STUTTGART (inn) – Viele Israelis verdanken dem Stuttgarter Otto Hirsch ihr Leben. Denn er schaffte es während der Nazizeit, deutschen Juden die Auswanderung ins damalige Mandatsgebiet Palästina zu ermöglichen – unter anderen einer Gruppe von 41 Bauern aus dem württembergischen Städtchen Rexingen. Sie gründeten südlich von Naharia am Mittelmeer die Ortschaft Schavei Zion, wo sich heute auch ein Erholungsheim für Holocaustüberlebende von der christlichen Organisation Zedakah befindet.
Hirsch selbst, der bis zu seinem Ausschluss 1933 Ministerialrat im württembergischen Innenministerium gewesen war, blieb hingegen in Deutschland. Er wollte das Land erst verlassen, wenn allen Juden die Flucht gelungen sei. 1941 wurde der Sohn eines jüdischen Vaters im Konzentrationslager Mauthausen in Österreich ermordet.
Die Otto-Hirsch-Auszeichnung erinnert an den Mann, der mit seiner Frau Martha viele Juden gerettet hat – und die Verfolgung selbst nicht überlebte. Sie zeichnet Menschen aus, die sich um eine christlich-jüdische Verständigung verdient machen. Die Landeshauptstadt hat ihn gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Stuttgart (GCJZ) und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) gestiftet.
Kampf gegen Antisemitismus und Tora-Lerngruppen
In diesem Jahr hat sich die Jury für den Antisemitismusbeauftragten der baden-württembergischen Regierung, Michael Blume, und für den Pfarrer im Ruhestand Hartmut Metzger entschieden. Er ist Gründer des Denkendorfer Kreises, der im gleichnamigen Kloster im Landkreis Esslingen jahrelang Tora-Lerngruppen für Christen anbot. Dabei brachten Juden aus Israel den deutschen Teilnehmern ihren Glauben nahe.
Die Preise verlieh Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) am Donnerstagabend im Stuttgarter Rathaus. Er erinnerte an einen seiner Amtsvorgänger, Manfred Rommel (1974–1996). Dieser erhielt vom legendären Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek (1965–1993) den Titel „Wächter Jerusalems“. Das müssten wir heute alle sein, betonte das Stadtoberhaupt. Nach Otto Hirsch seien drei Brücken benannt, die die Stadtteile Hedelfingen und Obertürkheim miteinander verbinden. Er sei ein geistiger Brückenbauer gewesen.
Blume nahm die Urkunde persönlich entgegen, Metzger ließ sich aus gesundheitlichen Gründen von seine Ehefrau Doris und Sohn Wolfgang vertreten. Die Vorstandssprecherin der IRGW, Barbara Traub, und die Evangelische Vorsitzende und Sprecherin der GCJZ, Bürgermeisterin Isabel Fezer (FDP), würdigten die Preisträger.
Landesbischof: Wertvolle Impulse für württembergische Kirche
Ein Grußwort sprach der neue evangelische Landesbischof von Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl. Es war seine erste Amtshandlung im außerkirchlichen Bereich. Er äußerte seine Freude darüber, dass zwei evangelische Christen geehrt werden. Metzgers Einsatz habe der württembergischen Kirche wertvolle Impulse gegeben, sagte er. Diese seien in offizielle Stellungnahmen zum christlich-jüdischen Dialog und zum Verhältnis zu Israel eingeflossen. Zeitweise hatte die Denkendorfer Arbeit offiziell zur Landeskirche gehört. Gohl bezog bei seinem Lob auch Preisträger Blume ein.
Dessen Laudator war der Darmstädter Rabbiner Jehoschua Ahrens. Er nahm Bezug auf die aus seiner Sicht völlig absurde Einstufung Blumes als „einer der schlimmsten Antisemiten des Jahres 2021“ durch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in den USA – weil er judenfeindliche Inhalte in Sozialen Medien mit einem „Like“ versehen habe. Rabbiner unterschiedlicher Ausrichtung hätten sich sofort gemeldet und dem Antisemitismusbeauftragten ihre Unterstützung zugesichert. Ahrens bezeichnete Blume als „Brückenbauer zwischen Baden-Württemberg und Israel“. Was Aufklärung über Judenhass angeht, hob er die Aktivitäten in den Sozialen Medien sowie den Podcast des Politikers hervor.
