Das britische Mandatsgebiet Palästina war ein wichtiges Fluchtland für europäische Juden. Doch die jüdische Einwanderung wurde 1939 durch Richtlinien der britischen Palästina-Politik stark eingeschränkt. Hintergrund war ein arabischer Aufstand, der 1936 begonnen hatte. Die arabische Bevölkerung lehnte sich vehement gegen die wachsende Zahl jüdischer Einwanderer auf. Großbritannien versuchte zunächst, eine friedliche Beilegung der Feindseligkeiten zu erreichen. Britische Truppen kooperierten mit der jüdischen Untergrundbewegung, der Hagana, um den arabischen Aufstand zu bekämpfen.
Im Jahr 1939 vollzog die britische Politik eine radikale Wende: In Anbetracht des drohenden Krieges sah Großbritannien die arabische Unterstützung oder auch Neutralität als unverzichtbar an.
Nach den arabischen Aufständen und blutigen Massakern gegen die jüdische Bevölkerung Palästinas in den 1920er und 1930er Jahren gab die britische Regierung eine Reihe von Grundsatzpapieren, „Weißbücher“ genannt, heraus, die die jüdische Einwanderung und den Landerwerb für Juden zunehmend einschränkten. Das dritte und letzte Grundsatzpapier, das am 17. Mai 1939 veröffentlicht wurde, ist auch als „MacDonald-Weißbuch“ bekannt, benannt nach dem damaligen britischen Kolonialminister.
In diesem Weißbuch geben die Briten die Teilung Palästinas und die Gründung eines jüdischen Staates endgültig auf und beschränken die Anzahl jüdischer Einwanderer in den folgenden fünf Jahren auf insgesamt 75.000. Nach Ablauf der fünf Jahre sollte jede weitere Einwanderung nur nach Zustimmung der Araber möglich sein.
Gegen den Völkerbundbeschluss
Die jüdischen Proteste gegen das MacDonald-Weißbuch blieben erfolglos. Der Jischuw, die jüdische Gemeinde in Palästina, sah im „White Paper“, wie es auf Englisch genannt wird, eine Bedrohung des Überlebens der Juden. Die Bestimmungen des MacDonald-Weißbuches widersprachen dem Völkerbundbeschluss, es revidierte faktisch alle bisherigen britischen Verpflichtungen gegenüber dem Zionismus und trieb Juden in den sicheren Tod.
Ungeachtet des Weißbuches von 1939 organisierten jüdische Gruppierungen weiterhin die illegale Einwanderung nach Palästina. Dem versuchten die Briten mit drastischen Maßnahmen entgegenzuwirken. Die Mandatsmacht errichtete 20 Kilometer südlich von Haifa das Gefangenenlager Atlit.
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Die „illegale“ Einwanderung, auf hebräisch Alija Bet oder auch Ha’apala genannt, begann bereits 1934. Unter britischer Herrschaft diente Atlit der Unterbringung von Juden und Arabern in Verwaltungshaft; hauptsächlich jüdische Einwanderer ohne offizielle Einreisegenehmigung wurden hier festgehalten. Zwischen 1933 und 1948 versuchten 130.000 illegale jüdische Einwanderer, nach Palästina einzureisen. Der Traum der Errettung vor dem Nazi-Terror und des Neubeginns in Palästina endete hier, mit der Internierung in dem von Stacheldraht und Wachtürmen umgebenen Lager.
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Inhaftierten betrug mehrere Monate, in Einzelfällen auch bis zu mehreren Jahren. Nach Ankunft in Atlit wurden die Männer auf die eine Seite, die Frauen auf die andere geschickt und mit DDT besprüht. Sie mussten sich ausziehen, wurden zum Duschen gezwungen und anschließend in Baracken eingewiesen. Ehepaare und Familien wurden durch die Geschlechtertrennung auseinandergerissen, zwischen ihnen befand sich ein unüberwindbarer Stacheldrahtzaun. Die Inhaftierten durften sich täglich lediglich 1 bis 2 Stunden auf der Lager-Promenade treffen.
