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Das unerreichbare Festmahl

Anfang Oktober beginnt die Zeit der jüdischen Feste. Es wird viel und gut gegessen. Die Installation eines reich gedeckten Tisches in der Luft soll die Aufmerksamkeit der Tel Aviver Bevölkerung auf die Menschen lenken, die sich in den kommenden Wochen kein Festmahl leisten können.
Für viele Israelis bleiben reichliche und gute Speisen während der Feiertage unerreichbar – wie diese Installation zeigen soll.
Am Abend des zweiten Oktobers startet in Israel das jüdische neue Jahr und läutet einen knappen Monat voller Festtage ein. Schüler bekommen Ferien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer schieben vielfach freie Brückentage ein, sodass das öffentliche Leben für mehrere Wochen fast zum Stillstand kommt. „Acharei haChagim“, nach den Festen, ist eine Redewendung, die bereits in diesen Tagen in ganz Israel zu hören ist. Freunde oder Kunden werden auf die Zeit nach den Feiertagen vertröstet, wenn der Alltag wieder einkehrt. Viele Israelis nutzen zum Neujahrsfest, dem zwei Wochen später stattfindenden Laubhüttenfest und dem Fest zur Freude über die Gabe der Torah die Gelegenheit, mit der Familie wegzufahren oder der Verwandtschaft einen Besuch abzustatten. Dabei wird in jüdischen Haushalten und Hotels stets viel und gut gegessen.

Jeder fünfte Israeli um regelmäßige Mahlzeiten besorgt

„Latet“ heißt „geben“ oder „schenken“, und die gleichnamige gemeinnützige Organisation stellt für eine Woche den „unerreichbaren Festmahltisch“ auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv aus. Über Lautsprecher wird das Klappern des Geschirrs sowie ein undurchdringendes Stimmengewirr auf dem Platz wiedergegeben. Die Installation soll auf die Ergebnisse einer Studie aufmerksam machen, die Mitte September von „Latet“ durchgeführt wurde. Demnach können sich etwa zweihunderttausend israelische Familien aufgrund der hohen Kosten kein Festmahl zu den Feiertagen, teilweise noch nicht einmal regelmäßig gewöhnliche Mahlzeiten leisten. „Spenden für die Feiertage“ ist eine neue Aktion von „Latet“. Sie ruft israelische Bürger zum Spenden und ehrenamtlichen Engagement auf, um den Schwachen in der Gesellschaft unter die Arme zu greifen. In einer neuen Studie gaben 20 Prozent der 500 Teilnehmer an, Angst zu haben, ihr Essen ginge zur Neige, bevor sie neues kaufen könnten. Aufgrund der finanziellen Nöte könnten sich 20 Prozent der Israelis keine regelmäßigen Mahlzeiten leisten, geschweige denn ein festliches Essen für die Feiertage.

Mehr Druck auf die Regierung

Außerdem will „Latet“ mit der Aktion auf dem Rabin-Platz Druck auf die Regierung ausüben, diesen Missstand zu beseitigen. Der Studie zufolge sind 78 Prozent der Meinung, die Regierung sei dafür zuständig, die Armut zu bekämpfen. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 12 Prozentpunkte mehr. Wie die Tageszeitung „Jerusalem Post“ berichtete, halten Beamte aus den Ministerien die Zahlen für überhöht und werfen der Organisation eigene finanzielle Interessen vor. „Latet“-Direktor Eran Weintraub fordert jährlich zusätzlich umgerechnet rund 356 Millionen Euro, die die Regierung bedürftigen Familien zukommen lässt. Freiwillige Helfer sind in dieser Woche mit T-Shirts unterwegs, auf denen steht „Gemeinsam die Armut besiegen“ oder „Israeli zu sein, ist latet/zu geben“. Die Installation lenkt Aufmerksamkeit auf sich, manche bleiben stehen und erklären sich bereit, zu spenden. „Ein großartiges Kunstprojekt“, sagt ein etwa 30-jähriger Passant, der wenige Kilometer entfernt bei seinen Eltern wohnt. Doch schließlich geht er vorbei, ohne für die gemeinnützige Organisation zu spenden. Und ob er an die aufwendige Konstruktion denken wird, wenn er am Abend des 2. Oktober zum jüdischen Neujahrsfest seinen übervoll beladenen Teller nur halb leer isst, bleibt abzuwarten. (mh)

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