Die ehemalige SWR-Moderatorin Helen Fares empfahl Anfang April die App „No Thanks“ in einem Instagram-Video. Anhand eines Markennamens oder Strich-Codes kann der Nutzer damit herausfinden, ob bei einem Produkt im Supermarkt eine Verbindung zu Israel besteht. Geht es nach den Entwicklern, dürfte der Nutzer eigentlich so gut wie gar keine Produkte mehr erwerben.
Denn sehr viele Firmen sind laut „No Thanks“ zu meiden, weil sie einen Bezug zu Israel haben: Disney, der Softwarehersteller SAP, der Musiksender MTV, die deutsche Limonade Fanta, die Sportkonzerne Adidas und Nike, Mars und Unilever, H&M, Nescafé, Coca-Cola, NVIDIA, Pizza Hut oder Toblerone, um nur einige wenige zu nennen.
Einige Unternehmen stehen nur deswegen auf der Boykottliste, weil sie die Terroranschläge der Hamas vom 7. Oktober verurteilten, bei denen 1.200 Israelis ermordet und 253 Menschen nach Gaza entführt wurden. Die App „No Thanks“ („Nein, danke“) beruft sich auf Websites wie „Boycotzionism“ oder „Ulastempat“. Programmiert hat sie der 25-jährige Ahmed Bashbash, der aus den Palästinensergebieten stammt, zum Studium aber nach Ungarn auswanderte.
Auf der Social Media-Plattform „TikTok“, die vor allem unter Jugendlichen beliebt ist, wurde vielfach in privaten Videos für die App geworben. Dadurch gewann die anti-israelische Boykott-App in den vergangenen Wochen enorm an Popularität. Millionen von Nutzern hatten sich Influencer-Videos angesehen, welche die App bewarben. Das führte zu einem Zuwachs der Download-Zahlen von „No Thanks“ um fast eine Million in vier Monaten.
Erinnerung an 1933
Wie die „Deutsche Welle“ berichtet, fühlten sich viele Social-Media-Nutzer in Deutschland bei solchen Boykottaufrufen an den nationalsozialistischen Aufruf von 1933 „Kauft nicht bei Juden“ erinnert. Daran erinnerte auch Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, im DW-Interview. Ein Vergleich damit sei allerdings problematisch, da dieser die Gefahr berge, den Nationalsozialismus zu verharmlosen.
Israel-Freunde können die App „No Thanks“ auch problemlos im umgekehrten Sinne verwenden: Was an Produkten auf der Boykottliste steht, unterstützt offenbar Israel – also sollte man genau diese Produkte kaufen. Allein unter einem Israelnetz-Artikel über die App meldeten sich mehrere Leser mit dem Hinweis, die App in diesem Sinne zu verwenden, um im Supermarkt Produkte zu finden, deren Kauf Israel unterstützen könnten. „Leute, kauft israelische Produkte was das Zeug hält“, schrieb einer der Leser, „Am Yisrael Chai!“
Wie wirksam sind Boykott-Aufrufe?
Seit ihrer Veröffentlichung haben die „No Thanks“-Entwickler über X (ehemals Twitter) Behauptungen aufgestellt, die nachweislich falsch sind. Im Dezember behaupteten sie beispielsweise, dass Starbucks durch weltweite Boykottbemühungen gegen Israel 12 Milliarden US-Dollar verloren habe. Auf dem Account der App bei X hieß es am 1. Mai, es gebe inzwischen 100 Millionen Nutzer, und der Boykott sei nicht länger nur ein „Trend“, sondern ein „neuer Lebensstil“.
Für Ejal Cohen, einen israelischen Experten für Software- und App-Engineering, besteht das Problem mit der App darin, dass „es den Boykott sehr einfach macht, ohne tief in die Materie graben zu müssen“, sagte er gegenüber „The Times of Israel“. Cohen verglich die App mit den Campus-Protestlagern, die seit April an Universitäten in den USA entstanden. „Viele Menschen wollen wirklich Teil von etwas sein. Es spielt keine Rolle, ob es gerechtfertigt ist, solange sie sich davon inspiriert fühlen“, sagte Cohen.
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Mark Yudof, Vorsitzender des „Academic Engagement Network“, sagte gegenüber CNN, dass Boykotte gegen Israel aus mehreren Gründen nicht wirksam seien. Yudof, ehemaliger Präsident der Universität von Kalifornien, sagte: „Es ist manchmal einfach unklar, wer in Israel Geschäfte macht und welche Beziehung zum Krieg besteht.“ Er wisse nicht, ob sich auch nur eine einzige amerikanische Universität trotz jahrelangen Drucks aus Israel zurückgezogen habe. „Ich glaube nicht, dass das passieren wird“, ergänzte Yudof.
