ließ sich in Jerusalem nieder – und bildete den ersten hebräischen Haushalt seit der Antike. Bis dahin war Hebräisch der Liturgie und dem schriftlichen Austausch von Gelehrten vorbehalten. Die beiden bekamen fünf Kinder. Zehn Jahre nach der Hochzeit starb Debora mit 36 Jahren an Tuberkulose. Drei Kinder erlagen kurz darauf einer Diphtherie-Erkrankung.
Elieser heiratete Deboras jüngere Schwester Bella, die ihren Vornamen in Hemda änderte. Nach der Hochzeit in Istanbul erfuhr sie die Bedingung: Sie dürfe mit ihrem Mann nur Hebräisch sprechen, seine Kinder könnten keine andere Sprache verstehen. Hemda fügte sich, lernte binnen sechs Monaten Hebräisch und schrieb später auch Zeitungsartikel. Unter anderem veröffentlichte sie die erste Modekolumne in der Sprache, die so viele Jahrhunderte lang kaum gesprochen worden war. Das Paar bekam vier Kinder. Nachkommen leben heute vor allem in Israel und den USA.
Ausdrücke für neuzeitliche Erfindungen
Mit seinen Plänen stieß Elieser Ben-Jehuda in der ultra-orthodoxen Gemeinschaft auf Ablehnung. Strenggläubige Juden warfen ihm vor, die heilige Sprache zu profanisieren – und übersahen dabei, dass sie in biblischer Zeit zum Alltag gehört hatte. Der Pionier ließ sich nicht beirren, auch fand er immer mehr Gleichgesinnte. Er schuf Ausdrücke für neuzeitliche Erfindungen wie die Zeitung, die er aus dem biblischen „et“ für „Zeit“ und der Endung „-on“ zu „iton“ zusammensetzte.
Für das Speiseeis nahm er die aramäische Wurzel „g.l.d.“, „gefrieren“, und bildete „glida“. Beim Wort für Puppe half ihm Hemda: Von der deutschen Vokabel und dem bayerischen Ausdruck „Bube“ leitete sie das hebräische „buba“ ab – das bis heute eine Puppe bezeichnet. Jerusalemer witzelten, Hemda schreibe für jedes neugeschaffene Wort einen eigenen Zeitungsbeitrag.
Wörterbuch als Lebenswerk
Neben der Wiedererweckung der hebräischen Sprache wurde das am Ende 16-bändige Wörterbuch mit einem ausführlichen Einleitungsband zu Ben-Jehudas Lebenswerk. Seine erste Wortneuschöpfung war „milon“ (Wörterbuch), wobei er „mila“ (Wort) mit einer aus dem Griechischen bekannten Endung versah. Bis dahin lautete der Ausdruck „sefer milim“ – „Buch der Wörter“. In das einsprachige Wörterbuch nahm er keine Fremdwörter auf. Für solche Fälle ersann er Ausdrücke, die aus einer hebräischen Wurzel stammten.
Bis heute arbeitet in dieser Weise die „Akademie für die Hebräische Sprache”, die aus einer von Ben-Jehuda gegründeten Kommission hervorging. Doch nicht immer setzen sich die Neuschöpfungen durch. So ist in Israel etwa häufiger von „internet“ die Rede als von „mirschetet“ (abgeleitet von „reschet“ – „Netz“).
Für das „Gesamtwörterbuch der alt- und neuhebräischen Sprache“ forschte der Pionier in europäischen Ländern und den USA, ließ sich Textbeispiele aus unterschiedlichen Epochen schicken. Der erste Band erschien 1909 bei Langenscheidt in Berlin. Das deutsche Vorwort verkündete frohgemut: „Das ganze Werk wird etwa 1914 fertiggestellt sein.“ Doch zwei Weltkriege und die Herrschaft der Nationalsozialisten brachten die Arbeit ins Stocken.
Sechs Bände erschienen zu Ben-Jehudas Lebzeiten in Berlin. Die folgenden veröffentlichten Hemda und der Sohn Ehud – ab dem neunten Band in Jerusalem – mit Hilfe zweier Wissenschaftler: Mosche Zvi Segal und vor allem Naftali Hertz Turschiner (Tur-Sinai). Der letzte Band kam 1959 heraus – 37 Jahre nach Eliesers und neun Jahre nach Hemdas Tod.
Lebensstationen
7. Januar 1858 Elieser Jitzchak Perlman wird in Belarus geboren
1871 Erste Begegnung mit hebräischer Grammatik in einer Jeschiva
1878 Medizinstudium in Paris, Abbruch wegen Tuberkulose
1879 Erstmals Autorenname Ben-Jehuda
1881 Hochzeit mit Debora Jonas in Kairo, Einwanderung nach Palästina
1882 Sohn Ben-Zion wird geboren – das „erste hebräische Kind“
1891 Debora stirbt mit 36 an Tuberkulose
1892 Hochzeit mit der Schwägerin Hemda in Istanbul
1909 Erster Band des Wörterbuches erscheint in Berlin
1922 Hebräisch wird dritte Amtssprache im Mandatsgebiet Palästina
16. Dezember 1922 Elieser Ben-Jehuda stirbt mit 64 in Jerusalem
1951 Hemda stirbt mit 78 in Jerusalem
1959 Der letzte Band des Wörterbuches erscheint
Einen großen Erfolg durfte Elieser Ben-Jehuda dennoch erleben: Kurz vor seinem Tod mit 64 Jahren erklärte die britische Mandatsregierung Hebräisch zur dritten Amtssprache in Palästina – neben Englisch und Arabisch. Das letzte Wort, mit dem sich der Sprachpionier befasste, bevor er am 16. Dezember 1922 seine Seele aushauchte, war „nefesch“ (Seele) – für den achten Band des einsprachigen Wörterbuches.
» Rivlin würdigt Hebräisch-Pioniere – und seinen Lehrer
» Experten: Englisch gefährdet hebräische Sprache
4 Antworten
Nefesch!
Dieser Artikel tut der Seele gut.
Toda raba@Redaktion
einfach wunderbar! Ich liebe die hebräische Sprache und finde es wunderbar, dass Ben Elieser die Sprache
auch als Umgangssprache modernisiert hat.
Das Bild mit dem Ehepaar und ihre Zusammenarbeit in Sachen Hebräisch als Landessprache entwickeln
ist für mich ein klassisches Beispiel für :
1Mo 2:18 ¶ Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin>>EZER machen, die ihm entspricht!
Der Name רזעילא ‘Eliy‘ezer ist ja ebenfalls sehr genial, denn dieser kranke Mann hat sich buchstäblich
seiner Aufgabe hingegeben und Gott war seine Hilfe; ansonsten wäre es sicher nicht zu diesem durchschlagenden Erfolg gekommen.
Eliezer, Abiel – im Hebräischen gibt es tolle Namen mit sinnvollen Bedeutungen für Juden und Christen. Abiel bedeutet: Gott ist mein Vater. (Wörtlich: Mein Vater ist Gott). Einfach ge-ni-al!