Wenn der israelische Premierminister Ariel Scharon in einer deutschen Tageszeitung karikiert wird, ist das kein Antisemitismus. Wenn jedoch eine Person dargestellt wird, die nicht unbedingt den israelischen Premier, sondern einen Juden darstellt, geht es nicht mehr um Politik, sondern um Juden im Allgemeinen. Eine Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) zeigte vergangene Woche einen Menschen von hinten, der zwar entfernt an Scharon erinnerte, jedoch durch Kippa und Davidstern auch als „der Jude“ interpretiert werden konnte. Er polterte durch ein französisches Straßencafé und sagte: „Warum spüre ich keine Sympathie?“. Der Sprecher der israelischen Botschaft in Berlin, Amit Gilad, sowie andere Leser reagierten mit empörten Leserbriefen. Die Zeichnung bediene traditionelle antisemitische Klischees, so die Meinung vieler.
Gegenüber der „Netzeitung“ sagte Gilad am Mittwoch weiter, mit Kritik zur israelischen Politik in den deutschen Medien müsse und könne er leben. Er beobachte jedoch gerade in der „Süddeutschen Zeitung“ „besonders häufig“ einseitige Schlagzeilen und Text-Bild-Kombinationen. Insgesamt habe er nichts an der Israel-Berichterstattung der SZ auszusetzen, doch würden oft die Bilder „der Komplexität des Konfliktes nicht gerecht“. Israel werde meistens als Ganzes wegen Militäraktionen gegen Terroristen als Gefahr für den Friedensprozess bezeichnet. Terroranschläge durch einzelne palästinensische Organisationen hingegen erschienen allenfalls als Störung des Friedens.
Immer wieder würden Fotos palästinensischer Frauen und Kinder veröffentlicht, die in den Trümmern der zerstörten Häuser von Terroristen stehen. Selbst da, wo inhaltlich eine Illustration von israelischem Leid angebracht gewesen wäre, werde einseitig auf palästinensisches Leid hingewiesen, so Gilad.
Die Karikatur, welche die SZ am 21. Juli abdruckte, hat die Grenze nach Gilads Meinung „klar überschritten“. Ein Mann von der Statur Scharons wütet darauf durch ein Straßencafé namens „Chez Jacques“. Er ist nur von hinten zu sehen, und eine Kippa und ein Davidstern zeichnen ihn als religiösen Juden aus. Er sagt: „Warum spüre ich keine Sympathie?“ Die Zeichnung spielt augenscheinlich auf Scharons Äußerung an, Juden in Frankreich sollten wegen antisemitischer Übergriffe nach Israel auswandern, was in Frankreich zu empörten Reaktionen führte.
Der Botschaftssprecher weiß, dass Karikaturen „überspitzen und vereinfachen“ sollen. Doch weil „der Jude“ und nicht Scharon dargestellt sei, bediene die Zeichnung das antisemitische Klischee, wer sich wie ein Rüpel benehme, dürfe sich nicht wundern, wenn er Anfeindungen erlebe. Laut Gilad trete hier die wachsende Neigung zutage, Kritik an Israel mit Kritik an „den Juden“ zu verbinden.
In einem Brief an die Chefredaktion der SZ benutzte Gilad nach eigenen Angaben zum ersten Mal in seiner Funktion als Botschaftssprecher, das Wort Antisemitismus. Sein Brief wurde zusammen mit anderen Leserreaktionen am Mittwoch in der SZ veröffentlicht.
Ein Leser schrieb: „Ich halte diese Karikatur für antisemitisch oder zumindest geeignet, antisemitische Klischees zu bedienen. Eine Karikierung Scharons wäre legitim gewesen. Warum muss er aber alle Juden stellvertretend und noch dazu in dieser an vergangene Zeiten erinnernden Art und Weise karikieren?“
Ein weiterer meinte: „Ich halte Kritik an Israel und an israelischen Politikern für berechtigt, sinnvoll und notwendig. Diese Kritik möge sich aber, auch wenn sie ’nur‘ in einer Karikatur geäußert wird, gegen den richten, den es angeht, und nicht uns alle als den ‚Jud mit dem Stern‘ in Sippenhaft nehmen. Dies finde ich abscheulich.“
Die Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung“ wurde auch in Israel kritisiert: die Tageszeitung „Jediot Aharonot“ dokumentierte sie unter der Überschrift: „Wieder einmal in Deutschland“.
Die Chefredaktion der SZ hat sich mittlerweile für die Karikatur entschuldigt: „Thema der Karikatur waren die Antisemitismus-Vorwürfe des israelischen Ministerpräsidenten und die Reaktion des französischen Staatspräsidenten. Eine antisemitische Tendenz war nicht beabsichtigt. Wir bedauern es sehr, wenn dieser Eindruck entstanden ist“, schreibt Dr. Gernot Sittner, einer der beiden Chefredakteure der „Süddeutschen Zeitung“.