Stolz präsentiert sich Dr. Victor Batarseh als erster Bürgermeister Bethlehems, der in sein Amt gewählt wurde. Sein Vorgänger, Hanna Nasser, war noch von der Palästinensischen Autonomiebehörde ernannt worden. 2.690 Wählerstimmen konnte er auf sich vereinigen, mehrere Hundert mehr, als jeder seiner Konkurrenten – „und dann haben mich acht der fünfzehn Stadtratsmitglieder gewählt, darunter natürlich ich selbst“, lacht der 70-jährige Arzt: „Und so bin ich Bürgermeister der Geburtsstadt Jesu geworden.“
Der Bürgermeister von Bethlehem muss Christ sein. Und wenn er römisch-katholisch ist, muss sein Stellvertreter griechisch-orthodox sein. Das hat noch Jasser Arafat so festgelegt. Dass heute mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der einst christlich dominierten Stadt Muslime sind, spielt dabei keine Rolle. Bethlehem ist das Aushängeschild der Palästinensischen Autonomiebehörde gegenüber der christlichen Welt. Das ist entscheidend. Batarseh gehört zur Gemeinde der Katharinenkirche innerhalb des Geburtskirchenkomplexes.
Der schwarzbärtige Ibrahim empfängt Besucher und führt sie ins Audienzzimmer des Stadtvaters. Er gehört offensichtlich nicht zu einer christlichen Partei. Kleidung, Aussehen und Benehmen lassen darauf schließen, dass er zu einer der Gruppierungen gehört, deren Einzug ins Bethlehemer Stadtparlament am 5. Mai 2005 für einen Schock unter der christlichen und säkularen Bevölkerung gesorgt hat. Die radikal-islamischen Gruppen Hamas und Islamischer Dschihad konnten immerhin fünf von fünfzehn Sitzen für sich sichern.
Victor Batarseh gibt sich gelassen. „Ich bin nicht politisch“, erklärt der Vater von drei verheirateten Kindern, die mit seinen sieben Enkeln alle in den USA leben. Er hat eine beeindruckende medizinische Karriere vorzuweisen: Nach dem Abitur und Studium in Kairo betätigte er sich im medizinischen Corps der jordanischen Armee, bildete sich dann in London und Paris fort. Später kehrte er in seine Heimat zurück, leitete die HNO-Abteilung am mittlerweile geschlossenen Regierungshospital in Ostjerusalem, gehört seit 22 Jahren zum Aufsichtsrat der Bethlehemer Universität und hat sich in vielen Bereichen sozial engagiert.
Als „Sohn Bethlehems“ will er sich jetzt ganz unpolitisch für seine Stadt ins Zeug legen, die Verwaltung seines Vorgängers effektiver gestalten. Bethlehem soll schöner, für Touristen anziehender werden, „damit sie auch wieder über Nacht bleiben.“ Öffentliche Toiletten, eine Bibliothek, Parks und ein Schlachthof stehen auf dem Plan des Chirurgen. Und dann wird er doch politisch: „Unser größtes Problem sind die Finanzen. Wenn die Palästinensische Autonomiebehörde uns das Geld überweisen würde, das uns zusteht, hätten wir kein Defizit mehr.“
Überhaupt macht Victor Batarseh kein Hehl daraus, dass er Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) ist. Eigentlich steht er damit für das Recht des palästinensischen Volkes auf einen Staat in „ganz Palästina“, einschließlich der Gebiete, die schon vor 1967 zum Staat Israel gehört haben. „Aber das ist heute wohl kaum eine reelle Zielvorgabe“, meint der alte Herr im neuen Amt mit einem offenen Lächeln. Wenn es „dem Wohl Bethlehems dient“, ist er sogar bereit, mit den Israelis zu reden. Am Recht der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nach Israel, das für den demokratischen Judenstaat demographischer Selbstmord wäre, hält er allerdings eisern fest.
Im Blick auf Haltung und Aktionen seiner Organisation kennt er keine Reue. Die Flugzeugentführung 1976 in das ugandische Entebbe sieht er als gerechtfertigt, weil sonst die palästinensische Sache in Vergessenheit geraten wäre. Die Ermordung des israelischen Tourismusministers Rechavam „Ghandi“ Se´evi am 17. Oktober 2001 war eine Revanche dafür, dass Israel den PFLP-Generalsekretär Abu Ali Mustafa in seinem Büro in Ramallah durch eine Rakete ins Jenseits befördert hat. Und im Blick auf die grundsätzliche Ablehnung seiner Partei der Abkommen von Oslo meint Dr. Batarseh: „Wir haben Recht behalten, der Friedensprozess von Oslo hat uns überhaupt nichts gebracht!“
(Bild: Johannes Gerloff)