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Der ESC steht in den Startlöchern

Durch ihren Sieg beim Eurovision Song Contest 2018 in Portugal mit dem Lied „Toy“ hat die israelische Sängerin Netta Barzilai den Gesangswettbewerb für 2019 in ihr Heimatland geholt. Dort wird er vom 14. bis 18. Mai in der Veranstaltungshalle Expo in Tel Aviv ausgetragen. Bevor es losgehen kann, sind noch einige Hürden zu überwinden.
Das Gesangsduo „S!sters“ wird Deutschland im Finale des ESC in Tel Aviv vertreten

Zum Auftakt des Eurovision Song Contest in Israel haben sich die Delegationen aus den 41 Teilnehmerländern in Israel eingefunden. Bereits zum dritten Mal ist das Land Gastgeber für den ESC. Erstmals findet dieser jedoch nicht in Jerusalem, sondern in Tel Aviv statt. Seit Samstag sind dort die Tore des ESC-Dorfes geöffnet. Die internationale Veranstaltung steht dieses Jahr unter dem Motto „Dare to dream!“, also „Wage, zu träumen!“ Passend dazu erwarten die Fans des Wettbewerbs wieder einige aussagekräftige Songs aus vielen Ländern.

„Sisterhood forever!“

Für Deutschland treten in diesem Jahr die Sängerinnen Carlotta Truman und Laurita Spinelli als Duo unter dem Namen „S!sters“ an. Mit ihrem Song „Sister“ wollen sie für mehr Solidarität und Zusammenhalt unter Frauen werben. „Jede Frau auf dieser Welt ist eine Schwester“, sagte Laurita gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Es passieren so schöne Dinge, wenn Frauen zusammenarbeiten.“

Die 26-Jährige heißt eigentlich Laura Kästel und trat zuletzt als Background-Sängerin der ESC-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut („Satellite“) auf. Nachdem sie Carlotta singen gehört hatte, habe sie die Tour mit Lena „schweren Herzens“ abgesagt, um sich mit ihr zusammenzutun. Die 19-jährige Carlotta trat bereits als Kind als „Mini-Lena“ auf und war 2009 Finalistin in der Show „Das Supertalent“ und 2014 in „The Voice Kids“. Nun studiert sie in Hannover Musik, hat für ihre ESC-Teilnahme jedoch ein Urlaubssemester eingelegt. Wie sie in einem NDR-Interview mitteilte, seien die beiden schon in ihrer ersten gemeinsamen Woche „ultrakrass“ zusammengewachsen. Sie würden auf jeden Fall zusammenbleiben – egal, ob sie den ESC gewinnen oder nicht: „Sisterhood forever!“.

In Tel Aviv seien die Frauen sehr freundlich aufgenommen worden. Laurita beschreibt den Ort als „eine wunderschöne Stadt mit so offenen Menschen. Tatsächlich spürt man den ESC überall hier in der Luft, alle Menschen sind in Partystimmung“.

Wie funktioniert der ESC?

Am 14. und 16. Mai finden zwei Qualifikationsrunden, die Halbfinals, statt. Die jeweils besten zehn Kandidaten dieser Shows ziehen in das Finale am 18. Mai ein. Da Deutschland zu den größten Geldgebern der verantwortlichen „European Broadcasting Union“ (EBU) gehört, werden die „S!sters“ dank der sogenannten „Big Five“-Regel automatisch im Finale auftreten. Sicher sind außerdem die Vertreter der Länder Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien sowie Kobi Marimi („Home“), der Teilnehmer des Gastlandes Israel. Deutsche Fans dürfen jedoch schon beim zweiten Halbfinale abstimmen. Die per Telefon, SMS oder App abgegebenen Stimmen werden zu den Wertungen der jeweils nationalen Fachjurys addiert. Aus allem ergeben sich dann die Punktzahlen, die Deutschland an die anderen Teilnehmerländer vergibt. Maximal können so zwölf Punkte verteilt werden. Unter anderen besteht die deutsche Jury aus dem Vorjahres-ESC-Teilnehmer Michael Schulte und der Chansonsängerin Annett Louisan. Schulte bezeichnet seine Rolle als „ein weiteres Highlight in meinem Leben als ESC-Fan“, Louisan betont: „Der ESC steht für mich für Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz.“

Als Favoriten gelten der niederländische Sänger Duncan Laurence („Arcade“) und der Russe Sergej Lazarev („Scream“), der beim ESC 2016 in Stockholm bereits den dritten Platz belegte. Die „S!sters“ liegen bei Wetten im unteren Mittelfeld, ebenso Kobi Marimi.

