LONDON (inn) – Israels Premier Ariel Sharon hat wegen einer Karikatur in der Zeitung „The Independent“ bei der Selbstkontrollinstanz der britischen Presse (PCC) Beschwerde eingelegt. Die diffamierende Zeichnung wurde Ende Januar anläßlich seiner Wiederwahl veröffentlicht und zeigt den Regierungschef, wie er einem palästinensischen Baby den Kopf abbeißt.
Einem Bericht der britischen Zeitung „The Guardian“ zufolge bezeichnete Sharon die Karikatur als „antisemitisch“. Dieser Ansicht sei auch Rechtsanwalt Anthony Julius, dessen Kanzlei „Mischon de Reya“ die Angelegenheiten der israelischen Botschaft in London vertritt. Neben dem Cartoon war ein satirischer Kommentar zum Nahostkonflikt erschienen.
„Independent“-Redakteur Simon Kelner und der Zeichner Dave Brown wiesen die Vorwürfe zurück. Die Karikatur sei nicht antisemitisch, sondern ein „Anti-Sharon-Kommentar“, verteidigte sich Kelner. Sie enthalte keinerlei religiöse Symbole. Der Journalist kündigte an, auf ein Schreiben zu reagieren, das er in der Angelegenheit von der PCC erhalten habe.
Als Reaktion auf Beschwerden von verschiedenen jüdischen Organisationen – auch von der israelischen Botschaft – hatte „The Independent“ die Stellungnahmen zweier Kommentatoren veröffentlicht.
Ned Temko, Redakteur bei der jüdischen Wochenzeitung „Jewish Chronicle“, teilt Sharons Position: Der Zeichner verwende „eine der ältesten Metaphern des europäischen Antisemitismus, den Brennstoff für Pogrome und letztlich für den Holocaust – die klassische ‚Blutverleumdung‘, nach der Juden angeblich heidnische Kinder ermorden, weil sie ihr Blut brauchen“. Die Tatsache, daß die Karikatur zum Holocaustgedenktag (27. Januar) publiziert worden sei, habe noch Salz in die Wunde geschüttet, fügte Temko hinzu.
Nach Ansicht des jüdischen Parlamentsabgeordneten Gerald Kaufman war es hingegen vorhersehbar, daß die Zeichnung als antisemitisch eingestuft werden würde. Dies sei allerdings völlig unzutreffend, so der Politiker in seinem Kommentar. Schließlich sei auf dem Bild kein Davidstern zu sehen.
Kaufman betonte, daß die Beschwerden von Sharons eigener Partei gekommen seien. „Der Versuch, Browns Cartoon als eine Art Fortsetzung des Holocaust zu sehen, ist die jüngste Erscheinungsform einer unermüdlichen heimtückischen Kampagne des Likud“, heißt es in seiner Stellungnahme. „Dieser bemüht sich schon viele Jahre, Kritik an seiner durchwegs gemeinen Politik zu diskreditieren, indem er sie als antisemitisch deklariert.“