Geglückte Befreiungsaktion
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel der Palmach, eine Spezialeinheit der Hagana, am 10. Oktober 1945 in das Lager ein und befreite 208 jüdische Gefangene, denen nach der Befreiung die Flucht gelang und die in Palästina untertauchen konnten.
Jizchak Rabin, damals ein junger Offizier, plante den Überfall, Nachum Sarig kommandierte ihn. Rabin war später Premierminister von Israel mit zwei Amtszeiten, 1974 bis 1977 und von 1992 bis zu seiner Ermordung durch einen jüdischen Extremisten am 4. November 1995.
Sarig (1914–1999) war der Kommandeur der Negev-Brigade und einer der ersten Offiziere, die den Rang von „Sgan Aluf“ hatten. Aluf, auf deutsch: Erster oder auch Führer einer Gruppe, ist ein hochrangiger militärischer Rang in den israelischen Verteidigungskräften (IDF) für Offiziere, der in anderen Ländern dem Rang eines Generals, Air Marshal oder Admiral entsprechen würde. Im zivilen Kontext, insbesondere im Sport, bedeutet Aluf auf Englisch „Champion“, zu Deutsch: Meister. Sgan Aluf bedeutet wörtlich Vizemeister oder Stellvertretender Kommandeur einesBataillons.
Den Begriff Aluf finden wir bereits in der Bibel. Die Edomiter verwendeten ihn als einen Adelsrang. Aluf stammt aus einer semitischen Wurzel, die „Tausend“ bedeutet, das Wort Allup ̄ benennt denjenigen, der tausend Menschen befiehlt.
Einwanderer nach Zypern deportiert
Als Antwort auf den Palmach-Überfall deportierten die Briten die jüdischen Einwanderer nun in Internierungslager auf Zypern. Diese Lager bestanden von 1946 bis zur Gründung des Staates Israel 1948. Während des israelischen Unabhängigkeitskrieges diente Atlit als Kriegsgefangenenlager und Zivilinternierungslager für einheimische Araber. Nach 1948 war es Durchgangslager für jüdische Neueinwanderer. Auch Kriegsgefangene aus dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 – unter ihnen Soldaten aus Ägypten, Syrien und Jordanien sowie libanesische Staatsbürger – wurden in Atlit interniert.
Atlit wurde 1987 zu einem Nationalen Kulturerbe ernannt. Das ehemalige Internierungslager beherbergt heute ein Museum, das die Geschichte der Alija von Juden ohne Einreiseerlaubnis dokumentiert. Besucher können das Entsetzen und Leid der jüdischen Flüchtlinge nachvollziehen, die statt ersehnter Freiheit gefangen genommen wurden.
Eine der ehemaligen Baracken wurde restauriert. Auf Tafeln haben ehemalige Häftlinge ihre Namen und Herkunftsländer eingeritzt, in der Hoffnung, Freunde und Familienmitglieder wiederzufinden, von denen sie während des Holocaust getrennt worden waren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs versuchten Überlebende, die in Vertriebenenlagern in Deutschland und anderen Ländern untergebracht waren, auf Schiffen ihren Weg nach Palästina zu machen. Aber die britische Haltung änderte sich nicht, trotz der Beweise für den Massenmord an Juden.

Auf dem Atlit-Gelände ist ein Nachbau der „Galina“, eines typischen Flüchtlingsschiffs jener Zeit, ausgestellt, kann aber nicht betreten werden. Ein Original-Einwanderungsschiff, die Af-ʿAl-Pi-Chen, ist heute ein Museumsschiff. Es steht im Freigelände des David-Hacohen-Museums zur illegalen Einwanderung und Marine in Haifa.

Das Schiff wurde 1941 als Landungsschiff des Typs „Landing Craft Tank MK II“ für die Kanadische Marine gebaut und unter der Nummer TLC 147 registriert. 1942 wurde es bei der alliierten Landung in Nordafrika eingesetzt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Schiff 1946 an den Mossad leAlija Bet verkauft, der es unter dem Namen Farida registrieren ließ. Es sollte für die illegale Einreise von Juden nach Palästina eingesetzt werden, der Untergrundname war HaPoleschet, deutsch: „Der Eindringling“.
