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Chan al-Ahmar und die rechtlichen Fragen

Seit Monaten führen Palästinenser eine weltweite Kampagne gegen den geplanten Abriss des Beduinendorfes Chan al-Ahmar. Nahostkorrespondent Ulrich W. Sahm beobachtet das Fehlen einer sachlichen Auseinandersetzung – und eine Parallele zum Hambacher Forst.
Das Dorf liegt in gefährlicher Nähe einer Autobahn

Eine Meldung im israelischen Armeerundfunk irritierte am Mittwochmorgen Mediennutzer und Journalisten: Sollte Israel dem Urteil des Obersten Gerichts vor der Abreise der Bundeskanzlerin Angela Merkel stattgeben und die winzige illegal errichtete Ansammlung von Blechhütten in Chan al-Ahmar nahe Jerusalem abreißen, wolle sie ihren angesagten Israelbesuch kurzfristig absagen, hieß es. Merkel hingegen brach am Mittwochnachmitag nach Israel auf. Die Meldung hat sie mittlerweile als „Fake News“ zurückgewiesen – ihre Reise sei nicht von dem Beduinendorf abhängig. Allerdings hat die Bundesregierung den geplanten Abriss in der Vergangenheit scharf kritisiert. Doch was hat es mit Chan al-Ahmar auf sich?

Nach Jom-Kippur-Krieg: Siedlung als Bollwerk errichtet

Das Beduinendorf liegt auf einem unzugänglichen Hügel bei der Autobahn von Jerusalem nach Jericho. Auf der anderen Straßenseite, sozusagen „gegenüber“, erstreckt sich die 1994 gegründete Stadt Ma’ale Adumin. Sie wurde errichtet nach dem Jom-Kippur-/Oktoberkrieg von 1973, als den Israelis klar geworden war, dass zwischen der Grenze zu Jordanien und der Hauptstadt Jerusalem nur Wüste liegt.

König Hussein von Jordanien hatte nach dem Friedensschluss mit Israel dem Premierminister Jitzhak Rabin verraten, in seinem Leben zwei unverzeihliche Fehler gemacht zu haben: 1967 habe er sich infolge falscher Siegesmeldungen der Ägypter dem Krieg gegen Israel angeschlossen und so neben Jerusalem das ganze Westjordanland verloren. 1973 habe er sich aus dem Krieg herausgehalten, obgleich er innerhalb einer Stunde mit einem Panzer ohne jedes Hindernis auf der Strecke von Amman bis ins Stadtzentrum von Jerusalem hätte fahren können.

Wegen des Bedürfnisses, Jerusalem vor einem Angriff Jordaniens oder irakischer Truppen vom Osten her zu schützen, haben die Israelis also eine viele Kilometer lange Siedlerstadt mitsamt angeschlossenem Industriezentrum errichtet. Damit sollten feindliche Truppen in sicherer Entfernung vor Jerusalem blockiert werden können. Die Stadt ist so groß, dass sie das Westjordanland mittendrin zerschneidet, in einen nördlichen und einen südlichen Teil.

Argumentation geografisch schwer nachvollziehbar

Nördlich von Ma’ale Adumim liegt ein großer kahler Hügel, auf dem nur eine Polizeistation steht und der ansonsten wegen seiner steilen Abhänge für Fahrzeuge unzugänglich ist. Wer vom Norden in den Süden des Westjordanlandes fahren will, muss in jedem Fall eine enge Straße am Rande des umstrittenen „E1“ genannten Hügels benutzen.

Die palästinensische Behauptung, dass die Errichtung einer israelischen Siedlung auf diesem unzugänglichen Hügel das Westjordanland zerschneiden und so die Zweistaatenlösung „unmöglich“ machen würde, ist angesichts der Geografie schwer nachzuvollziehen. Zudem ist sie wegen der ohnehin längst bestehenden Stadt Ma’ale Adumim ein absurdes Argument.

