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Der befürchtete Flächenbrand in Nahost

JERUSALEM / MOSKAU (inn) - "Der Westen ist alarmiert, fürchtet einen Flächenbrand in Nahost." Solche Sätze stehen fast in jedem Aufsatz zu dem angeblich bevorstehenden israelischen Angriff auf das iranische Atomprogramm. Aus deutschen Medien erfährt man, dass in Israel darüber "laut nachgedacht" werde, obgleich in Israel selbst von diesem "lauten Nachdenken" nicht viel zu bemerken ist.

Bis ins letzte technische Detail wird in Europa spekuliert, wie sich der israelische Luftangriff gestalten werde. Während der Bau einer iranischen Atombombe bezweifelt wird, wird der israelische Wille, den Iran anzugreifen, als Tatsache in den Raum gestellt. Beigefügt wird stets auch der befürchtete "Flächenbrand in Nahost". Die Möglichkeit, dass der Iran seine offen ausgesprochenen Absichten ernst meint, Israel und die Juden bis zum Jahr 2014 physisch auszulöschen, wird übergangen. Man findet kaum Analysen, wie die Welt ohne Israel aussehen würde und ob das einen "Flächenbrand" zur Folge hätte.

Für die Flächenbrand-Theorie werden meistens nur herkömmliche Klischees einer Feindschaft zwischen Israel und arabischen Staaten herangezogen. Die Umwälzungen des "arabischen Frühlings" werden kaum oder gar nicht beachtet.

Russischer Durchblick

Ausgerechnet russische Experten wie Alexander Skakow scheinen da einen sachlicheren Durchblick zu haben als die meisten westlichen Analytiker. Skakow spekuliert, dass Israel, wenn überhaupt, erst nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar Assad den Iran angreifen würde. Das ist eine einsichtige Beobachtung. Denn die Vorstellung eines nahöstlichen Flächenbrandes ergibt nur einen Sinn, wenn neben dem Iran auch seine Verbündeten mitspielen.

Mit dem Wegfall des derzeitigen syrischen Regimes in Syrien würde es für die Hisbollah im Libanon und die Hamas im Gazastreifen eher eng werden. Vor allem die mit iranischen Raketen hochgerüstete Hisbollah wäre dann vom Nachschub aus dem Iran über Syrien abgeschnitten. Ob die voraussichtlich isolierte Hisbollah dann noch bereit wäre, zugunsten des Iran mit einem Krieg gegen Israel "Selbstmord" zu begehen, wird laut israelischen Beobachtern bezweifelt. Jetzt schon sei die Hisbollah wegen des ungewissen Ausgangs der Unruhen in Syrien vorsichtig geworden. Sie könnte deshalb aus Eigeninteresse auch zum Iran auf Distanz gehen. Gleiches gilt für die Hamas. Die klagt schon über finanzielle Engpässe, weil Gelder aus dem Iran ausbleiben.

Die demokratische Machtergreifung der Moslembrüder und der noch radikaleren Salafiten in Ägypten könnte zusätzlich den palästinensischen Moslembrüdern, der Hamas, die Hände binden. Solange die neuen Herrscher in Kairo aus pragmatischen Erwägungen kein Interesse haben, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen, dürften sie ihren Brüdern im Gazastreifen kein grünes Licht geben, durch "legitimen Widerstand" etwa mit Raketenbeschuss die Front gegen Israel anzuheizen.

Stille Bündnisse

Der russische Experte Skakow erwähnt andere Entwicklungen, die sonst bei Spekulationen rund um einen israelischen Angriff auf den Iran kaum beachtet werden. Spätestens seit dem Libanonkrieg 2006 gegen die schiitische Hisbollah verwandelte sich Israel zum stillen Verbündeten der arabischen Emirate am Persischen Golf und Saudi-Arabiens. Weil diese sunnitischen Staaten auf einen Sieg Israels gegen den schiitischen Verbündeten des Iran im Libanon hofften, drängte die Arabische Liga 2006 nicht zu einem sofortigen Waffenstillstand. Die USA boten den Saudis und anderen verbündeten arabischen Staaten Waffenlieferungen im Wert von Dutzenden Milliarden Dollar an, damit diese sich gegen eine mögliche iranische Aggression besser schützen könnten. Im Juli 2011 äußerte Israel angeblich keine Bedenken gegen die Lieferung deutscher Panzer an Saudi-Arabien. Es ist offenkundig, dass sich die Kräfteverhältnisse, die Interessen und die stillen Bündnisse im Nahen Osten geändert haben.

Laut der Prognose von Skakow werden "Georgien, die Türkei und Israel sowie einige Golf-Monarchien, unter anderem Saudi-Arabien und Katar, zur Anti-Iran-Koalition gehören". Die Feindseligkeit zwischen Schiiten und Sunniten steckt tiefer, als die traditionelle Kriegslust gegen Israel und die ohnehin nur vorgeschobene Solidarität mit den Palästinensern.

Iranische Drohung betrifft vor allem Golfstaaten

Das mag manchen Analytikern in Mitteleuropa abwegig klingen. Gleichwohl ist kaum bekannt, dass Israel in Katar eine Botschaft unterhält, bei der alle Diplomaten einen nicht-israelischen Pass in der Tasche tragen. Auch die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei sind längst nicht mehr so schlecht, wie noch vor einigen Monaten. Von einem Flächenbrand im Nahen Osten, wie er an die Wand gemalt wird, kann also keine Rede sein. Neben Israel wären in erster Linie die Ölemirate, Saudi-Arabien, die amerikanischen Truppen in Kuwait und Bahrein sowie der ganze Westen durch eine vom Iran angedrohte Schließung der Straße von Hormus unmittelbar betroffen.

Laut Sergej Michejew, Generaldirektor des Instituts für die Zusammenarbeit im Raum des Kaspischen Meeres, erhalte vielmehr Russland als Folge eines Kriegs gegen den Iran "einen ohnehin instabilen Nordkaukasus, ein in den Krieg einbezogenes Aserbaidschan, die aserbaidschanisch-armenischen Probleme um Berg-Karabach und Probleme im Süden des Kaspi-Raums". Dies würde "separatistische terroristische Bewegungen im Nordkaukasus anspornen".

So machten diese russischen Experten Moskau bei einer von der Nachrichtenagentur RIA-Novosti veröffentlichten Pressekonferenz auf Aspekte aufmerksam, die von westlichen Experten der arabischen Welt und des Nahostkonflikts kaum jemals beachtet werden.

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