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Meinung

Als Deutschland erneut versagte

Der Spielfilm „September 5” ist ein spannender Parforceritt rund um den Terrorangriff auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972. Der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum zeigt: Deutschland hatte eine Chance, und die hat es vertan.
Von Jörn Schumacher

Mit viel Fingerspitzengefühl, einer Top-Besetzung und einem fesselndem Drehbuch erzählt der Regisseur Tim Fehlbaum die grausamen Ereignisse vom 5. September 1972 nach, bei dem elf israelische Athleten zunächst als Geiseln genommen und dann ermordet wurden. Und das ausschließlich aus der Sicht von Journalisten.

Denn das Team des amerikanischen Senders ABC war vor Ort, um erstmals der Welt per Satellit live Bilder vom großen Sportereignis zu zeigen. In die Geschichte ein ging das Großereignis jedoch, weil hier erstmals live eine Geiselnahme gezeigt wurde und – wieder einmal – unschuldige Juden auf deutschem Boden ermordet wurden.

Auch wenn dieser Film die Ereignisse ausschließlich aus der Sicht der Sportkommentatoren nacherzählt, erfährt man viel über den Terrorakt selbst. Die Journalisten tragen die große Verantwortung, die ersten Olympischen Spiele journalistisch abzudecken, die live weltweit übertragen werden.

Doch sie ahnen nicht, dass die Verantwortung binnen weniger Stunden noch viel größer wird. Sie müssen auf einmal Entscheidungen treffen, die medienethisch heikel und heute noch genauso relevant sind. Sie müssen sich entscheiden, was gezeigt werden darf und was nicht. Wo hört die Berichterstattungspflicht auf, wo beginnt die Menschenwürde?

Deutsche Polizei unfähig – und ein bisschen wie Nazis

„September 5” spielt ausschließlich am zehnten Wettkampftag der Olympischen Sommerspiele 1972 in München. Deutschland ist sich bewusst, dass hier eine große Chance liegt, sich der Welt als modern und weltoffen zu zeigen. Die dunklen Jahre, die 30 Jahre zurückliegen und in denen das Land durch millionenfachen Mord Weltthema wurde, sollen der Vergangenheit angehören.

Die Schüsse, die dann die gute Stimmung des Sportereignisses stören, hören die amerikanischen Journalisten in ihrem Quartier sogar selbst. Denn ihr Studio liegt nur wenige Hundert Meter vom Olympischen Dorf entfernt, wo auch die israelische Mannschaft Quartier bezogen hat.

Sie nutzen die Chance und positionieren nicht nur Live-Kameras vor das Gebäude, sondern stellen auch einen Journalisten ab, der unmittelbar vom Geschehen live berichtet. Ein als Sportler verkleideter Mitarbeiter schmuggelt Filmbänder vom Tatort ins Studio, damit die Welt hautnah am Geschehen ist.

Die deutschen Polizisten, die recht spontan und planlos das Studio stürmen und die Journalisten mit vorgehaltenen Waffen zwingen, die Kameras auszuschalten, kommen dann tatsächlich ein wenig wie Nazis daher. Und ein wenig dumm. Sie blaffen die Amerikaner lediglich an, fuchteln mit ihren Gewehren vor Gesichtern herum, fast wie damals die SS-Schergen. Ja, fast will man da in Fehlbaums Inszenierung sogar kurz einen Hitlergruß gesehen haben. Versehentlich, versteht sich.

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Das fleißige Bienchen Marianne, die als (fast) einzige Frau im Team gegen das in den 70er Jahren durchaus noch sehr präsente Vorurteil ankämpfen muss, Frauen seien vor allem zum Kaffeekochen da, treibt die Recherche maßgeblich mit an. Sie wird gespielt von der deutschen Schauspielerin Leonie Benesch („Das Lehrerzimmer”, „Das weiße Band”).

