Suche
Close this search box.

Der 29. November – und seine Folgen

Der 29. November ist das vielleicht einzige gregorianische Datum, das in den hebräischen Kalender Eingang fand, ganz bestimmt aber das bekannteste. Eine Straße des „Kav-Tet BeNovember“ hat jede größere Stadt Israels vorzuweisen. Am 29. November 1947 entschied die UNO-Vollversammlung die Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Damit wurden die verbleibenden 25 Prozent des ursprünglich dem jüdischen Volk als Heimstätte zugesprochenen Landes noch einmal geteilt.
Das Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York.

Die jüdische Bevölkerung Palästinas, stimmte dem Teilungsbeschluss zu. Die arabische Welt lehnte ihn ab. Viele Juden wurden aus arabischen Ländern vertrieben, ihr Besitz geraubt. Als infolge dieser UNO-Resolution 181 dann im Mai 1948 der jüdische Staat Israel proklamiert wurde, erklärte die arabische Welt diesem und damit dem Entscheid der UNO-Vollversammlung den Krieg. Doch all dem zum Trotz ist der 29. November für jüdische Israelis bis heute ein sehr emotionsgeladener Tag, der für die Neugeburt des jüdischen Volkes nach den Schrecken des Holocausts steht.
„Kav-Tet BeNovember“ 2012
Es ist kein Zufall, dass jetzt auf den Tag genau sechseinhalb Jahrzehnte danach die Vollversammlung der Vereinten Nationen die palästinensische UNO-Delegation zum „beobachtenden Nichtmitgliedsstaat“ aufgewertet hat. Für misstrauische israelische Juden passt die Wahl dieses Datums nahtlos in eine Delegitimierungskampagne der Palästinenser gegen den jüdischen Staat. Obwohl Araber und Muslime im Lauf ihrer Jahrhunderte währenden Besatzungszeit Jerusalem nie auch nur zur Provinzhauptstadt gemacht hatten, wird die Stadt immer häufiger als „ewige Hauptstadt des palästinensischen Volkes“ bezeichnet. Mittlerweile scheut sich auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas nicht mehr, Israel vorzuwerfen, „den historischen Charakter“ der Stadt zu verändern und „Jerusalem judaisieren“ zu wollen – obwohl noch vor wenig mehr als hundert Jahren die Hauptumgangssprache im heute muslimischen Viertel der Stadt Jiddisch war.
Was hat die Resolution 67/191 der UNO-Vollversammlung verändert?
Als Beobachter sind die Palästinenser bereits seit 1974 in den Vereinten Nationen vertreten. Entgegen anderslautender Gerüchte hat die Völkergemeinschaft am 29. November 2012 keinen Palästinenserstaat anerkannt, denn dazu hat die Vollversammlung weder eine juristische noch eine politische Vollmacht. Lediglich für interne Zwecke wurde der Beobachterstatus zu dem eines Nichtmitgliedsstaates aufgewertet, was das Ansehen der Palästinenser auf der internationalen Bühne gewiss stärkt und ihnen vor allem weitere Foren für ihre Aktivitäten eröffnet. Sie können nun in UNO-Ausschüssen mitarbeiten, haben Rederecht und können vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Kläger auftreten. Außerdem wird der Beobachterstatus als Nichtmitgliedsstaat von manchen als Sprungbrett zur Vollmitgliedschaft gewertet.
Vor Ort, in den zwischen Israel und Palästinensern umstrittenen Gebieten, hat sich derweil am Status keiner der beiden Parteien irgendetwas geändert. Die Sicherheitslage wird weiter von der israelischen Armee bestimmt. Die Einschränkungen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sind unverändert. Eine Verbesserung der Lage der palästinensischen Bevölkerung durch den UNO-Entscheid ist nicht in Sicht – im Gegenteil! Schon die Formulierungen der Resolution sind widersprüchlich, wenn sie einerseits fordert, ein palästinensischer Staat solle (unter anderem) „(territorial) zusammenhängend“ sein, andererseits aber die „Grenzen von vor 1967“ als Basis nennt. Wie sollen da der Gazastreifen und das Westjordanland miteinander verbunden werden?
Unrealistische Hoffnungen als Weg ins Unglück
Auch andere Eigenschaften des erträumten Staates – „unabhängig, souverän, demokratisch, lebensfähig“ – könnten sich schnell als Luftblasen erweisen. Man bedenke beim Adjektiv „demokratisch“ nur, dass Mahmud Abbas schon weit mehr als die Hälfte seiner Amtszeit ohne Mandat seiner Wählerschaft verbracht hat. Nicht zum ersten Mal würden überhöhte, unerfüllbare Erwartungen in diesem Teil der Welt in einem Blutbad enden. Auf jeden Fall kann der PR-Erfolg von „Abu Masen“, wie Präsident Abbas landläufig genannt wird, dem eigenen Volk nur Frust bescheren.
