BE’ER SCHEVA (inn) – Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung ist von der Entwicklungsstörung Autismus betroffen. In der Regel tritt diese vor dem dritten Lebensjahr auf. Oftmals erkennen Ärzte erst spät im Kleinkindalter Autismus. Eine israelische Studie zeigt jedoch neue Möglichkeiten: Mit Ultraschall-Untersuchungen kann schon vor der Geburt eine Veranlagung von Autismus erkannt werden. Babys und Kleinkinder könnten somit früher und gezielter gefördert werden.
Herausgefunden haben dies Mediziner der Ben-Gurion-Universität des Negev und des Soroka-Krankenhauses in Be’er Scheva. Ihre Studienergebnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift „Brain“.
Anomalien sind ein Indiz
Um eine verallgemeinernde Aussage treffen zu können, untersuchten die Wissenschaftler hunderte Ultraschall-Untersuchungen von werdenden Müttern, die sich in der Mitte der Schwangerschaft befanden. Sie entdeckten bei etwa 30 Prozent der Föten Anomalien in Herz, Nieren und Kopf. Später entwickelten diese Babys teils Autismus. Diese Anomalien waren etwa dreimal so stark, wie bei Babys ohne Autismus.
Außerdem erkannten die Forschenden: Je stärker die Anomalien sind, desto stärker ist der spätere Autismus. Die Anomalien wurden vermehrt bei Mädchen festgestellt, wobei Jungen weltweit gesehen häufiger von Autismus betroffen sind.
Der Wissenschaftler Idan Menasche, der an der Studie beteiligt ist, erläutert die Anschlussfähigkeit der Ergebnisse: „Ärzte können diese Anzeichen, die während einer gewöhnlichen Ultraschall-Untersuchung erkennbar sind, nutzen, um die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, dass das Kind mit Autismus geboren wird.“
Kinder, die mit angeborenen Krankheiten auf die Welt kommen, haben ein höheres Risiko für Autismus, ergänzte Menasche. Dazu gehörten etwa Herzprobleme. Doch die Studie könne den Betroffenen Mut machen: Eine Diagnose vor der Geburt könne dazu führen, dass die Babys von Anfang an besonders gefördert werden. Anstatt erst im zweiten oder dritten Lebensjahr einzugreifen, kann dies früher geschehen. Eine vorausgegangene Studie machte auf die Erfolgschancen aufmerksam: Eine frühe Diagnose und Behandlung steigert die Fähigkeit, ein übliches soziales Leben zu führen, um das Dreifache. (joh)
7 Antworten
Hoffen wir, dass es wirklich nur dazu benutzt wird, diesen Kindern zu helfen. Zum Zeitpunkt der Erkennung wären ja zumindest in Teilen der Welt die Zeit vorbei, in der ein Kind abgetrieben werden darf. Leider gibt es auch Länder, wo dies bis zum letzten Monat möglich ist. Hier könnte Tür und Tor geöffnet werden, um „Behinderte“ noch rechtzeitig, bevor sie geboren sind zu „entsorgen“.
Das ist zu befürchten. Liegt es dann nicht zumindest in Israel in der Verantwortung und am Karakter eines Arztes, den Eltern die Information über den erkannten Autismus erst nach der Geburt bekannt zu geben. ?
Wohl kaum, dann würde der Arzt von den Eltern verklagt werden können.
Heute habe ich gelesen, dass in Kolumbien nun Abtreibungen bis zur 24. Woche möglich sein sollen. Und dann ein armes Land, das vielleicht nicht auf Förderung von solche Kindern eingerichtet ist. Ich sehe da schon, dass so manches Kind abgetrieben werden wird, das ohne diese Diagnostik eine Lebenschance hätte. Für mich stellt sich die Frage, wenn diese Untersuchung in der Mitte der Schwangerschaft feststellen kann, dann sollte es doch auch noch kurz vor der Geburt möglich sein. Und damit kann die Förderung auch sofort nach der Geburt einsetzen.
Für mich wäre es etwas anderes, wenn man eine Erkrankung noch im Mutterleib operieren könnte (solche Eingriffe kommen ja auch vor). Aber das ist hier ja nicht der Fall.
Wenn diese Studien dazu Dienen, das solchen Kindern in ihrem weiteren Leben besser geholfen werden kann dann ist das aus Positiv zu bewerten. Aber wie oft werden solche Kinder schon im Mutterleib getötet? Wenn ich diesen Satz lese: „Ärzte können diese Anzeichen, die während einer gewöhnlichen Ultraschall-Untersuchung erkennbar sind, nutzen, um die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, dass das Kind mit Autismus geboren wird.“ Dann stellt sich für mich durchaus die Frage “ Und dann?“ Ich hoffe daß es dadurch zu keiner „Entsorgung“ kommt
Die Studie suggeriert Erkenntnissicherheit. Entsprechend guter klassischer Wissenschaftstradition sollten diese Ergebnisse aber von anderen überprüft werden, um eine bessere Einschätzung über die hier verbreitete Interpretation erhalten zu können.
Den Befürchtungen der hier Kommentierenden kann ich mich ganz anschließen. Sie sind leider nicht pessimistisch, sondern höchst realistisch!
Als Eltern zweier Kinder (bzw. jetzt Jugendlicher) mit Autismus-Diagnose halten wir die Formulierung, dass ein Prozent der Weltbevölkerung an Autismus „leidet“ zumindest für fragwürdig. Leiden wirklich alle Betroffenen darunter?
Auch die Einstufung von Autismus als Krankheit ist auch unter Experten umstritten. Viele bezeichnen sie als Entwicklungsstörung, manche schlichtweg als eine Form des „In-der-Welt-Seins“.
Die Möglichkeit der Früherkennung birgt meiner Meinung nach Chancen und Risiken für das Kind zugleich, bis auf die Gefahr hin, dass es „abgetrieben“ wird.
Danke für den Hinweis – wir haben es nun etwas neutraler formuliert.