TEL AVIV / SCHAMA (inn) – Verstoßen israelische Soldaten gegen armeeeigene Regeln der Kriegsführung? Diese Frage wird auch in Israel immer wieder diskutiert, wenn konkrete Vorwürfe öffentlich werden. Nun hat ein tödlicher Vorfall im Südlibanon dazu geführt, dass Generalstabschef Herzi Halevi ein Gremium einsetzen ließ: Es soll „die operative Disziplin und die militärische Kultur im Kampf stärken“.
„Die Gruppe wird sich mit der Formulierung eines detaillierten Lagebildes in Bezug auf die Einhaltung der Einsatzdisziplin, von Befehlen und Verfahren der Armee, von Verhaltensregeln und -normen in Armeeeinheiten an beiden hauptsächlichen Kampffronten – dem Norden und dem Süden – beschäftigen“, teilte das Militär am Donnerstagvormittag mit. In rund zwei Wochen soll sie dem Generalstabschef Empfehlungen vorlegen.
Aktueller Anlass für die Entscheidung: Am Mittwoch war der 70-jährige Israeli Se’ev Hanoch Erlich (genannt Dschabo) bei einem Zusammenstoß mit Hisbollah-Terroristen im Südlibanon ums Leben gekommen. Laut Medienberichten, die sich wiederum auf Angaben der Armee beziehen, war Erlich zu diesem Zeitpunkt nicht im aktiven Armeedienst, also eigentlich Zivilist.
Armee führt Erlich offiziell als „Gefallenen“
Warum war er dann überhaupt im Südlibanon, einem aktiven Kriegsgebiet, unterwegs? Erlich, der Geschichte studiert hat, erforschte seit langem die Geschichte Israels. Als Pionier der Siedlung Ofra in Samaria, dem nördlichen Westjordanland, hatte er sich mit seiner Arbeit zu Geschichte Judäa und Samarias insbesondere unter Siedlern einen Namen gemacht.
Ersten Erkenntnissen zufolge wollte Erlich nun im libanesischen Ort Schama, etwa fünf bis sechs Kilometer hinter der Grenze, eine antike Festung untersuchen. Unterwegs war er demnach mit Soldaten der Golani-Brigade. Dabei soll er selbst in Uniform und bewaffnet gewesen sein. Auch Golani-Stabschef Joav Jarom war dabei. Von der höheren Ebene war der Besuch des Zivilisten Erlich im Kriegsgebiet ersten Darstellungen zufolge jedoch nicht genehmigt – ein Verstoß gegen die Regeln der Armee.
Während der Unternehmung sollen dann nach medialer Darstellung zwei Hisbollah-Terroristen aus der Deckung gekommen sein. Sie erschossen Erlich und zudem einen 20-jährigen Soldaten. Stabschef Jarom wurde verletzt. Medienberichten zufolge war es womöglich nicht Erlichs erster Besuch im Südlibanon seit Kriegsbeginn. Er wird nun von der Armee offiziell als ein „im Kampf“ Gefallener geführt.
Gab es eine politische Absicht?
Die Einzelheiten des Vorfalls sind noch offen. Die Online-Zeitung „Sman Israel“ warf dem Golani-Stabschef am Donnerstag vor, seine Soldaten zu gefährden, um einen Archäologen zu beschützen, der eine alte Festung besichtigen wollte. Das Portal hinterfragte auch Erlichs Absicht beziehungsweise die Absicht der Armee-Verantwortlichen. Demnach sei Erlich der Auffassung gewesen, dass jeder Ort, an dem es einstmals eine jüdische Präsenz gegeben habe, wieder besiedelt werden müssen.
„Sman Israel“ und die linksliberale „Ha’aretz“ verweisen auf einen Telegram-Beitrag der Organisation „Ori Zafon“, die sich für die Besiedlung des Südlibanon einsetzt. Darin erklärt die Organisation, Erlich habe eine Karte gehabt mit jüdischen Stätten im Libanon, „die ausgegraben werden müssen, wenn das Gebiet unter unserer Hoheit ist“.
Smotritsch betrauert Erlich
Unterdessen machte ein Bruder des Verstorbenen der Armee Vorwürfe: Anders als deren Sprecher gesagt habe, sei sein Bruder als Reservist eingeschrieben und als Soldat im Feld gewesen: „Er war vollständig anerkannt als Soldat und betrat den Libanon mit Zustimmung und Begleitung der Armee, wenn auch für archäologische Forschung, so wie er es auch in Judäa und Samaria immer getan hat.“
Vor allem Vertreter der nationalreligiösen Szene Israels zeigten sich von Erlichs Tod erschüttert. Viele hoben sein umfangreiches historisches Wissen und seine Aktivitäten zur Erforschung des Landes hervor. So erklärte Finanzminister Bezalel Smotritsch (Religiöser Zionismus), Erlich sei ein Mann der Liebe zum Volk, zur Tora und zum Land Israel gewesen.
Der Jescha-Rat, eine Dachorganisation der Siedlungen, bezeichnete Erlich als „eine der Säulen der Besiedlung“ und eine „wandelnde Legende“: „Über viele Jahre hinweg engagierte er sich ehrenamtlich und half Kämpfern in den verschiedenen Gebieten, Dörfer und Orte kennenzulernen.“
Siedleraktivistin Weiss schaute sich im Gazastreifen um
Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein israelischer Zivilist offenbar unter Verstoß gegen Armeeregeln im unmittelbaren Kriegsgebiet aufhält. Erst Mitte November war Daniela Weiss, eine der bekanntesten Siedleraktivisten Israels, laut dem israelischen Fernsehsender „Kan“ mit Hilfe von Soldaten in den Gazastreifen gelangt. Weiss sah sich offenbar vor Ort um, um ihr großes Ziel praktisch voranzutreiben: die jüdische Wiederbesiedlung des Gazastreifens.
Der konkrete Fall Se’ev Erlich ist nun auch ein Fall für die Militärpolizei. Diese hat nach Armeeangaben eine eigene Untersuchung eingeleitet. An deren Ende sollen die Ergebnisse an die Militärstaatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Auch im Umfeld des Chefs des Nordkommandos, Ori Gordin, wird der Vorfall untersucht. (ser)
2 Antworten
Im Libanon ist Krieg. Da sterben Menschen.
Der Tote war in Armeebekleidung, also nicht als Zivilist gekennzeichnet. Ich wünsche mir, wenn ich im Dezember wieder in Israel bin, dass Waffen schweigen auf beiden Seiten. All die Toten und wo sind die Geiseln?
OT: Heute ist eine 96 Jährige deutsche Nazi, verehrt von Rechten, verstorben. Sie leugnete bis zu ihrem Ende, dass in Auschwitz- Birkenau Juden vergast wurden. Es wäre ein Arbeitslager gewesen. Möge der EWIGE sie strafen. Das Böse lebt lange…..!
Verstoßen israelische Soldaten gegen armeeeigene Regeln der Kriegsführung? Ja, manchmal.