Israelische Reaktionen
Zurückhaltung hatte die politische Führung Israels ursprünglich üben wollen. Als „bedeutungslos“ hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu den überwältigenden Begeisterungssturm der Völkerwelt für „die palästinensische Sache“ in einer ersten Reaktion bezeichnet. „Warum regt man sich eigentlich so auf?“, fragte Noah Klieger in einem Leitartikel des hebräischen Massenblattes „Yediot Aharonot“: „Eine impotente Körperschaft“ hat mit einer „lächerlichen und völlig unlogischen Resolution“ „einem Staat den Beobachterstatus eines Nichtmitglieds verliehen, den es gar nicht gibt“. „Die Vollversammlung wird keine Lösung bringen“, beobachtete Klieger, „wie sie noch nie eine Lösung bewirkt hat“, um dann von Syrien über Ruanda bis in den Sudan eine ganze Reihe von Beispielen für diese These anzuführen.
Palästinensischer Sieg
Doch dann wurden Stimmen lauter, die Generalversammlung der Vereinten Nationen habe der seit mehr als vier Jahren bereits nicht mehr gewählten Palästinenserführung einen beispiellosen PR-Sieg beschert. Die Resolution 67/191 „gilt als einer der größten diplomatischen Triumphe der Palästinenser über den Erzfeind Israel“, wertete „Der Spiegel“ aus deutscher Sicht. Ganz im Ton seines Vorgängers Jasser Arafat prophezeite Abbas, man werde weiter kämpfen „bis die palästinensische Flagge über Ostjerusalem weht“. Und der Chef des Hamas-Politbüros, Chaled Mascha‘al, stellte einen Zusammenhang mit dem gerade beendeten Gazakrieg her, behauptete die UNO-Abstimmung als „Frucht des jüngsten Sieges über die israelische Armee“, die die Isolation des Gazastreifens beenden und die Kluft zwischen Hamas und Fatah überwinden werde. „Erstmals“, so Mascha‘al, sei „ein Waffenstillstand nach den Bedingungen der Hamas geschlossen“ worden, um dann fortzufahren: „Was in der Generalversammlung geschah, ist der Höhepunkt des Widerstands und der Opfer der Palästinenser und bestätigt unseren Sieg in Gaza. Wir müssen durchhalten mit Widerstand und Dschihad!“
„Es wird keinen Palästinenserstaat geben“, konterte daraufhin Netanjahu mitten aus dem Wahlkampf, „ohne eine vertragliche Einigung, die die Sicherheit der Bürger Israels garantiert“. Er werde keinen weiteren Ausgangspunkt für iranischen Terror in der Westbank zulassen, wie etwa im Gazastreifen oder im Libanon, aus denen sich Israel in den Jahren 2000 und 2005 zurückgezogen hat. „Israel ist“, laut Netanjahu, „bereit, an der Seite eines palästinensischen Staates in Frieden zu leben“ – unter zwei Voraussetzungen: Dass die Palästinenser Israel als jüdischen Staat anerkennen, und dass der Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn endgültig für beendet erklärt wird – was im Klartext heißt, dass die Vernichtung des jüdischen Staates Israel nicht mit anderen (etwa demografischen) Mitteln weiter verfolgt werden darf. Und Israels UNO-Botschafter Ron Prosor unterstrich: „Der Weg zu einem palästinensischen Staat führt nicht durch die UNO in New York, sondern einzig über Direktverhandlungen zwischen Jerusalem und Ramallah.“
Verhandlungen als Lösungsweg
Darin ist sich die Mehrheit aller Beteiligten einig: Nur Verhandlungen werden zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts führen. Deshalb hat Tschechien gegen die Resolution 67/191 gestimmt. Deshalb hat sich Deutschland enthalten. Das betont Frankreich, das für die Aufwertung der Palästinenser in der UNO gestimmt hat – und deshalb haben die Palästinenser angeblich überhaupt erst ihren Antrag eingebracht, um auf Augenhöhe mit den Israelis verhandeln zu können.
Doch der einseitige Antrag der Palästinenser und die große Zustimmung der UNO-Vollversammlung sind zweifellos eine schwerwiegende Verletzung der Abkommen von Oslo, in denen sich Israelis und Palästinenser geeinigt hatten, ihre Differenzen künftig auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Die UNO-Resolution vom 29.11.2012 stellt alle Abkommen, die in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten von Israel und der PLO unterzeichnet wurden, in Frage – inklusive der Pariser Protokolle, die die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Israel und der PA regeln. Der World Jewish Congress beobachtet, dass die UNO-Vollversammlung einen Nahostfrieden unterminiert, indem sie „ihren eigenen Resolutionen widerspricht“.
