Muslimische Organisationen fordern im Namen der Menschenrechte und des Kampfes gegen Rassismus Gesetze gegen diese Angst – weltweit. Viele Politiker und Journalisten im Westen fallen auf diese Argumentation herein und schaden damit vor allem den Muslimen, die sich wirklich integrieren wollen.
In seiner Streitschrift „Die Panikmacher – die deutsche Angst vor dem Islam“ wirft Patrick Bahners, der Feuilleton-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), bekannten Islamkritikern wie der deutschtürkischen Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek, dem jüdischen Publizisten Henryk M. Broder und der aus Somalia stammenden niederländischen Politikwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali eine fremdenfeindliche Stimmungsmache und eine „Kultur der Intoleranz“ vor. Die Angegriffenen wiederum wehren sich. Broder hält Bahners‘ Streitschrift für „heiße Luft“ und spricht von der „Angst des Intellektuellen vor der Wirklichkeit“. Bahners vertausche Ursache und Wirkung und flirte „mit totalitären Ideen“. Auch „Spiegel“-Redakteur Matthias Matussek regt sich darüber auf, dass Bahners „aus dem gepolsterten Sessel eines Feuilletonisten heraus einer Frau wie Hirsi Ali mit ihrer Leidensgeschichte die leidenschaftliche Absage an jene Religion [vorwerfe], die sie verkrüppelt“ habe.
Gefährliche Ignoranz
Das Problem bei Bahners und anderen Kritikern der Islamkritik ist tatsächlich die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem real existierenden Islam – insbesondere in den Ländern, in denen Muslime die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Die bis heute vorherrschende Auslegung der islamischen Quellen schließt eine Trennung von Staat und Religion und auch eine Gleichberechtigung von Muslimen und Nicht-Muslimen sowie von Mann und Frau aus. Kritik an den islamischen Quellen und dem Vorbild Muhammads wird mit dem Tod bedroht.
In der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990 steht nicht die unantastbare Würde des Menschen an der Spitze, sondern die Scharia. Laut Artikel 1 ist die gesamte Menschheitsfamilie durch ihre Unterordnung unter Allah vereint, der „wahrhafte Glaube die Garantie für das Erlangen solcher Würde“. Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2c und 2d) wird nur im Rahmen der Scharia garantiert, die Todesstrafe bei Abfall vom Glauben und die Steinigung bei Ehebruch damit indirekt legitimiert. Auch die Meinungsäußerung steht unter Schariavorbehalt und darf wie die Informationsfreiheit nicht dazu missbraucht werden, „die Heiligkeit und Würde der Propheten zu verletzen, die moralischen und ethischen Werte auszuhöhlen und die Gesellschaft zu entzweien, sie zu korrumpieren, ihr zu schaden oder ihren Glauben zu schwächen“ (Art. 22a-c).
Die übliche beschwichtigende Reaktion auf diesen totalitären Scharia-Islam in Politik und Medien, es gebe halt in jeder Religion Fundamentalisten und Extremisten, die den Glauben für ihre persönlichen oder politischen Zwecke instrumentalisieren würden, überzeugt hier nicht wirklich. Die Kairoer Erklärung ist nicht von Al-Qaida, sondern von 45 Außenministern der Organisation für islamische Zusammenarbeit – damals Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) – verfasst worden. Die OIC umfasst heute 57 Staaten und ist – nach der UNO – die zweitgrößte zwischenstaatliche Organisation der Welt. Die meisten Merkmale, mit denen Sicherheitsbehörden hierzulande den Islamismus definieren, sind in der renommierten Al-Azhar Universität in Kairo und anderen einflussreichen theologischen Institutionen der islamischen Welt selbstverständlicher Teil der Lehre. Über die konservativen islamischen Dachverbände und internationale Netzwerke wie die Muslimbruderschaft transportieren OIC-Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien, Pakistan und Iran ihre Überzeugung von der Überordnung der Scharia über alle von Menschen gemachten Gesetze in westliche Moscheen und Koranschulen. Die Angst vor diesem Islam ist weder krankhaft noch unbegründet und seine entschiedene Zurückweisung dringend notwendig.
Einschüchterung durch die Rassismus-Keule
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die OIC sich bemüht, auch auf internationaler Ebene die Thematisierung schariabezogener Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Sie will insbesondere die Glaubens- und die Meinungsfreiheit nach islamischen Kriterien neu definieren und jegliche Kritik am Islam in und außerhalb ihrer Länder kriminalisieren. In ihrem Zehnjahresplan von 2005 fordert sie weltweit entsprechende Gesetze mit abschreckenden Strafen. Im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat in den letzten Jahren ausgerechnet Pakistan – ein Land, in dem ständig mithilfe des Blasphemie-Gesetzes religiöse Minderheiten und oppositionelle Politiker eingeschüchtert und verfolgt werden – im Namen der OIC wiederholt Resolutionen gegen die Diffamierung von Religionen eingebracht und unter anderem mit den Stimmen Kubas und Chinas durchgesetzt.
