In bester Erinnerung sind mir der Mathelehrer Monsieur Attas und vor allem Madame Denise Benaquin geblieben, eine imposante Frau, die mir die Liebe zur Archäologie, dem alten Ägypten und auch zum Heiligen Land mitgegeben hat. Von Holocaust, Juden und Israel hatte ich kaum Ahnung, was sich bald änderte, als 1966 sechs Israelis in meiner Klasse saßen. Ich, der einzige Deutsche, freundete mich schnell mit ihnen an und begann sogar, ein wenig Hebräisch aufzuschnappen. Obgleich meine meisten Lehrer und Mitschüler Juden waren, wie ich mit der Zeit erfuhr, gab es nur einen einzigen unangenehmen Zwischenfall. Madame Benaquin ermahnte mich, besonders aufzupassen, weil der Lehrstoff mich besonders interessieren sollte. „Wieso?“, fragte ich. „Es geht um Anne Frank.“ Erneut fragte ich ahnungslos: „Wieso sollte mich das mehr interessieren als alle anderen Schüler?“
Mit meinen israelischen Klassenkameraden halte ich bis heute Kontakt. 1968 reiste ich zum ersten Mal nach Israel, von der deutschen Vergangenheit weitgehend unbelastet. Denn ich fuhr dorthin, um meine alten Freunde zu besuchen und nicht im Büßergewand mit Asche auf dem Haupt. Später, während des Studiums, bin ich dann nach Israel gezogen und habe mich intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Notgedrungen wird man in Israel mit Holocaust und Nazitum ständig konfrontiert.
Unerwartetes „Klassentreffen“
Vor einem halben Jahr erhielt ich ganz unerwartet einen Anruf von Danielle Benaquin, der Tochter meiner bewunderten Geschichtslehrerin aus Paris. Sie wollte mit ihrer Mutter nach Israel kommen, „zu einem Familienbesuch“. Plötzlich fiel bei mir ein Groschen. Sie war also Jüdin und hatte mich deshalb so gedrängt, beim Thema Anne Frank aufzupassen.
Wenig später kamen sie nach Jerusalem. Ich hatte zum Abendessen auch noch meinen alten Freund Oded Golan und seine Frau Simona eingeladen. Beide hatte ich vor 50 Jahren in Paris kennen gelernt. Oded hatte mich damals zum Pessach-Abend bei seiner Familie eingeladen. Das war ein unvergessenes aufregendes Erlebnis. Die „Haggadah“, das Büchlein, aus dem die Geschichte vom Auszug aus Ägypten verlesen wird und die Lieder, die dabei gesungen werden, habe ich bis heute aufbewahrt. So kam ein kleines „Klassentreffen“ mit unserer Lehrerin in Jerusalem zustande.
Madame Benaquin hat sich erst einmal „entschuldigt“, 50 Jahre später. Bis heute sei ihr in Erinnerung geblieben, wie sich mich wegen Anne Frank angemahnt habe. Das sei ein schwerer Fehler gewesen. Lachend konnte ich ihr bestätigen, dass das auch mir als Schüsselerlebnis in Erinnerung geblieben sei. Dann erzählte sie aus ihrem Leben. Sie war in Alexandrien geboren und sei dort schon Lehrerin gewesen, zusammen mit dem Mathelehrer Monsieur Attas. 1956, infolge des Sinai-Krieges, seien sie als Juden von den Ägyptern vertrieben worden und nach Paris gezogen.
Zum Abschied erzählte sie, in Tel Aviv noch an einem weiteren Klassentreffen teilnehmen zu wollen! Wieso das? Es stellte sich heraus, dass fast alle ihre Schüler aus dem ägyptischen Alexandrien heute in Israel leben. Sie seien alle vertrieben worden.
Immer weniger Juden in arabischen Ländern
Wegen des Pessachfestes, das an den Auszug aus Ägypten vor etwa 4.000 Jahren erinnert, wird in den israelischen Medien viel über die Juden in arabischen Ländern berichtet. In Alexandrien sei vor kurzem von der ägyptischen Regierung die letzte Synagoge geschlossen worden.
Am Sonntag berichtete der 1994 aus Syrien eingewanderte Journalist Jakov Esra: „Heute gibt es keinen einzigen Juden mehr in Syrien.“ Die letzten seien bei Ausbruch des Bürgerkriegs aus Aleppo und Damaskus geflohen. Man bedenke, dass Aleppo seinen Namen von Abraham erhalten habe, weil der dort Milch, „Chalab“, verteilt hat. In Syrien endete also vor drei Jahren die traditionsreiche Geschichte einer durchgehend seit 3.000 Jahren präsenten jüdischen Gemeinde, die vor 2.000 Jahren schon Paulus besucht hat.
Im Irak, wohin die Juden in biblischer Zeit im Rahmen des „babylonischen Exils“ gelangten und wo der „Babylonische Talmud“ entstanden ist, gibt es angeblich nur noch 13 Juden. In Afghanistan sind nur noch 2 verblieben. Im Jemen, wo seit König Salomon und der Königin von Saba bis 1950 noch über 100.000 Juden lebten, sind gemäß letzten Informationen weniger als 100 verblieben.
Im Jahr 2003 hat die 80 Jahre alte Rina Debach Libyen verlassen. Damit endeten 2.000 Jahre Geschichte. Sie war die letzte libysche Jüdin und ist inzwischen in Rom verstorben. Die jüdische Gemeinde in Libyen erlebte schon in der römischen Zeit eine Hochblüte.
Auch in anderen arabischen Ländern leben kaum noch Juden. In manchen Ländern wie Saudi-Arabien, gibt es keinen einzigen Juden mehr, obgleich dort einst der Prophet Mohammed noch Krieg gegen jüdische Stämme geführt hat, wie man im Koran nachlesen kann.
Um die letzten Juden in der arabischen Welt zu schützen, verweigert die Jewish Agency jegliche Auskunft über die Zahl der noch verbliebenen Juden.