JERUSALEM (inn) – Israelische Juden und Araber sind glücklich, in Israel zu leben, wollen aber nicht zusammenwohnen. Weltliche und ultraorthodoxe Juden bevorzugen separate Wohnviertel. Aschkenasische und sephardische Juden, also Juden aus Europa und dem Orient, leben problemlos in gemeinsamen Ortschaften, gleichgültig ob sie „rechts“ oder „links“ sind. Das ergab der zweite Pluralismus-Index des „Jewish People Policy Institute“ (JPPI) durch eine Umfrage.
Der Index stellt fest, dass sich mehr als 90 Prozent der jüdischen Israelis und fast 80 Prozent der arabischen Israelis „wohl“ oder „sehr wohl“ fühlen. Doch beide Volksgruppen äußerten die Meinung, dass es „nicht weise“ sei, gemeinschaftlich im gleichen Ort zu leben. Arabische Israelis wollen, dass ihre Kinder zusammen mit Juden studieren. Doch israelische Juden wollen eher nicht, dass ihre Kinder mit Arabern studieren.
Säkular lebende Menschen stören sich an religiösen Nachbarn
Die weltlichen und ultraorthodoxen Juden glauben nicht, dass sie in gemeinsamen Vierteln leben sollten. Aber etwa die Hälfte der Orthodoxen behauptet, dass es ihnen nichts ausmache, mit weltlichen Juden im gleichen Viertel zu leben. „Vollständig säkulare“ Juden stören sich jedoch an religiösen Nachbarn. Die Umfrage ergab, dass 90 Prozent der Christen unter den arabischen Bürgern Israels ein Zusammenleben mit Moslems oder Juden in gemeinsamen Vierteln ablehnen, während sich die Moslems da toleranter äußerten.
Hierzu muss Lesern in Europa erklärt werden, dass alle genannten Gruppen nicht nur unterschiedliche Weltanschauungen vertreten, sondern einen jeweils sehr individuellen Lebensstil führen. In Vierteln mit einer mehrheitlich fromm-jüdischen Bevölkerung werden oft am Schabbat (von Freitagnachmittag bis Samstagnacht) die Durchgangsstraßen gesperrt, um jeglichen Autoverkehr zu unterbinden. Ebenso ist in frommen Wohngegenden am Schabbat lautes Radio oder Fernsehen verpönt. Das allein bedeutet eine erhebliche Einschränkung der Gewohnheiten weltlich ausgerichteter Israelis, die sich um die Religionsgesetze nicht kümmern und am Schabbat gerne Ausflüge machen.
Konfliktherd Gebräuche
Das Zusammenleben von Arabern und Juden kann auch zu Problemen führen, nicht nur wegen einer unterschwelligen gegenseitigen Feindseligkeit. So beachtet jede religiöse Gruppe einen anderen wöchentlichen Ruhetag: Moslems am Freitag, Juden am Samstag und Christen am Sonntag. Zu Konflikten können unterschiedliche Gebräuche führen, unter anderem der muslimische Gebetsruf des Muezzin ab morgens um 3 Uhr. Mit erheblicher Lautstärke wirft das die Menschen, auch die Nichts-Moslems, aus ihren Betten. Die überwiegende Mehrheit der israelischen Juden glaubt, dass Juden aus unterschiedlichen ethnischen Hintergründen oder mit gegensätzlichen politischen Ansichten in gemischten Nachbarschaften leben sollten.
Die Umfrage ergab, dass die Soldaten erheblich zum Erfolg Israels beitragen. Das sehen so auch Araber und Ultraorthodoxe, die selbst keinen Militärdienst absolvieren. Umgekehrt werden muslimische Araber und Ultraorthodoxe als jene Gruppen gesehen, die am wenigsten zum Erfolg der israelischen Gesellschaft beitragen. Die hohe Wertschätzung von Soldaten durch israelisch-muslimische Araber wurde als eine „Überraschung“ aufgenommen. Weniger verwunderlich war, dass diese arabischen Israelis die „Siedler“ als jene Gruppe sahen, die der Gesellschaft am wenigsten beiträgt. Abschließend wurde nach der Rede- und Meinungsfreiheit gefragt. Eine Mehrheit der Araber und fast die Hälfte der jüdischen Israelis sind sich einig, dass es in Israel zu viel Redefreiheit gebe.
„Viele Araber definieren sich als israelisch“
JPPI-Präsident Avinoam Bar-Josef stellte fest, dass der Pluralismus-Index am Vorabend des 69. israelischen Unabhängigkeitstags erneut zeige, dass der jüdische Staat mit großem Erfolg Diaspora-Juden aus mehr als 90 Ländern in eine blühende Gesellschaft integriert habe. „Die Tatsache, dass viele Araber im jüdischen Staat ihre primäre Identität als israelisch definieren, sich wohl fühlen und das Gefühl haben, in Israel zu Hause zu sein, ist sehr ermutigend. Aber es gibt noch viel zu tun, um volle Gleichheit zu gewährleisten.“ Insgesamt wurden etwa 1.300 Israelis befragt. Der Unabhängigkeitstag ist in diesem Jahr am 2. Mai.
Von: Ulrich W. Sahm