Neben dieser politischen Behauptung gibt es seit Monaten eine großangelegte, weltweite palästinensische Kampagne gegen die israelische Absicht, das Beduinendorf Chan al-Ahmar abzureißen und seine rund 180 Bewohner in ein modernes Neubauviertel mit Infrastruktur umzusiedeln. Das Völkerrecht sieht vor, dass der Besatzerstaat in dem von ihm besetzten Gebiet eine Militärverwaltung unterhält und alle verwaltungstechnischen Aufgaben eines Staates übernimmt. Dazu gehört die Landverwaltung und die Erteilung von Baugenehmigungen.

Genauso wie in jedem anderen Rechtsstaat müssen illegal auf Staatsland errichtete Häuser abgerissen werden. Dazu bedarf es eines rechtskräftigen Urteils, was in diesem Fall vorliegt. Durchaus vergleichbar ist die polizeiliche Räumung der Baumhäuser von Demonstranten im Hambacher Forst. Niemand käme auf die Idee, Deutschland wegen „Völkerrechtsbruch“ in der UNO oder auf der internationalen Bühne anzuprangern.

Gefährliche Lebensbedingungen in Chan al-Ahmar

Es ist umstritten, wann das Dorf entstanden ist. Manche behaupten, dass die Beduinen 1950 aus Israel ausgewiesen und von Jordanien dort angesiedelt worden seien. Die Israelis behaupten, dass die Beduinen sich erst sehr viel später dort niedergelassen hätten, nachdem ihnen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) dort aus politisch strategischen Gründen Wassertanks aufgestellt hatte. Denn ohne Wasser kann niemand in der kargen Wüste überleben. Um die Palästinenser in ihrem Vorhaben gegen die israelische Vorherrschaft zu unterstützen, haben dann die Europäer mit viel Geld und diplomatischem Druck das Dorf mit Solarstrom ausgestattet und mit alten Autoreifen eine kleine Schule errichtet.

Tatsächlich handelt es sich hier um ein paar in der Landschaft verstreute baufällige Blechhütten. Das Abwasser fließt ungeklärt ins nächste Tal und verseucht das Grundwasser. Kinder sind durch die benachbarte Autobahn gefährdet. Einige schlafen auf zerschlissenen Matratzen unter einer Autobahnbrücke. Im Dorf laufen ansonsten Ziegen und Schafe frei herum. Das Leben in Chan al-Ahmar ist in jedem Fall sehr ungesund und wegen der Autobahn lebensgefährlich. In der Schule dürfte es auch nicht sehr gesund sein, die Schulbank zu drücken, falls da mal jemand ein Streichholz an die aufgetürmten Reifen halten sollte. Für Ambulanzen oder Rettungsfahrzeuge gäbe es nur einen gefährlichen, ungepflasterten Feldweg dorthin.

Israel hat den Bewohnern einen Ersatz für die zu zerstörenden Häuser angeboten: ein Neubauviertel in Abu Dis bei Jerusalem, allerdings neben einer Müllkippe, und bei Jericho. Beide Angebote haben die Palästinenser abgelehnt. Und während die Ortschaft weltweit Schlagzeilen macht, mit politischen oder humanitären Argumenten, habe nun Merkel damit gedroht, ihren Israelbesuch kurzfristig abzusagen, falls Israel den Abriss vollziehen sollte.

Sachliche Diskussion kaum möglich

Die rechtlichen Hintergründe, Israels Verpflichtungen als Besatzer, werden kaum jemals erwähnt und bei dem politischen Streit ohnehin nicht beachtet. Das macht eine sachliche Diskussion zu diesem Thema kaum möglich. Eine gewaltsame Verpflanzung von Menschen ist natürlich immer eine Tragödie. Doch die 180 Einwohner haben eine Alternative angeboten bekommen, im Gegensatz zu über 1,5 Millionen Flüchtlingen aus dem Mittleren Osten, die inzwischen in Deutschland angekommen sind.

Von: Ulrich W. Sahm

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