Der israelische UNO-Botschafter Ron Prosor bemühte sich der Völkergemeinschaft noch kurz vor der Abstimmung klar zu machen: „Diese Resolution verkündet, dass die internationale Gemeinschaft ein Auge zudrückt, wenn es um Friedensverträge geht. Für das Volk Israel ergibt sich daraus die simple Frage: Warum sollte man noch schmerzhafte Opfer für den Frieden bringen, wenn man dafür nur Papiere erhält, an die sich niemand hält?“ Aus israelischer Sicht ist die Resolution 67/191 der letzte Todesstoß für die Glaubwürdigkeit der UNO-Vollversammlung – soweit dieser überhaupt noch notwendig war. Der Aufruf des deutschen Außenministers Guido Westerwelle, die Resolution als „Auftrag für direkte Friedensverhandlungen“ zu verstehen und „keine dauerhaften Verhärtungen zuzulassen“ kam zu spät.
Finanzhilfen als Druckmittel
Alle Optionen für eine Reaktion Israels auf den palästinensischen Vorstoß erweisen sich als problematisch. Im amerikanischen Kongress, der traditionell als überwältigend pro-israelisch gilt, wurde erwogen, die immerhin 600 Millionen Dollar schweren US-Hilfen für die Palästinenser als Druckmittel einzusetzen. Um eine Streichung dieser Mittel zu verhindern, soll sich das Weiße Haus gar an Netanjahu um Unterstützung gewandt haben. Die USA finanzieren durch ihre Hilfe nämlich vor allem die palästinensischen Sicherheitskräfte, die bislang höchst effektiv und in reibungsloser Zusammenarbeit mit der israelischen Armee, palästinensische Extremisten im Westjordanland im Zaum halten. Eine Einstellung der amerikanischen Finanzhilfe an die PA hätte unmittelbar einen Anstieg des palästinensischen Terrors gegen Israel zur Folge.
Reflexartig hatte Israels Finanzminister Juval Steinitz verkündet, man werde für die Palästinenser eingezogene Steuern in diesem Monat nicht an die PA überweisen, sondern ausstehende Elektrizitätsrechnungen der Palästinenser damit begleichen, ist bei näherem Hinsehen genauso ein Bumerang wie ein Gesetzesvorschlag im amerikanischen Kongress, der eine Annexion der Westbank durch Israel legalisieren würde. Israel hat keinerlei Interesse an einem Kollaps der PA und überhaupt keine Lust darauf, wieder für das tägliche Leben von zweieinhalb Millionen Palästinensern zuständig sein zu müssen, die Besatzung endlos festzuschreiben, oder gar den Palästinensern in Judäa und Samaria Wahlrecht verleihen zu müssen – wodurch nach Ansicht vieler Israelis der jüdische Charakter des Staates Israels demografisch gefährdet würde.
Häuserbau als Rache
Mit der Ankündigung des Baus von mehreren Tausend Wohnungen in Gebieten, die 1967 besetzt wurden, hat die Regierung Netanjahu aus israelischer Sicht längst überfällige Bauvorhaben genehmigt, die ausnahmslos in Gebieten liegen, die angesichts der geografischen und demografischen Gegebenheiten niemals palästinensisch würden. Auch sind dies keine „neuen“ Siedlungen, sondern Projekte, die teilweise vom Friedenspremier Jitzhak Rabin angeleiert, von den Regierungen unter Ariel Scharon und Ehud Olmert liegengelassen, von Netanjahu aufgegriffen und dann, um den Amerikanern einen Gefallen zu tun, wieder auf Eis gelegt wurden.
Bereits vor Jahren hatte der Politikprofessor Schlomo Avinery, der selbst „jedes israelische Gebäude jenseits der Grünen Linie (der Grenzen von vor 1967)“ für „Sünde“ hält, erklärt, „eine Räumung von Jerusalemer Stadtteilen wie Gilo, Ramot, French Hill oder Ramat Schlomo“, oder auch der Siedlerstadt Ma‘aleh Adumim – um die es bei Netanjahus Bauvorhaben geht – sei „politisch nicht durchsetzbar“. Nur wer blind palästinensischer Propaganda vertraut und die örtlichen Gegebenheiten nicht kennt, kann der Behauptung Glauben schenken, 3.000 Wohneinheiten im Gebiet „E 1“ zwischen Ma‘aleh Adumim und dem Ölberg würden einen Palästinenserstaat verunmöglichen.
Trotzdem hat die Ankündigung der Wiederaufnahme dieser Bauvorhaben das Mitte November noch weit verbreitete Mitgefühl der Europäer für die raketengeplagten Israelis unversehens in flammenden Zorn verwandelt. Vielleicht ist der Meinungs- und Stimmungsumschwung in der westlichen Welt, der die UNO-Abstimmung ermöglicht hat und dann bei der Siedlungsverkündigung Netanjahus offen ausbrach, das größte Problem Israels in diesem ganzen Zusammenhang.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen