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Chamenei hat gewählt

Die Stimme des obersten geistlichen Führers des Iran wiegt mehr als alle anderen zusammen. Auch deshalb ist klar, dass nicht das Volk den neuen Präsidenten Raisi gewählt hat.
Präsident von Chameneis Gnaden: Ibrahim Raisi (r.)

Bei der Präsidentschaftswahl im Iran am 18. Juni stand eines von vornherein fest: Ajatollah Ali Chameneis Wunschkandidat – Ibrahim Raisi – würde die „Wahl“ für sich entscheiden. „Raisi gehört in den Knast, nicht an die Macht“, titelt ein persisches, oppositionelles Nachrichtenportal mit Sitz in London.

Ali Chamenei, der „Oberste Führer“ des Iran, vereint in sich seit 1989 die politische und geistliche Macht. Er ist nach seinem Vorgänger Ruholla Chomeini der zweite Mann in diesem Amt seit der islamischen Revolution 1979. Allerdings ist der Religionsführer, Revolutionsführer und Oberbefehlshaber der Streitkräfte bald 82 Jahre alt und auf der Suche nach einem Nachfolger. Hinter vorgehaltener Hand wird bereits darüber gewitzelt, wie jemand ein ganzes Land regieren will, der nicht einmal mehr seine eigene Blase kontrollieren kann.

Der nächste iranische Führer muss laut Gesetz aus der überschaubaren Liste der noch lebenden ehemaligen Präsidenten kommen: Mohammed Chatami, Mahmud Ahmadinedschad und der scheidende Präsident Hassan Rohani. Die Nachfolge Chameneis ist für den Iran eine dringende politische Angelegenheit. Der designierte Präsident Ibrahim Raisi hat momentan die größten Aussichten auf diesen Posten. Je nach Chameneis Gesundheitszustand ist es möglich, dass Raisi noch vor Ende seiner Amtszeit zum neuen Revolutionsführer aufsteigen wird.

Er ist nicht etwa deswegen für das höchste Amt geeignet, weil er beim Volk beliebt wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Er hatte zwar im Wahlkampf Armut und Korruption den Kampf angesagt. Aber die Leute glauben zu Recht nicht daran, dass jemand, der als Chef der Justiz nicht gegen Korruption vorgegangen ist, nun als Präsident Reformen einleiten wird. Vielmehr hat Raisi als einer der Hauptverantwortlichen für Massenerschießungen politischer Gefangener bereits 1988 und später als hoher Richter bewiesen, dass er politischen Widerstand unterdrücken und Volksaufstände brutal niederschlagen kann. Auch 2009 war er als „Schreibtischtäter“ maßgeblich an der gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen und der Hinrichtung Gefangener beteiligt. Raisi hat also genau die Qualitäten, die ein iranischer Revolutionsführer braucht.

Schwerverbrecher als neuer Verhandlungspartner in Wien

Wegen Menschenrechtsverletzungen steht Raisi auf den Sanktionslisten von USA und EU, was seine Reisefreiheit erheblich einschränkt. Auch deswegen wäre er im Amt des Revolutionsführers „besser“ aufgehoben, da dieser keine Reden vor den Vereinten Nationen halten muss. Rhetorisch kann Ibrahim Raisi sich allerdings gut verkaufen. Da er Formulierungen wählt, die auf Verhandlungsbereitschaft und Vernunft hoffen lassen, wird er von vielen allzu bereitwillig als „moderat“ eingestuft.

Es wäre denkbar, dass er die Atomverhandlungen in Wien weiterlaufen lassen wird. Entweder gelingt es ihm, einen weiteren wässrigen Deal auszuhandeln, der dem Iran den Bau seiner Bombe mehr erleichtert als erschwert. Oder er kann sich als williger Verhandlungspartner präsentieren, der nur leider den Hardlinern in seiner Regierung nachgeben muss. Zu einem Vertrag, der die Bombe verhindert, wird es nicht kommen – nicht nur unter Raisi, sondern solange die Mullahs an der Macht sind.

Wahlmanipulation

Obwohl Raisi keine Sympathien beim iranischen Volk hat und Chamenei ihm schon vor der Abstimmung zu seinem Sieg gratulierte, spricht bislang kaum jemand von Wahlbetrug. Lediglich ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, dass den Menschen im Iran „ein freier und fairer Wahlprozess verwehrt“ worden sei. Denn von den fast 600 ursprünglichen Kandidaten standen am Ende nur vier Hardliner zur „Wahl“. Raisi wurde von Anfang an als Sieger gehandelt und hat mit 72,38 Prozent der gültigen Stimmen seine „Kontrahenten“ weit hinter sich gelassen.

Wahrscheinlich wurde auch darüber hinaus viel manipuliert. Selbst laut offiziellen Zahlen gab es nur eine Wahlbeteiligung von 48,8 Prozent, obwohl das Regime alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um die Leute zu den Wahlurnen zu bewegen – darunter Urlaub, finanzielle Anreize und Druck. Denn ob ein Bürger gewählt hat oder nicht, wird mit einem Stempel im iranischen Familienbuch, dem Schenasnameh, vermerkt. Somit kann ein Wahlboykott negative Folgen haben, zum Beispiel am Arbeitsplatz in den vielen staatseigenen Firmen.

Von den 48,8 Prozent wiederum sind fast 13 Prozent ungültige Stimmen gewesen, was als Protest derjenigen zu verstehen ist, die sich zur Wahl gezwungen sahen. Zum Vergleich: Bei den deutschen Bundestagswahlen liegt der Anteil ungültiger Erst- und Zweitstimmen normalerweise bei rund 1 Prozent. Persische Oppositionsmedien, die alle ihren Sitz im Ausland haben, veröffentlichten Beispiele von ungültigen Stimmzetteln. Die Wähler sind dazu angehalten, den Namen ihres Favoriten auf den Zettel zu schreiben. Dabei müssen sich Millionen wahlberechtigter Analphabeten im Iran auf „Wahlhelfer“ verlassen, die bereitstehen, um den Zettel für sie auszufüllen.

Die anderen können auch Namen von „Kandidaten“ eintragen, die nicht zu Wahl stehen. Ein „Protestwähler“ schrieb zum Beispiel „Neda Agha-Soltan“ auf seinen Bogen – den Namen jener jungen Frau, die bei den Protesten gegen Wahlbetrug 2009 bei einer Demonstration erschossen wurde. Das Video ging damals um die Welt. Weiter präsentieren die Oppositionsmedien Bilder mit langen Schlangen von Wählern vor den Wahllokalen, mit denen die Regierung die „hohe“ Beteiligung feierte. Wartezeiten gab es aber lediglich an einigen wenigen Orten in Großstädten. Die Bilder und Videos zeigten trotz sommerlicher Temperaturen teils Männer mit Mützen und dicken Jacken, teils wurde ein und dasselbe Bild für Nachrichten aus verschiedenen Teilen des Iran verwendet.

Ungewisse Zukunft

Unabhängig davon, wie viel an den Zahlen manipuliert wurde, hat das Regime offensichtlich keinen Rückhalt mehr im Volk. Proteste sind zu erwarten, aber das Ausmaß ist fraglich. Der Widerstand wurde immer wieder gebrochen. Nicht nur von der Brutalität der Revolutionsgarden, sondern auch von der Gleichgültigkeit des demokratischen Westens.

Es bleibt zu hoffen, dass ein Massenmörder als Präsident, mit dem man nicht verhandeln kann, die USA und die EU von ihrem Kuschelkurs abbringt und die iranische Opposition stärkt. Oder sie werden Raisi von der Sanktionsliste streichen, ihm zur gewonnenen Wahl gratulieren und alles geht weiter wie gehabt. Es ist verständlich und nahezu verantwortungsbewusst, dass der Westen eine Konfrontation mit dem Iran vermeiden will. Aber wenn diese Konfrontation nur immer weiter aufgeschoben wird, könnte das am Ende schlimmere Folgen haben. Schon seit Jahrzehnten zahlen iranische Oppositionelle und Israel einen hohen Preis für diese Politik.

Von: Carmen Shamsianpur

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