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Chaos in der Knesset

Der politische Streit in Israel spitzt sich zu. Der Blau-Weiß-Block bildet sechs Sonderausschüsse. Der Likud quittiert dies mit dem Vorwurf des „Knessetdiebstahls“. Das Oberste Gericht meldet sich zu den Zuständen ebenfalls zu Wort.
Gehen nicht nur wegen der Corona-Krise auf Abstand: Knessetsprecher Edelstein (r.) und Blau-Weiß-Chef Gantz

JERUSALEM (inn) – Neben der Corona-Krise muss Israel auch eine handfeste politische Krise bewältigen. Diese hält nach der dritten Wahl binnen eines Jahres an, erfährt in dieser Woche aber eine Zuspitzung. Die Lager werfen sich undemokratisches Verhalten vor, und auch der Oberste Gerichtshof kommt bei der Betrachtung der Lage zu diesem Schluss.

Die Richter haben am Montag Knessetsprecher Juli Edelstein gerügt, weil er den Parlamentsbetrieb nach der Vereidigung der Abgeordneten eine Woche zuvor pausieren ließ; damit fand auch die Wahl eines Sprechers zunächst nicht statt. Edelstein führte an, erst müsse Klarheit in der Frage der Regierungsbildung herrschen, nur dann könne sich das Parlament mit der Wahl eines Sprechers befassen.

Die Richter wiesen dieses Argument nun zurück. „Die Knesset ist souverän“, heißt es in dem Urteil. „Die anhaltende Weigerung, der Knesset zu erlauben, über einen permanenten Sprecher abzustimmen, unterwandert die Grundfeste der Demokratie.“ Am Mittwoch müsse eine Sprecherwahl durchgeführt werden.

Spannende Entwicklungen

Nun wird zu sehen sein, wie Edelstein auf das Urteil reagiert. Bei einer Anhörung vor dem Urteil machte er den Richtern deutlich, dass er kein Ultimatum akzeptieren werde. Aus seiner Sicht würde das bedeuten, dass das Oberste Gericht in die Angelegenheiten der Knesset eingreift.

Beobachter sehen aufgrund dieser Gemengelage eine Verfassungskrise im Anmarsch. Dies umso mehr, als Vertreter des rechten politischen Lagers Edelstein dazu aufriefen, das Urteil zu ignorieren. Tourismusminister Jariv Levin (Likud) lamentierte etwa, der Gerichtshof habe die Knesset übernommen. Die frühere Justizministerin Ajelet Schaked (Jamina) bemerkte: „Nur die Knesset ist befugt zu entscheiden, wann sie zusammentritt und wann sie in Übereinstimmung mit dem Gesetz Abstimmungen abhält.“

Likud: „Knesset-Diebstahl durch Blau-Weiß“

Neben dieser Entwicklung haben sich auch die Fronten zwischen den politischen Lagern verhärtet. Am Montag traten die Abgeordneten erstmals wieder zusammen – unter Beachtung der Corona-Regeln. Dabei bildeten die Abgeordneten des Lagers um Blau-Weiß zunächst einen Oberausschuss, der die Bildung weiterer Ausschüsse festlegt. Danach riefen sie sechs Sonderausschüsse auf Zeit ins Leben, darunter einen, der die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus überwacht.

Dies alles geschah unter dem Boykott der Likud-Abgeordneten, die sich sämtlichen Abstimmungen verweigerten. Als Grund gaben sie an, die Bildung der Ausschüsse sei in Zeiten einer Übergangsregierung nicht legitim. Die Partei sprach am Dienstagmorgen von einem „Diebstahl“ der Knesset durch Blau-Weiß, da alle Ausschüsse mehrheitlich vom Gegenlager besetzt und geführt sind. Ein solches Vorgehen habe es in der Knesset noch nie gegeben, und die Zusammensetzung der Ausschüsse spiegele auch nicht die Sitzverteilung im Parlament wider. Die Likud-Abgeordneten würden bei den „undemokratischen Diskussionen und Abstimmungen“ nicht mitmachen.

Besonderer Vorsitz

Besonders pikant scheint der Umstand, dass ein Vertreter des arabischen Parteienbündnisses „Vereinigte Liste“ den Ausschuss für Arbeit und Wohlfahrt leiten soll. Der Ausschuss befasst sich auch mit der Unterstützung von Terror-Opfern und verwundeten Soldaten. Zugleich gehören Abgeordnete der „Vereinigten Liste“ zu Unterstützern von Terroristen. Der Vorsitzende des Bündnisses, Ajman Odeh, besuchte 2018 etwa eine Konferenz der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP).

Angesichts dieser Zerwürfnisse scheint eine Einheitsregierung ferner denn je. Politische Vertreter beider Parteien sagten laut der Zeitung „Yediot Aharonot“, seit Donnerstag habe es diesbezüglich keine Gespräche mehr gegeben. Nichtsdestotrotz rief der amtierende Regierungschef Benjamin Netanjahu Oppositionsführer Benny Gantz am Dienstagmittag noch einmal dazu auf, eine Einheitsregierung zu bilden. Mit Blick auf die Corona-Krise schrieb er auf Twitter: „Die israelischen Bürger brauchen eine Einheitsregierung, um ihr Leben und ihren Lebensunterhalt zu retten.“ Jetzt sei nicht die Zeit, vierte Wahlen auszurufen. „Wir wissen beide, dass die Unterschiede zwischen uns klein sind. Ich warte auf Sie.“

Von: df

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