Die Terroraktionen, betont Kraushaar, seien allein schon aufgrund ihrer zeitlichen und örtlichen Dichte bemerkenswert. Sie alle fanden innerhalb von zwei Wochen in München statt oder wurden von dort aus koordiniert. Außerdem sei an ihnen eine, wenn auch lose, Zusammenarbeit zwischen palästinensischen Freischärlern und Linksradikalen aus Deutschland festzumachen. Dafür trägt Kraushaar eine Reihe von Indizien zusammen. Gemeinsamer Nenner sei eine Opferideologie, derzufolge der Staat Israel mit westlichen Verbündeten die Palästinenser entrechtet hat.
Bemerkenswert seien die Terroraktionen jedoch auch, weil sie eine „neue Eskalationsstufe“ im Terrorismus markierten: Mit der versuchten Entführung einer Maschine der israelischen Fluggesellschaft EL AL am 10. Februar 1970, die in einem tödlichen Handgemenge endete, war Deutschland zum ersten Mal Schauplatz des internationalen Terrorismus. Beim Brandanschlag auf ein Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in München, vermutlich verübt durch Linksradikale, wurde zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ein Holocaust-Überlebender auf deutschem Boden umgebracht. Bei zwei Paketbomben-Anschlägen am 21. Februar versuchten Terroristen, in diesem Fall Palästinenser, zum ersten Mal, Zivilflugzeuge zum Absturz zu bringen.
Mangelhafte Aufklärung
Dass die Palästinenser besonders seit Ende der 1960er Jahre zu terroristischen Mitteln greifen, weil sie der militärischen Überlegenheit Israels sonst nichts entgegenzusetzen haben, ist unbestritten. Kraushaar skizziert die Entwicklungsschritte, die dorthin führten. Der Fokus liegt dann aber auf den Ereignissen im Februar 1970, deren Hergang, Hintergrund und strafrechtlicher Aufbereitung. Letztere schätzt Kraushaar als „mehr als nur ernüchternd“ ein: Kein einziger der Täter musste sich vor Gericht verantworten, teils, weil die Ermittlungen ins Leere liefen, teils, weil die bereits Inhaftierten in arabische Länder abgeschoben wurden. „Mangelnder politischer Wille“ stehe dahinter: Die Bundesregierung unter Willy Brandt habe den als einseitig empfundenen pro-israelischen Kurs früherer Bundesregierungen überwinden und eine Annäherung an die Palästinenser in die Wege leiten wollen.
Kraushaar betont die Ironie dieses Gedankens angesichts des Ortes München, dessen Name für die Annäherung der Westmächte an die Nationalsozialisten im Jahr 1938 steht und der nun Ort neuer Gewalt gegen Juden wurde. Ironie liegt aber auch im Blick nach vorne: Nicht nur, dass sich 1970 bereits jene Lässigkeit ankündigte, die zwei Jahre später das Massaker gegen die israelische Olympiamannschaft erst ermöglichte. Hinzu kommt, dass bei beiden Ereignissen dieselben Personen für die Sicherheit verantwortlich waren.
Der Gang durch die fast 900 Seiten lohnt sich allein schon wegen des Verweises auf diese geschichtlichen Zusammenhänge. Hinzu kommt der flüssige Schreibstil Kraushaars, der die historischen Ereignisse gekonnt aufbereitet. Der Hamburger Politologe schildert die Vorgänge detailreich, vom Wetter jener Tage, den Faschings-Festivitäten, den Ermittlungen und Augenzeugen-Berichten bis hin zu den Reaktionen in den Medien. Sowohl das Buch als auch die Geschehnisse, von denen es erzählt, sind der Aufmerksamkeit wert.
Wolfgang Kraushaar, „Wann endlich beginnt bei euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“, Rowohlt, 880 Seiten, 34,95 Euro, ISBN 978-3-498-03411-5