Die erste Einzelprobe für den Gesangscontest fand am Freitag statt. Wie die israelische Zeitung „Jerusalem Post“ berichtet, sagte der zweite Produzent der Show, Yuval Cohen, alles sei „glatt und nach Plan verlaufen“.

Das israelische Supermodel Bar Refaeli wird die Veranstaltung dieses Jahr moderieren. Die 33-Jährige muss laut einem Gerichtsentscheid des vergangenen Sonntags umgerechnet rund zwei Millionen Euro Steuern nachzahlen. Die Steuerbehörde hatte Refaeli vorgeworfen, ihre millionenschweren Verdienste in Israel und im Ausland nicht vollständig angegeben und Promi-Vergünstigungen verschwiegen zu haben.

Boykott-Aufruf internationaler Künstler

Für die Austragung des ESC in Israel wurde die EBU scharf kritisiert. So erschien am 7. September 2018 unter anderen in der britischen Zeitung „The Guardian“ ein offener Brief der Bewegung „Boykott, Desinvestionen, Sanktionen“ (BDS). Darin riefen über 140 internationale Kulturschaffende zum Boykott der Veranstaltung in Israel auf. Einer der Hauptaktivisten des BDS ist Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters. „Der Eurovision 2019 sollte boykottiert werden, wenn er in Israel stattfindet, solange dessen schwerwiegenden, jahrzehntealten Verletzungen der Menschenrechte von Palästinensern andauern.“ So lautet die Forderung der Unterzeichner. Die EBU reagierte darauf ablehnend und konterte, bei dem Format gehe es um eine unpolitische Unterhaltungsshow, weshalb sie nicht von dem Austragungsland abweichen würde.

Auch die israelische Regierung reagierte. Sie quittierte den Boykott-Aufruf ihrerseits mit der PR-Kampagne „BDS“, wobei die Abkürzung in diesem Fall für „Beautiful, Diverse, Sensational“ (schön, vielfältig, sensationell) steht. Laut der israelischen Tageszeitung „Ha’aretz“ will die Kampagne erreichen, dass Suchanfragen nach „BDS“ im Internet nicht nur zu den Webseiten der Boykott-Organisation, sondern auch zu pro-israelischen Seiten führen.

Auch von Seiten der Künstler kam Gegenwind. „Es ist eine Bühne, auf der es egal ist, welches Geschlecht, welche Religion, welche Herkunft du hast, und auf der du als Gleicher unter Gleichen am Wettbewerb teilnehmen kannst“, bekräftigte die israelische Vorjahressiegerin Netta in einem dpa-Interview. Auch die deutsche ESC-Gewinnerin von 1982, Nicole, („Ein bisschen Frieden“), ist überzeugt: „Musik verbindet grenzüberschreitend.“ Das geschehe allein schon dadurch, dass man das Zeichen setze, den ESC stattfinden zu lassen. Carlotta Truman sagte nach ihrer Ankunft in Tel Aviv: „Man ist immer so abgeschottet von dem, was hier passiert, deshalb ist es gut, mal hier zu sein.“

Madonna in der Schusslinie

Auch die US-Sängerin Madonna wurde von den BDS-Aktivisten bedrängt. Sie sollte ihren Auftritt beim ESC absagen. Vor einigen Wochen bestätigten israelische Medien, darunter der TV-Sender „Kan“, der den ESC übertragen wird, dass die „Queen of Pop“ in der Final-Show des Wettbewerbs auftreten soll. Dort wird sie zwei Lieder performen. Eines davon soll ein bekanntes Stück sein, während das andere der offiziellen Eurovision-Website zufolge „einige Kopfschmerzen zu bereiten“ scheint, da es „politische Botschaften enthalten soll“.