Ein TikTok-Nutzer namens „TheModerateCase“ sorgte für Aufsehen, als er Zweifel äußerte an der Wirksamkeit von Boykott-Aufrufen wie bei der App „No Thanks“. Der Nutzer präsentierte in seinem Video die Entwicklung der Börsenkurse mehrerer Firmen, die man laut der App boykottieren sollte. Fast alle Firmen der Liste hätten seit Beginn der Boykottbemühungen im vergangenen Oktober ein Wachstum verzeichnet, darunter Apple, Google, Starbucks und HP.
McDonald’s gewann in den vergangenen sechs Monaten 8 Prozent dazu, Burger King sogar 20 Prozent. Google gewann 15 Prozent hinzu. Bei HP waren es18 Prozent.“
Jonah Cohen, Kommunikationsdirektor des Komitees für Genauigkeit bei der Nahost-Berichterstattung in Amerika, sagte gegenüber der „Times of Israel“: „Die Anti-Israel-Boykottbewegung ist seit Jahrzehnten ein kläglicher Misserfolg, und die Einführung einer App wird ihren Abwärtstrend nicht ändern. Der Grund ist einfach: Der israelische Einfallsreichtum erregt ständig weltweites Interesse und Aufregung, während die Boykotteure immer nur langweilige Negativität und Ressentiments hervorrufen.“ Er fügte hinzu: „Der gesamte technische Schnickschnack der Welt kann die wenig inspirierende Idee im Herzen ihrer gescheiterten Bewegung nicht verbergen.“
Verluste nach Boykott gegen McDonald’s
Dennoch sind die Umsätze beispielsweise von McDonald’s seit Beginn des Israel-Hamas-Kriegs im Oktober tatsächlich zurückgegangen. Weltweit war ein Boykott ausgerufen worden, besonders in arabischen und muslimischen Ländern, mit der Behauptung, die Fast-Food-Kette habe die Kriegsanstrengungen Israels unterstützt – eine Behauptung, die das Unternehmen energisch bestreitet.
Der Inhaber des israelischen Franchise-Nehmers Omri Padan hatte sich nach den Gräueltaten vom 7. Oktober entschieden, kostenlose Mahlzeiten an israelische Soldaten zu verteilen. Padan war 30 Jahre lang Inhaber der Franchise von McDonald’s Israel und baute eine Kette von 225 Filialen mit 5.000 Mitarbeitern auf.
Im Januar sprach der McDonald’s-Konzernchef Chris Kempczinski über „erhebliche geschäftliche Auswirkungen“ auf den Markt der Kette im Nahen Osten und in muslimischen Ländern außerhalb der Region wie Malaysia und Indonesien. Diese seien eine Folge des Krieges und dessen, was er als „damit verbundene Fehlinformationen“ bezeichnete. Der Vorstandsvorsitzende stellte in einer Erklärung im November 2023 klar: „McDonald’s finanziert oder unterstützt keine Regierungen, die an diesem Konflikt beteiligt sind, und alle Maßnahmen unserer lokalen Lizenznehmer wurden unabhängig und ohne den Inhalt oder die Zustimmung von McDonalds durchgeführt.“
CNBC berichtete, dass die Distanzierung durch McDonald’s von den Aktionen seines israelischen Franchisenehmers nicht geholfen habe und in mehreren arabischen Ländern die Verkäufe nach Beginn des Boykotts im Vergleich zum Vormonat um 50 bis 90 Prozent zurückgegangen seien. Im Libanon griffen Demonstranten McDonald’s-Filialen an und zerstörten sie, und in London umzingelten pro-palästinensische Demonstranten Filialen der Fast-Food-Kette und riefen „Schämt euch“. Der Aktienkurs von McDonald’s ist seit Jahresbeginn um 10 Prozent und in den vergangenen 12 Monaten um 5,5 Prozent gefallen.
Wieder sind amerikanische Universitäten aufgerufen zum Boykott
Pro-palästinensische Aktivisten, die seit April auf dem Campus der Columbia-Universität demonstrieren, fordern die Hochschulen im Land auf, Investitionen in Unternehmen zu beenden, die auf irgendeine Weise mit der Offensive Israels zusammenhängen.
Diese Art des Boykottaufrufs ist nicht neu. Bereits vor 40 Jahren brachten Proteste die Columbia-Universität dazu, Aktien im Wert von 39 Millionen US-Dollar von vier Unternehmen zu verkaufen, die mit dem Südafrika der Apartheid-Ära Geschäfte machten. Weitere 150 Hochschulen taten später dasselbe. Vor vier Jahren hörte Yale auf, in Unternehmen zu investieren, die Angriffswaffen an die Öffentlichkeit verkaufen.
Könnte etwas Ähnliches nun in Bezug auf die Pro-Palästina-Bewegung bevorstehen? Die Universitäten Columbia, UCLA und Harvard haben die Forderungen rundweg abgelehnt, berichtet die israelische Tageszeitung „Ha’aretz“. „Das könnte sich natürlich ändern, wenn die Proteste anhalten und die öffentliche Meinung Israel gegenüber immer feindseliger wird – aber es würde Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis dieser Prozess Wirkung zeigt“, heißt es in der Analyse weiter.
