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Das Ende des zionistischen Projekts – Palästinensische Reaktionen zum israelischen Rückzug

An Waffen herrscht bei den Palästinensern offensichtlich kein Mangel. Offen tragen vermummte Kämpfer ihre Raketen, Panzerfäuste, Mörsergranaten und schweren automatischen Gewehre zur Schau. Bei Triumph-Paraden in Gaza-Stadt und Chan Junis wetteifern unterschiedliche Organisationen um die Ehre, die israelische Besatzungsarmee in die Flucht geschlagen zu haben.

Als Ariel Scharon im Dezember 2003 seinen Plan zur einseitigen Trennung verkündete, reagierten die Palästinenser mit Unglauben, Misstrauen und Versuchen, den Plan zum Scheitern zu bringen. Minister der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wiesen die Möglichkeit eines Gaza-Rückzugs als „hypothetische Frage“ zurück. Im besten Fall wurden Scharons Absichtserklärungen als Trick, in der Weltöffentlichkeit Pluspunkte zu erhalten, abgetan.

Inzwischen hat sich die Fata Morgana als Tatsache erwiesen, und der israelische Abzug kann nicht mehr als bloßes Scheinmanöver zionistischer Propaganda vom Tisch gewischt werden. Präsident Abbas lädt arabische Staatschefs ein, um die PA zu stärken und an den Siegesfeierlichkeiten teilzuhaben. Er hofft, den nächsten Gipfel der Arabischen Liga nach Gaza holen zu können.

Premierminister Ahmed Qrea will den „negativen Eindruck“, den Israel bei den Palästinensern hinterlassen hat, loswerden. Nach einer speziellen Reinigungskampagne sollen alle Straßen und Wände in Gaza sauber sein. Dabei geht es vor allem um die Graffiti zu Ehren der „Märtyrer“, die im Kampf gegen Israel gefallen sind.

Laut einer Umfrage des Hamas-nahen „Palestine Information Center“ verstehen 94 Prozent aller Palästinenser den israelischen Rückzug als Flucht und Niederlage, die „durch das Blut Tausender von Märtyrern erreicht wurde“. Fatah-Sympathisant Samir Tahajneh erklärt: „Ohne Kassam-Raketen und Selbstmordattentate wäre Israel nie von unserem Boden geflohen.“ Und Hamasführer Scheich Hassan Jussef proklamiert: „Palästinensisches Blut hat das mächtige Schwert der israelischen Besatzung geschlagen“.

Abdallah Frandschi, der auch als diplomatischer Vertreter der PLO in der Bundesrepublik Deutschland fungiert, betont zwar die „gewaltigen politischen Anstrengungen“ Jasser Arafats und seines Nachfolgers, stimmt dann aber in den Chorus seiner Volksgenossen ein und spricht von der „Frucht von vier Jahren Intifada“. Von Verständigung oder Frieden mit den israelischen Nachbarn ist keine Rede.

Im Gegenteil, Bewährtes soll auch in Zukunft Erfolg versprechend angewandt werden. Muhammad Abu Schamala, Kommandeur des militärischen Flügels der Hamas im südlichen Gazastreifen, hofft, dass der „anhaltende bewaffnete Widerstand“ Israel auch zum Verlassen des Westjordanlandes bewegen werde. Der Ladenbesitzer Ala Abu Dschabarra meint: „Durch den Oslo-Prozess haben wir überhaupt nichts erreicht. Die Juden verstehen nur die Sprache der Gewalt.“

Und das ist nicht etwa nur die Perspektive des enttäuschten kleinen Mannes in einem palästinensischen Flüchtlingslager oder islamistischer Extremisten. Ganz offiziell geben Palästinenserpräsident Abbas, sein Premierminister Qrea und der als pro-westlich geschätzte Minister Muhammad Dahlan zu Protokoll: „Israel zieht sich heute aus dem Gazastreifen und der nördlichen Westbank zurück. Morgen wollen wir einen Rückzug aus Jerusalem und den restlichen besetzten Gebieten sehen.“ Was Hamas-Chef Chaled Mascha´al in Damaskus auf den Punkt bringt, ist in der palästinensischen Gesellschaft Konsens: „Heute Gaza, morgen ganz Palästina bis zum letzten Zentimeter. Das ist das Ende des zionistischen Projekts.“

Nicht nur pro-israelische Rückzugskritiker befürchten eine militärische Aufrüstung des Gazastreifens nach dem israelischen Rückzug. Hohe PA-Vertreter sprachen Mitte August von Plänen der PA, Tausende PLO-Kämpfer aus dem Libanon zu bringen. Abbas Saki, Mitglied des Zentralkomitees der Fatah, soll in der ersten Augustwoche bereits nach Beirut gereist sein, um die Rückkehr der Flüchtlinge nach Gaza mit den Libanesen auszuhandeln. Der Libanon sieht die waffenstarrenden Flüchtlingslager mit 400.000 Palästinensern als Bedrohung für die nationale Sicherheit des Libanon.

In den palästinensischen Autonomiestädten des Gazastreifens nimmt derweil das Chaos zu. Anfang August legten Richter und Rechtsanwälte ihre Ämter nieder, bis ihre Sicherheit gewährleistet sei. Nachdem innerhalb von sechs Wochen fünf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen entführt wurden und das Büro des Internationalen Roten Kreuzes in Chan Junis beschossen wurde, zogen UNO und IRK ihre ausländischen Mitarbeiter ab.

Die christliche Anglistikprofessorin Hanan Aschrawi fasst zusammen, was viele Palästinenser befürchten: Scharon nutzt den Gazarückzug, um den Griff auf das Westjordanland zu festigen. Dass bislang kein einziger Siedler aus dem Gazastreifen nach Judäa und Samaria umgezogen ist, wird dabei geflissentlich übersehen.

Die Palästinenser fordern nicht nur einen totalen Rückzug Israels aus allen 1967 eroberten Gebieten, sondern auch eine Verbindung zwischen Westjordanland und Gazastreifen, freie Kontrolle ihres Luftraums und der Küste vor dem Gazastreifen. Ohne eine Erfüllung dieser Forderungen, sei der Rückzug bedeutungslos und bestehe die Besatzung weiterhin fort – und damit auch die Rechtfertigung für Terror gegen Israel.

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