Blume: Juden nicht vorschreiben, wer für sie sprechen soll
In seiner Dankesrede wurde deutlich, wie sehr Blume sein Amt am Herzen liegt. Allerdings sei die Otto-Hirsch-Auszeichnung nicht die wichtigste Ehrung, die er bislang erhalten habe. An erster Stelle stehe vielmehr das Ja-Wort, das ihm seine muslimische Frau Zehra vor nunmehr 25 Jahren gegeben habe. Sie unterstütze ihn im Kampf gegen Antisemitismus und auch dann, wenn er hasserfüllte Reaktionen erhalte.
Für den CDU-Politiker war der „erste fiese Akt gegen Otto Hirsch“, dass die Nationalsozialisten ihn als leitenden Vorsitzenden der Reichsvertretung der Juden absetzten – und dann wieder ins Amt einsetzten. Ähnlich sei es Rabbiner Leo Baeck ergangen. Dies sei eine gezielte Demütigung gewesen.
Dahinter sieht Blume die Auffassung: „Wir dürfen entscheiden, wer für die Juden spricht.“ Solche Tendenzen beobachtet er heute – ob nun von ganz links oder ganz rechts oder streng religiös. Manche beriefen sich auf linksgerichtete Juden, die die Boykottbewegung BDS für „nicht antisemitisch“ erklärten. Bei anderen seien es rechtsextreme Juden, die gegen den Islam wetterten. Auch Anhänger der streng religiösen Strömung, die den Staat Israel ablehnt, weil er nicht vom Messias gegründet wurde, dienten als Feigenblätter: „Wenn ein Jude das sagt, können wir nicht Antisemiten sein.“
Der Antisemitismusbeauftragte will sich nach eigener Aussage in Zukunft noch stärker gegen solche Tendenzen einsetzen. Denn Juden und Israelis müssten selbst entscheiden dürfen, wer sie in der Öffentlichkeit vertrete. Das sei Grundlage jeglicher Demokratie. Ebenso wandte er sich gegen „dieses seltsame Genre der Israelkritik, das es zu keinem anderen Land gibt. Da müssen wir sagen: Stopp!“.
Sohn überzeugter Nazis setzt sich für Juden ein
Die Laudatio für den zweiten Preisträger, Pfarrer im Ruhestand Metzger, hielt Michael Kashi. Das Mitglied der IRGW hat 2019 selbst die Otto-Hirsch-Auszeichnung erhalten. Als er Metzger vor 40 Jahren kennenlernte, war er nach eigener Aussage erstaunt über dessen Kenntnisse von Judentum und Israel.
Ebenso beeindruckend habe er den Einsatz des evangelischen Christen für die Juden gefunden: Der 1931 geborene Metzger hätte sagen können: „Ich war ein Kind, ich wusste nichts.“ Doch seine Eltern waren überzeugte Nazis, er beteiligte sich an der völkischen Jugend.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der junge Mann dann schockiert über das, was Deutsche den Juden angetan hatten. Er studierte Theologie. In Gemeinde und Religionsunterricht klärte er über das Judentum auf. Und er organisierte Schülerreisen nach Israel.
„Nestbeschmutzer“ und „Juden-Metzger“
Gerade in Schavei Zion suchte er nach Juden, die sein Anliegen des Dialoges unterstützten. Doch das Misstrauen gegenüber Deutschen war groß. Metzger habe die Hand ausgestreckt und gewartet, lobt Kashi seine Geduld. Langsam habe er das Vertrauen der Juden gewonnen – und Freunde. Zu ihnen gehörte der 1991 verstorbene Herbert Kahn, der das KZ Dachau überlebte und diesen Bruch nie verwand. Dennoch lieferte er den Anstoß für die spätere gemeinsame Arbeit, als er für zwei Jahre nach Stuttgart kam, um dort jüdischen Religionsunterricht zu erteilen.
Das Engagement des Pfarrers stieß nicht überall auf Gegenliebe. Er sei als „Nestbeschmutzer“ und „Juden-Metzger“ beschimpft worden, sagte der Laudator. Manche hätten ihm vorgeworfen, er kümmere sich mehr um Juden als um seine Schäfchen. Kashi indes würdigte den Preisträger als „Inbegriff des Kampfes gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit“. Das gelte auch für Ehefrau Doris Metzger.
Da der Pfarrer nicht persönlich anwesend sein kann, wurde ein Video mit einem Gespräch gezeigt. Darin kommt er unter anderem auf den Eichmann-Prozess im Jahre 1961 zu sprechen: Wegen der allgemeinen Stimmung gab es Bedenken bezüglich des deutsch-israelischen Austausches. Doch Bundespräsident Theodor Heuss, der bereits ein Jahr zuvor in Schavei Zion besucht hatte, vermittelte. Und so stand dem Besuch der Israelis nichts im Wege.
Die Otto-Hirsch-Medaille wurde 1985 gestiftet. Anlass war der 100. Geburtstag von Ministerialrat Otto Hirsch. Auf Grundlage einer Satzungsänderung wurde 2013 erstmals die Otto-Hirsch-Auszeichnung verliehen. Mit ihr können nicht nur einzelne Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich um den christlich-jüdischen Dialog besonders verdient gemacht haben, sondern auch Gruppen und Initiativen aller Religionsgemeinschaften.
11 Antworten
Zu Blume habe ich mir noch nicht wirklich ein Bild gemacht, aber im Moment scheinen die Wellen etwas höher zu schlagen.
Man sollte seine Likes in den sozialen Medien jedoch nicht einfach verharmlosen. Einige dieser Accounts sind eindeutig antisemitisch und rechtsextrem.
Und im Moment scheint ihn auch Herr Broder mit seiner Webseite Achgut auf dem Kieker zu haben.
Leseauszug von heute:
Inzwischen hat jedes Bundesland einen eigenen Antisemitismusbeauftragten. Von den meisten weiß man nicht einmal, wie sie heißen. Ganz anders dagegen agiert der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg. Er verpasst keine Gelegenheit, sich selbst ins Rampenlicht zu rücken. Und seine interreligiöse Ehe. Blumes Vorbild: kein Geringerer als Martin Buber.
Man kann dem Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg so manches vorwerfen, nur nicht eines: dass er erfolgreich agiert. Wie alle lokalen Medien Anfang März berichteten, habe es im Jahre 2021 in BW „eine Zunahme antisemitisch motivierter Straftaten von 228 (2020) auf 337 Fälle – ein Zuwachs von fast 50 Prozent“ gegeben. Ein Drogenbeauftragter mit einer ähnlich katastrophalen Erfolgsbilanz würde auf der Stelle versetzt werden,
Für die Ehrung war das sicher nicht relevant.
Ich bin ehrlich gesagt entsetzt, dass ausgerechnet der Antisemit Michael Blume auch noch mit einem Preis geehrt wird. Die Vorwürfe des jüdische Journalisten Benjamin Weinthal sind alles andere als „absurd“.
@ Birgit Sie nennen Benjamin Weinthal einen „Journalisten“? Haben Sie sich da nicht geirrt?
Sie können seinen aktuellen Artikel in der Jerusalem Post nachlesen.
Iran says it will ‘build nuclear warheads’ and turn NY into ‘hellish ruins’
Ich denke er ist eher ein Journalist als Sie selbsternannter Historiker der nur Gift und Galle spucken kann wenn etwas Israel der die Juden betrifft.
Wie möchten Sie ihn sonst nennen, Herr Luley? Und wie möchten Sie jemand nennen, der offenbar ganz wild darauf ist, seine Hetze zu streuen und in ihr zu baden? Erinnert mich an einen gewissen User, der behauptet, dass er sich auf dieser Seite mit seinen „Feinden“ auseinander setzen muss.
Dieser Blume scheint sein Ohr viel mehr in die arabische Welt zu halten als nach Jerusalem.
Eine der vielen personellen Fehlentscheidungen, auch in eher sensiblen Bereichen, innert der BRD aktuell.
Vielen Dank für den interessanten und ausführlichen Bericht, @Israelnetz. Wie Sie schrieben, wird die Auszeichnung von der jüdischen Landesgemeinde, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Stadt Stuttgart gemeinsam vergeben.
Und auch hier lässt sich sehen, wie viele wirklich für das Miteinander der Religionen und die Republik Israel einstehen – oder das vielfältige Land nur für rechten Freund-Feind-Dualismus missbrauchen. Danke & herzliche Grüße in die Runde! 🙂
Wohlfeile Worte, aber können Sie auch Taten und Ergebnisse vorweisen. die den Antisemitismus bekämpfen?
Ein miteinander der Religionen…. das war dem ewigen und alleinigen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs schon immer ein Dorn im Auge. Götzendienst ist ihm ein Gräuel.
Seit wann wird der Staat Israel als Republik bezeichnet? Das machen nicht mal die Israelis.
Sky, Israel ist ein Staat, und nennt sich Staat Israel. Die StaatsFORM aber ist tatsächlich eine Republik, insofern ist die Bezeichnung von Herrn Blume völlig korrekt.
Aber schön, dass Du ein Miteinander von Religionen für Israel per se ausschliesst. Da in Israel aber Religionsfreiheit herrscht und Du dies offenbar bemängelst bzw. als Gräuel kritisierst – darf ich Dich jetzt Antisemitin nennen?
@Dr. Blume
Ihr Beitrag zeigt mir, dass Sie das gesamte Unwesen des Antisemitismus noch gar nicht verinnerlicht haben und sich lediglich auf konzentrieren. Damit negieren Sie m.E. den ganz allgemeinen, den linken, den islamischen Antisemitismus. Bitte seien Sie auch darum aktiv bekümmert, dann werden Sie dien steigenden Trend antisemitischen Vorfälle in BW hoffentlich stoppen und reduzieren können.
Ich verstehe nicht, wofür Dr. Michael Blume ausgezeichnet wurde. Dass er ein bisschen das macht, wofür er vom Land BW angestellt ist und bezahlt wird? Wie viele Christen und Juden verstehen sich denn nun besser als zuvor aufgrund Blumes Aktivität, und wer sind diese genau? Das ist keine rhetorische Frage angesichts dem von mir wahrgenommenen überheblichen Verhalten Blumes, vgl. scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens oder verschwoerungsfragen.podigee.io . Die scharfe Kritik an Blume z. B. auf der „Achse“ ist m. E. überzogen, aber nicht ganz unsubstantiiert. Lebenserfahrene jüdische Autoren wie Broder und Noll haben in Sachen Antisemitismus und Ego-Show manchmal schon den richtigen Riecher. Und dass Blume in der Danksagung erneut die Muslimizität seiner Frau aufführt, ist schon ein running gag. Vor dem Hintergrund der Kontroversen um Blume erscheint mir die Preisverleihung als politisches Manöver, das nicht dafür sorgt, die Kritikpunkte zu beseitigen und Blumes Akzeptanz und Wirksamkeit zu erhöhen. Aber die sei ja ohnehin schon so hoch, dass man dafür einen staatlichen Antisemitismusbeauftragten auch noch extra auszeichnen muss. Sein erheblich umfangreicher und scheinbar übererfüllter Arbeitsauftrag: landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/4000/16_4754_D.pdf und mehr unter stm.baden-wuerttemberg.de/de/themen/beauftragter-gegen-antisemitismus