"Wenn [die Ultraorthodoxen] auf Trennung pochen, von mir aus! Aber warum sollen gerade die Frauen hinten sitzen?" Solchen und ähnlichen Meinungen werden in den öffentlichen Medien viel Platz eingeräumt. Sogar orthodoxe Frauen drücken ihr Missfallen über die Unterdrückung im Rahmen der religiösen Gesellschaft aus.
Israel ist ein demokratisches Land, in dessen Grundgesetz das Prinzip der Gleichberechtigung verankert ist. So landete die ganze Angelegenheit schließlich vor dem Gericht – mit folgendem Ergebnis: In öffentlichen Bussen wurden neue Schilder angebracht. "Jeder Reisende hat das Recht, auf jedem beliebigen Platz zu sitzen außer auf Plätzen, die für Behinderte und Senioren reserviert sind. Jede Belästigung in dieser Hinsicht gilt als Gesetzesübertretung", heißt es dort. Die ultraorthodoxe Gesellschaft hat bekanntlich ihre eigenen Gesetze, Regeln und Bestimmungen. Deswegen haben sich die Jerusalemer entschieden, in bestimmten Buslinien auf freiwilliger Basis getrennt zu reisen.
An der Bushaltestelle, an der ich gerade warte, hält so ein Bus der "Trennungslinie – Kav Hafrada" Nummer 40. Bislang bin ich ihm erfolgreich ausgewichen. Beim langen Warten frage ich eine orthodoxe Frau, was sie davon halte. "Ich bin wirklich froh", antwortet sie. "Manchmal setzt sich so ein ekliger Bursche neben dich!" Diese Meinung habe ich in den Medien noch nicht gehört. Es gibt nichts Besseres als eine Busfahrt, wenn man so richtig unter das Volk kommen möchte.
Einmal warte ich schon länger, als sich ein Bus nähert, dessen Nummer verschwommen und unlesbar erscheint. Als ich frage, welche Linie das eigentlich ist, geht "meine Tür" schon zu und der Bus entfernt sich. Meinem Entsetzen gebe ich mit lauten Worten Ausdruck, wie das in Israel üblich ist. "Also ich warte hier eine halbe Stunde und verpasse ihn nur deswegen, weil seine Nummer unlesbar ist." "Das ist wirklich nicht fair", zwei bärtige Männer mit schwarzen Hüten äußern ihre Sympathien. "Fahre mit uns mit dem Vierziger Bus", schlagen sie vor, "dann kannst du deinen Bus einholen."
Ich möchte meinen Termin im Stadtzentrum nicht verpassen und deswegen zögere ich nicht lange. Der Bus kommt, die Herren steigen vorne ein und ich ganz brav hinten. Aber was jetzt? Normalerweise lässt man das Fahrticket beim Busfahrer entwerten. Der sitzt aber, wie alle wissen, ganz vorne. Aus dem Fernsehen ist mir bekannt, dass sich irgendwo in der Mitte eine Zange befinden sollte, mit der die Frauen ihre Fahrkarte selber lochen. Ich sehe keine. Ich stehe in meiner Cordhose mitten unter zahlreichen Frauen mit Röcken und Kopfbedeckung und frage unschuldig: "Was macht man? Was macht eine Frau nun?" Die mitreisenden Damen sprechen nicht mit mir, sie deuten nur nach vorne. Der Bus hat nämlich drei Türen und die Zange befindet sich bei dem mittleren Eingang, obwohl es hier schon von schwarz gekleideten Männern wimmelt.
Medien verschweigen ultraorthodoxe Freundlichkeit
Wackelnden Schrittes, weil der Bus mich hin und her wirft, schreite ich nach vorne: Nur keinen orthodoxen Mann streifen oder sogar auf ihn geschleudert zu werden, das wäre aus religiösen Gründen sehr unangenehm. Da nicken mir schon die zwei bärtigen Männer von meiner Bushaltestelle lächelnd zu und freundlich bieten sie mir an, meine Fahrkarte zum Busfahrer zu bringen und mir eine zum Umsteigen zu holen, damit ich nicht zweimal zahlen muss. Über diese freundlichen ultraorthodoxen Männer haben die Medien auch nicht berichtet. Hiermit möchte ich es in Ordnung bringen!
Ich habe meinen Bus tatsächlich überholt, bin dann aber in einen anderen eingestiegen, von dem ich vermutet hatte, dass er auch ins Zentrum fährt. Als ich das Menschengedränge beim Einsteigen sah, entschied ich mich schnell durch die mittlere Tür einzusteigen – zumal ich eine Frau bin und ein Ticket zum Umsteigen besaß. In diesem Fall schien das dem Busfahrer aber überhaupt nicht zu gefallen. "Steigen Sie wieder aus", rief er ein paar Mal, bis ich begriffen hatte, dass er mich meinte.
Er hat mich dann an ein anderes Ende von Jerusalem gebracht. Dort musste ich wieder warten. Als endlich ein Bus kam, der auf dem Weg in die Stadtmitte war, fragte ich den Busfahrer: "Welche Strecke fahren Sie?" Irgendwie hatte ich in Erinnerung, dass es keine direkte Linie ist. "Es kommt darauf an, wie viel der Reiseleiter zu erzählen hat", frotzelte der Fahrer. "Seien Sie nicht böse, ich meine es ernst, wie fahren Sie?" Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, in die Stadtmitte zu gelangen. "Wir machen einen Ausflug", erwiderte er. Und so war es auch. Im menschenleeren Bus mit zwei Rentnern, die alle Zeit der Welt hatten, genoss ich eine Rundfahrt durch Jerusalem. Auf einmal hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Mein Treffen habe ich verpasst, aber es ist eine neue Geschichte entstanden. Ja, ich glaube, ich habe eine schöne neue Geschichte über das Leben in Israel.