Dass auch Juden unter den Sportlern der Olympischen Spiele in München sind, thematisieren die US-Journalisten bewusst. Es ist, kaum 30 Jahre nach dem Horror der Nazis und der Ermordung von sechs Millionen Juden, eben keine Lappalie. Der amerikanische Schwimmer Mark Spitz etwa, der mit sieben gewonnen Goldmedaillen in München von sich reden macht, ist Jude. Ebenso berichten die Amerikaner vom Besuch des israelischen Gewichthebers David Berger, der kurz zuvor mit anderen jüdischen Olympioniken die KZ-Gedenkstätte Dachau nahe München aufsuchte.

Wie Journalisten denken

Dieser Film, der am Donnerstag in den deutschen Kinos angelaufen ist, lehrt viel über die Denk- und Arbeitsweise von Journalisten: Wie schnell können wir von wo die besten Bilder liefern? Welches Team schickt man wohin? Welche Konkurrenten waren schneller und sind bereits vor Ort?

Und immer wieder müssen die Verantwortlichen vor Ort dem Mutter-Sender ABC im fernen Amerika beweisen, dass sie auch als Sportjournalisten dem plötzlich riesigen Thema Geiselnahme gewachsen sind. Die Produzenten Roone Arledge (Peter Sarsgaard) und Marvin Bader (Ben Chaplin) bestehen darauf: „Das ist unsere Story. Wir geben sie nicht an die ABC-Nachrichten-Redaktion ab.” Selbsterklärend, dass hier Prestige und fette Boni drin sind.

Doch die verantwortlichen Journalisten werden von Fehlbaum keineswegs als sensationslüsterne Monster dargestellt, vielmehr wägen sie permanent journalistischen Auftrag und gebotene Medienethik ab. Darf man, muss man vielleicht sogar live eine Geiselnahme für die Welt übertragen? Als was genau bezeichnet man die palästinensischen Geiselnehmer? Als Terroristen? Oder doch lieber als „Guerilla-Kämpfer”? Was ist, wenn die Entführer in den Hotelzimmern selbst ABC eingeschaltet haben und dadurch wichtige Informationen über das Vorgehen der Polizei bekommen? Viele Fragen werden angesprochen, die auch heute noch aktuell sind.

Versagen der Polizei

Auch das völlige Versagen der bayerischen Polizei zeigt der Film überdeutlich. „Deutschland hat versagt”, konstatiert Marianne, nachdem alle israelischen Olympioniken tot sind. „Wieder einmal.”

Wer heute das Stichwort „Olympische Spiele in München 1972” hört, denkt nicht an das neue, moderne Deutschland, in dem Juden ab sofort sicher sind. Er denkt auch hier an das Hinschlachten von unschuldigen jüdischen Menschen. „Am 5. September wurde zum ersten Mal eine Entführung live im TV übertragen”, erklärt eine Texttafel am Ende des Films. „900 Millionen Menschen Menschen sahen live zu.”

So lautet denn auch der Original-Titel des Films: „September 5 – The Day Terror Went Live” (Der Tag, an dem Terror live ging). Er ist für zwei Dutzend Filmpreise nominiert worden, neun hat er bereits gewonnen.

Fehlbaum ist ein sehenswerter, spannender und zugleich aufklärerischer Film gelungen, der nicht nur ab die grausamen Ereignisse in der bayerischen Hauptstadt erinnert. Er thematisiert wichtige medienethische Fragen, die auch heute noch in Sachen Berichterstattung zu Terror und Ermordung von Juden bedeutsam sind.

„September 5”, 95 Minuten, Regie: Regie: Tim Fehlbaum, seit 9. Januar im Kino

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2 Antworten

  1. Deutsche Polizei unfähig…. Versagen der Polizei… Und die barbarischen palästinensischen Terroristen fehlerlos…

    2
  2. „Deutschland hatte eine Chance, und die hat es vertan.“ – Das wusste ich bereits seit über 50 Jahren. Bedauerlicherweise ist diese Erkenntnis nicht neu, mit oder ohne diesen Film.

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