Um ihrer Forderung Geltung zu verschaffen, setzt die OIC Kritik am Islam kurzerhand mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gleich und deutet jede (auch innerislamische) Kritik an den islamischen Quellen als Verletzung der religiösen Gefühle von Muslimen. Damit pervertiert sie die ursprüngliche Absicht der UNO-Menschenrechtserklärung – nämlich Menschen in der Ausübung ihrer Religionsfreiheit und nicht Religionen oder Ideologien als solche zu schützen. Nachdem im Juli 2011 ein unabhängiges Expertengremium des Menschenrechtsrates auf die Unvereinbarkeit von Blasphemiegesetzen mit universalen Menschenrechtsstandards hingewiesen hat, ist der Rückhalt bei nicht-islamischen Staaten für die ursprüngliche Form der Resolution zurückgegangen.
Frieden und Dialog nach saudischer Lesart
Vor allem die einseitige Fixierung auf die eigene Religion verdeutlicht, dass es den Verantwortlichen der OIC eher um die Durchsetzung ihrer Ideologie als um den Schutz allgemeiner Menschenrechte geht. Im Resolutionstext werden namentlich ausschließlich der Islam und die Muslime als Opfer einer negativen Darstellung – vor allem in den Medien – erwähnt. Die massenhafte Verleumdung, Diskriminierung und Verfolgung von Christen oder auch von Anhängern der Bahai oder der Ahmadijja in vielen OIC-Staaten bleibt unerwähnt.
Dass vor allem Saudi-Arabien, wo die OIC ihren Hauptsitz hat, keineswegs muslimischen Respekt und Verständnis gegenüber Christen und Juden im eigenen Land fördern will, zeigen Auszüge aus einem vom saudischen Bildungsministerium veröffentlichten Schulbuch für die achte Klasse: „Die Affen sind die Leute des Sabbats, die Juden; und die Schweine sind die Ungläubigen der Gemeinschaft von Jesus, die Christen.“ Im März dieses Jahres rief der saudische Großmufti Abdul-Asis Bin Abdullah in einem Rechtsgutachten zur Zerstörung aller Kirchen auf der Arabischen Halbinsel auf und berief sich dabei auf eine islamische Überlieferung, nach der Muhammad auf dem Sterbebett erklärt haben soll, dass es in Arabien keine zwei Religionen gleichzeitig geben dürfe.
Trotzdem hat der österreichische Nationalrat im Juli diesen Jahres grünes Licht für ein „König Abdullah Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog“ in Wien gegeben, das sich laut dem saudischen Außenminister Saud al-Faisal unter anderem für die weltweite Förderung der Religionsfreiheit einsetzen will. Trotz aller Kritik an ihrer Entscheidung wertet die SPÖ das allgemeine Bekenntnis zu Menschenrechten und Religionsfreiheit in der Gründungvereinbarung als „Hoffnungszeichen“. Es gebe keine Alternative zum Dialog.
Kapitulation vor der Gewaltlogik
Immer wieder kapitulieren führende Politiker vor einer zunehmenden Islamisierung und ignorieren die langfristigen Ziele der Islamisten, die sich auf dem Weg von der beherrschten Minderheit zur herrschenden Mehrheit sehen. So wollte beispielsweise der NRW-Innenminister Ralf Jäger in Reaktion auf salafistische Gewalt das Zeigen islamkritischer Karikaturen verbieten. Die Wiener EU-Behörde „European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia“ wollte 2003 eine Studie zum wachsenden Antisemitismus in Europa, nach der antisemitisches Verhalten besonders unter arabischen Jugendlichen in europäischen Großstädten zunimmt, aus Angst vor wachsender Islamophobie unter Verschluss halten. Mit derartigen Deeskalationsstrategien vermittelt man den Islamisten die Botschaft, dass sie nur militant genug auftreten müssen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen.
Aufgrund fehlender kritischer Reflektion oder auch aus Sorge um die eigene Macht oder persönliche Sicherheit, übernimmt man die Argumentation führender Vertreter in den islamischen Dachverbänden, die einerseits jede Gewalt als unislamisch verurteilen, andererseits aber eine besondere Rücksicht auf die religiösen Gefühle von Muslimen oder gar Gesetze gegen Islamophobie fordern, um zukünftigen Gewaltausbrüchen vorzubeugen. Fernsehsender wie die BBC nehmen aus Angst vor gewaltsamen Protesten emotionaler Muslime mit Blick auf den Islam eine Selbstzensur vor. Die rechtliche Frage, ob die Karikaturen eines Kurt Westergaard oder der islamkritische Film „Innocence of Muslims“ unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen, rückt in den Hintergrund. Die Gewalttäter werden zu Opfern, die man vor Kritik schützen muss. Damit aber spielen diese Politiker und Journalisten den Islamisten in die Hände, für die die Durchsetzung der Scharia-Normen und das Verbot jeglicher Islamkritik Voraussetzung für den gesellschaftlichen Frieden sind – sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene.