WASHINGTON (inn) – Der frühere US-Präsident Jimmy Carter hat den internationalen Boykott gegen die Hamas-Regierung als „Verbrechen“ bezeichnet. Zudem bekräftigte er seinen Vorwurf an Israel, gegenüber den Palästinensern würden mehr Menschenrechte unterdrückt als im Südafrika der Apartheid.
„Er ist ein Verbrechen gegen das Volk von Palästina“, sagte Carter über den Boykott im Gespräch mit dem US-Sender „CBC News“. „Denn Kanada und andere bestrafen das palästinensische Volk dafür, dass sie ihre Kandidaten gewählt haben. Ich denke, das ist buchstäblich ein Verbrechen.“
Carter reagierte auch auf Kritik an seinem neuen Buch „Palestine: Peace Not Apartheid“ („Palästina: Frieden statt Apartheid“). „Es gibt wegen dieser schlecht beratenen Politik in vielerlei Weise eine ernsthaftere Beraubung von Menschenrechten unter den Palästinensern, als es sie selbst in Südafrika gab“, so der Friedensnobelpreisträger von 2002 in dem Interview. „Ich missbillige die Selbstmordanschläge so sehr oder noch mehr als das, was Israel gegen das palästinensische Volk getan hat. Es ist auf beiden Seiten schrecklich und sollte beseitigt werden. Aber man muss die Fakten anschauen.“
Als die radikal-islamische Hamas im Januar gewählt wurde, sei die Autonomiebehörde bereits bankrott gewesen, fügte Carter hinzu. Sie habe Polizisten, Feuerwehrleute und Regierungsangestellte nicht mehr bezahlen können.
Die israelische Reaktion auf die Entführung der Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev durch die Hisbollah nannte er „überhöht im Vergleich zu dem, was nötig war“.
Kritik von Parteifreunden und Wissenschaftlern
Carter hat mit seinem Buch auf verschiedenen Seiten Kritik hervorgerufen. Vorwürfe kamen beispielsweise von mehreren seiner demokratischen Parteifreunde. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sagte: „Bei allem Respekt vor dem früheren Präsidenten Carter – er spricht nicht für die demokratische Partei über Israel.“
Jüdische Gruppierungen monierten die Verwendung des Ausdrucks „Apartheid“. Carter zeige damit Befangenheit gegenüber Israel, schrieb das Simon Wiesenthal-Zentrum in einer Mitteilung. „Es gibt keine israelische Apartheidpolitik, und Präsident Carter weiß das.“
Auch amerikanische Wissenschaftler schlossen sich der Kritik an. Der Juraprofessor an der Harvard-Universität, Alan M. Dershowitz, bezeichnete das Buch als „ahistorisch“. David Makovsky, der das Projekt über den Nahostprozess am Institut für Nahostpolitik in Washington leitet, bedauerte: „Ich habe so viele Fehler gefunden.“
Ex-Berater tritt zurück
Carters ehemaliger Berater Kenneth W. Stein zog gar Konsequenzen aus den Unregelmäßigkeiten, die er nach eigenen Angaben in dem Buch entdeckt hat: er beendete nach 23 Jahren seine Mitarbeit im Carter-Zentrum in Atlanta. In einem zweiseitigen Brief erklärte der Historiker und Politikwissenschaftler laut der Zeitung „New York Times“ seinen Schritt. Das Buch sei „voll gestopft mit sachlichen Fehlern, kopierten Materialien ohne Quellenangabe, deutlichen Auslassungen und einfach erfundenen Abschnitten“.
Er habe in ähnlichen Worten einen privaten Brief an Carter geschickt, aber keine Antwort erhalten, berichtete Stein. „In dem Brief habe ich ihm mitgeteilt: ‚Es ist Ihr Vorrecht, alles zu schreiben, was Sie wollen‘. Das ist nicht der Grund dafür, dass ich zurücktrete.“ Er respektiere die Leistungen des ehemaligen Präsidenten, habe aber den Eindruck, sich selbst vom Carter-Zentrum und dem Buch distanzieren zu müssen. „Es geht darum, wie Geschichte geschrieben werden sollte.“ Man könne nicht einfach „aus dem hohlen Bauch heraus Geschichte schreiben und erwarten, dass sie glaubwürdig ist“.
Carters Sprecherin Deanna Congelio übermittelte seine Reaktion auf den Vorfall: „Auch wenn Professor Kenneth Stein seit über zwölf Jahren nicht aktiv in das Carter-Zentrum involviert war, bedauere ich seinen Rücktritt.“ Stein hatte das Institut von 1983 bis 1986 geleitet.
Nach eigenen Angaben wollte der Autor mit seinem umstrittenen Buch eine Debatte über die israelische Politik auslösen, an der es in den USA mangele. „Es gibt ein fast durchgängiges Schweigen über alles, was kritisch gegenüber der aktuellen Politik der israelischen Regierung sein könnte“, sagte er laut „CBC News“.