Der Autor schreibt: „Ein erfolgreicher Boykott von Unternehmen, die vom Gazakrieg oder der Besatzung profitierten, würde, um wirksam zu sein, eine längere öffentliche Massenunterstützung erfordern, und die gibt es einfach nicht.“ In einer Umfrage des „Pew Research Center“ aus dem Jahr 2022 hätten über 80 Prozent der Amerikaner angegeben, wenig oder gar nichts über die Bewegung „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“ (BDS) zu wissen; nur 5 Prozent gaben an, dass sie sie befürworteten.
Die langfristige Wirkung der Boykotte sei „nahezu gleich Null“, schreibt der „Ha’aretz“-Autor und fügt hinzu: „Die Boykotteure hätten den Palästinensern mehr geholfen, indem sie Geld an entsprechende Wohltätigkeitsorganisationen gespendet und weiterhin ihren Latte genossen hätten.“
Israel-Boykott so alt wie Israel selbst
Bereits in den 1980er Jahren versuchten Palästinenser bei der sogenannten „Ersten Intifada“ zunächst mit Steuerstreiks, dem Boykott israelischer Waren und Demonstrationen, ein Ende der Besatzung erzwingen. Während der „Zweiten Intifada“ setzten Palästinenser statt auf Wirtschaftsboykotte auf Terroranschläge in Israel.
Die Ursprünge des arabischen Boykotts gegen Israel liegen sogar noch weiter zurück: Der palästinensisch-arabische Kongress, das inoffizielle politische Selbstverwaltungsgremium der arabischen Palästinenser, beschloss 1922 erstmals einen quasi-institutionellen Boykott gegen den Jischuw, die jüdische Gemeinschaft in Palästina. Araber sollten nicht in jüdischen Geschäften in Jerusalem, Jaffa, Haifa einkaufen, lautete der Aufruf. Wer sich nicht daran hielt, der bekam Schläge oder Dreck und Exkremente über den Kopf gegossen. Die Gründung und Entfaltung des Staates Israel konnte so dennoch nicht verhindert werden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und nach der Staatsgründung Israels 1948 wurde der Boykott des Jischuw zur offiziellen Politik der neu gegründeten Arabischen Liga, stellt die Historikerin Ulrike Becker in einer Arbeit zu dem Thema fest. Höhepunkte des arabischen Boykottes seien dann die Ölkrise 1973 und der Libanon-Krieg 1982 gewesen. „Zu dieser Zeit begannen einige westliche Firmen Israel ohne Aufforderung von arabischer Seite zu boykottieren. Von 1979 an, beginnend mit dem Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel, beendeten einige arabische Länder den Boykott gegen Israel ganz oder teilweise.“
8 Antworten
Danke für den interessanten Bericht. Die App umgekehrt nutzen, ist eine gute Idee.
Ich hoffe, es kommen wieder bessere Zeiten, in denen solche Boykottdrohungen nicht länger gefragt sind.
Es gibt ja immer noch viele vernünftige Menschen, schwierig wird es nur, wenn der Islam ich immer weiter ausbreiten sollte. Das muss verhindert werden !
Verhindert werden muss die israelische Siedlungspolitik aber ebenso
Was hat das mit dem Islam zutun.? Nichts. Ich bin selbst Jüdin und finde das Verhalten der israelischen Regierung inakzeptabel. Ich bin die Enkelin eines holocaust Überlebenden und er hat sich für die Regierung Israels immer geschämt. So sollte Israel nicht sein. Nur Hass von beiden Seiten und das ist schrecklich. Frieden für alle.
Unfassbar, was da abläuft. So ein Hass auf Juden und Israel erinnert mich an dunkle Zeiten.
Ich bin weder bei X noch auf TikTok. Und werde, falls ich es weiss, jetzt erst recht genau das Gegenteil tun. LG an Israel ❤
Du bist so stecken geblieben, schau dir den Rassismus in der israelischen Regierung an!
Es gab mal eine Zeit, da hieß es: „Kauft nicht bei Juden“. Die SWR-Moderatorin Helen Fares lässt diese Zeit wieder auferstehen und das in einem Land, in dem Politiker regelmäßig das Mantra: „Nie wieder“ herunter beten.
Nie wieder Völkermord! Und wir als deutsche schauen zu! In 4 Monaten hat das israelische mehr kinder getötet als sonst irgendwo auf der Welt gestorben sind!
Das kennen wir doch:
Der Aufdruck „Made in Germany“ sollte ursprünglich Kunden in Großbritannien und den USA vor Produkt-Kopien aus dem Deutschen Reich warnen. Doch der Schuss geht nach hinten los: Das Siegel wurde bald zum unverkennbaren Qualitätsmerkmal der besseren deutschen Waren.