Am 17. September 1947 verließ die Farida unter dem Kommando von Jizchak Landauer mit 434 jüdischen Flüchtlingen, die meisten von ihnen aus Polen, den italienischen Ort Formia. Die Farida erhielt für diese Fahrt den Namen Af-ʿAl-Pi-Chen, was auf Deutsch „trotzdem“ bedeute. Denn sie war das erste Flüchtlingsschiff mit Ziel Palästina, nachdem die Exodus von der britischen Marine aufgebracht und ihre Passagiere im Rahmen der Operation Oasis nach Deutschland verbracht worden waren.
Von den Briten aufgebracht
Am 26. September wurde die Af-ʿAl-Pi-Chen etwa 15 Meilen vor der Küste des südlichen Palästina von einem britischen Zerstörer gesichtet. Tags darauf wurde das Schiff von der britischen Marine aufgebracht. Nachdem es zu einer Kollision gekommen war, eröffneten die Briten das Feuer auf die Af-ʿAl-Pi-Chen. Ein Flüchtling wurde getötet und neun weitere verletzt. Die jüdischen Immigranten wurden mit dem britischen Schiff Empire Rest nach Zypern deportiert, die Af-ʿAl-Pi-Chen wurde – wie bereits andere von den Briten beschlagnahmte Flüchtlingsschiffe – im Hafen von Haifa vor Anker gelegt.
Nachdem die letzten Briten im Juli 1948 Israel über den Hafen von Haifa verlassen hatten, gelangte die Af-ʿAl-Pi-Chen gemeinsam mit den anderen beschlagnahmten Schiffen in den Besitz der israelischen Marine. Sie wurde generalüberholt und war bis 1959 im Dienst.
Nach der Ausmusterung wurde das Schiff an Land gebracht und aufgeständert. Die Af-ʿAl-Pi-Chen ist ein Kernstück des „Museums der illegalen Einwanderung und Marine“, das im September 1969 in Haifa eröffnet wurde. Im Schiffsrumpf wurde ein Teil der Einrichtung nachgebaut, wie sie für die Flüchtlingstransporte verwendet wurde. Zudem dient der Schiffsrumpf als Vorführraum einer Tonbildschau.
Unter dem Schiffsrumpf können Besucher Exponate aus den britischen Lagern auf Zypern betrachten. Ein Flüchtlingsschiff als Museum zu verwenden, wurde bereits mit der Exodus angestrebt. Durch einen Brand während der Restaurierungsarbeiten wurde die Exodus 1952 jedoch völlig zerstört, ihre ausgebrannte Schiffshülle wurde bei Haifa versenkt.
2 Antworten
Danke Frau Tegtmeyer. Wieder so gut erklärt. Mit Begeisterung lese ich Ihre Artikel und lerne dadurch sehr viel. Es war mir nicht bewusst, dass die Juden auf der Flucht vor dem Nazi-Terror in ihrer jetzigen Heimat Israel in Internierungslager in Gefangenschaft kam und ähnlich Schlimmes erleben mussten, vor dem sie fliehen mussten. Habe da doch immer wieder mal eine Wissenslücke.
Das mit dem DDT ist wirklich gemein und unmenschlich. Ich habe in den 1980er-Jahren zum ersten Mal den Namen DDT in einem Buch gelesen mit dem Titel „Hilf der Natur“. Es war ein Buch WWF. Meine Mutter hat mir dann erklärt, dass DDT ein nicht biologisch abbaubares Pflanzenschutzmittel ist. In dem Buch stand geschrieben, dass dieses Mittel bei den Meeresvögeln zum Absterben der Jungtiere vor dem Ausschlüpfen führt und dass es eine gewisse Menge von DDT im Körper der Meeresvögel für diese tödlich sein kann.