Finanziert wird der Auftritt des Weltstars von dem israelisch-kanadischen Milliardär Sylvan Adams. Schon früher gab Adams das nötige Geld für verschiedene Sport- und Kulturveranstaltungen in Israel. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtet unter Berufung auf seinen Partner Ben Naim, der Geschäftsmann glaube, „dass die Teilnahme einer Künstlerin wie Madonna beim diesjährigen ESC für große Aufmerksamkeit nicht nur für die Veranstaltung selbst sorgen wird, sondern auch für die wunderbaren Menschen und die Schönheit des Staates Israel“.

Die Bitte an Madonna, nicht aufzutreten, wurde von verschiedenen Akteuren gestellt. Unter den Hashtags #madonnadontgo und #boycotteurovision2019 häuften sich die Aufrufe im Netz. Eine auf Instagram veröffentlichte Karikatur legt nahe, Madonna würde mit ihrem Auftritt Israel unterstützen, das die Menschenrechte von Palästinensern unterdrücke. Obwohl Madonnas Teilnahme, wie die „Jerusalem Post“ berichtet, noch nicht vertraglich geregelt oder von der EBU offiziell bestätigt worden sei, scheint es wahrscheinlich, dass die Pop-Diva am 18. Mai trotzdem auftreten wird. Unter anderen freut sich der Eurovision-Supervisor Jon Ola Sand schon auf ihren Auftritt.

Raketenangriffe wenige Tage vor der Show

Rund zwei Wochen vor dem ESC feuerten militante Palästinenser fast 700 Raketen auf israelische Ortschaften. Dabei wurden vier Menschen getötet. Bei israelischen Gegenangriffen kamen mehr als 20 Palästinenser ums Leben. Da die Veranstaltung zum Zeitpunkt der Angriffe unmittelbar bevorstand, werden diese auch als Angriff auf den ESC gesehen. Dessen Befürworter lassen sich jedoch nicht einschüchtern. „Jetzt erst recht“, kommentiert zum Beispiel die Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“.

Dennoch kursiert die Besorgnis, der ESC könnte zu einem Anschlagsziel werden. Der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, schloss in einem Interview der dpa zwar nicht aus, dass militante Palästinenser die Großveranstaltung nutzen könnten, um Verunsicherung zu erzeugen, aber: „Israel wird alles in seiner Macht Stehende tun, um solche Vorfälle zu verhindern und jegliche Beeinträchtigung dieser Veranstaltungen zu minimieren.“ Obwohl die Sicherheitsstandards in jedem Jahr außergewöhnlich hoch sind, wird es in Tel Aviv noch zusätzliche Maßnahmen geben. „Eine Sache, die Israel gelernt hat ist, in Zeiten von Bedrohungen einfach weiter zu leben“, sagte Issacharoff.

Zur Sicherung der Veranstaltung sollen diese Woche insgesamt rund 20.000 Polizisten im Einsatz sein. Eine NDR-Sprecherin bekundete vor der Abreise nach Israel, sie habe vollstes Vertrauen, dass die ESC-Verantwortlichen die Sicherheitslage in Zusammenarbeit mit den israelischen Behörden umfassend im Blick hätten und sie jederzeit richtig einschätzen könnten: „Wir gehen derzeit davon aus, dass der ESC ungestört stattfinden wird.“

Für den ESC gibt es in diesem Jahr noch viele unverkaufte Tickets. Das liegt jedoch wohl eher an den verhältnismäßig hohen Ticketpreisen als an der drohenden Gefahr, wie die Zeitung „Ha’aretz“ berichtet. Durch die hohen Kosten seien auch israelische Hotels gezwungen, ihre Preise für die kommenden Tage massiv zu senken. Insgesamt werden weniger Besucher erscheinen als erwartet.

Von: Henriette Stach

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