Das Wetter war gut, die Sicht klar: Reginald Levy, Pilot von Flug 571 der belgischen Fluggesellschaft Sabena, der von Brüssel über Wien nach Lod führen sollte, freute sich an diesem 8. Mai 1972 auf eine angenehme Reise und einen schönen Aufenthalt in Israel. Dort wollte er nach getanem Dienst seinen 50. Geburtstag mit seiner Frau verbringen, die auf einem Ticket für Angehörige Bediensteter ebenfalls im Flugzeug saß. Levy selbst hatte über seinen Vater jüdische Wurzeln.
Die Boeing 707 hatte den Wiener Flughafen seit 20 Minuten verlassen und befand sich über Sarajevo, als plötzlich Männer in das Cockpit stürmten und die Crew bedrohten. Flug 571 hatte vier arabisch-palästinensische Terroristen an Bord, zwei Frauen und zwei Männer, bewaffnet mit Handfeuerwaffen, Granaten sowie Sprengstoff, und mit der Drohung im Gepäck, das gesamte Flugzeug samt seiner rund 100 Insassen in die Luft gehen zu lassen.
„Ich wusste, dass die Israelis niemals terroristischer Erpressung nachgeben würden“
Die Terroristen gaben sich als Teil des „Schwarzen Septembers“ aus, einer Terror-Organisation, die aus dem palästinensisch-jordanischen Bürgerkrieg von 1970 heraus entstanden war und nur wenige Monate später auch für den mörderischen Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München verantwortlich zeichnen sollte. Wie sich im weiteren Verlauf der Entführung herausstellen sollte, ging es ihnen darum, mehr als 300 palästinensische Gefangene von den Israelis freizupressen.
Die Entführer wiesen den Piloten an, den Flug zum Flughafen Lod, dem heutigen Ben-Gurion-Flughafen, fortzusetzen. „Ich bin der Kommandeur dieses Flugzeugs“, sagte einer der Terroristen und setzte sich – so die späteren Erinnerungen des Piloten – dessen Kapitänsmütze aufs Haupt. Als das Flugzeug am Abend in Lod aufsetzte, war es bereits dunkel geworden. „Ich wusste, dass die Israelis niemals terroristischer Erpressung nachgeben würden“, erinnerte sich Pilot Levy 2015 in seiner Autobiographie. Er selbst hielt diese Unnachgiebigkeit offenbar für keine gute Idee.
In der Tat dachte die israelische Regierung nicht daran, sich auf den terroristischen Deal – Flugzeug und Passagiere gegen Freilassung von Terroristen – einzulassen. Schnell trafen am Flughafen die Führer des israelischen Sicherheitsapparates ein, darunter Kriegsheld und Verteidigungsminister Mosche Dajan. Während die Terroristen im Flugzeug jüdische und nicht-jüdische Passagiere separierten, machten sie zugleich ihre Forderungen klar und gaben die Liste von freizulassenden Palästinensern an die Israelis durch. Sie schickten sogar den Piloten samt Sprengstoff zu Dajan. Die beiden nutzten die Gelegenheit, um wichtige Informationen auszutauschen.
Kühner Plan
Den Attentätern schien es, als würden die Israelis tatsächlich nachgeben. In Wirklichkeit bereiteten sich diese auf die Durchführung kühner Pläne vor. Zunächst hatten die Sicherheitskräfte die Reifen und die Hydraulik der Passagiermaschine beschädigt und diese so manövrierunfähig gemacht. Als die Terroristen davon überzeugt waren, dass die Israelis auf ihre Forderungen eingehen würden, stimmten sie dem Einsatz israelischer Techniker am Flugzeug zu, um die technischen Probleme zu beheben.
Nun, am Nachmittag des 9. Mai 1972, begann die entscheidende Phase von „Operation Isotop“, in der es ganz auf die Einheit Sajeret Matkal ankam. In weißen Technikeranzügen, als scheinbare Monteure verkleidet, näherten sich die Einsatzkräfte der Maschine. Die Elitesoldaten standen unter der Leitung des späteren Armeechefs und Premierministers Ehud Barak. Mit von der Partie war auch ein weiterer junger Mann, der es später zu hohen Weihen bringen würde: Benjamin Netanjahu.
Die Soldaten stürmten durch mehrere Eingänge die Maschine. Innerhalb weniger Augenblicke wurden die beiden männlichen Terroristen getötet. Die Frauen wurden festgesetzt. Als der junge Benjamin Netanjahu mit einem Kameraden eine der Terroristinnen dazu zu bringen versuchte, den Ort des Sprengstoffs preiszugeben, löste sich bei dem Kollegen ein Schuss und verletzte Netanjahu im Arm.
„Ich wünschte, wir hätten das Flugzeug in die Luft gesprengt“
„Ich weiß, dass, wenn die Israelis das Flugzeug nicht zu diesem Zeitpunkt gestürmt hätten, die Maschine samt Insassen in die Luft geflogen wäre“, wird Pilot Levy später niederschreiben. Eine der überlebenden Terroristinnen, Theresa Chalsa, die aus einer christlich-arabischen Familie in Akko stammte, bestätigte diese Annahme 2015. Auf die Frage des britischen „Guardians“, ob sie etwas an ihrer Tat bereue, antwortete sie: „Ja, ich wünschte, wir hätten das Flugzeug in die Luft gesprengt.“
Seinen 50. Geburtstag konnte Levy anschließend noch in Israel begehen. Anstatt eines zweisamen Abendessens mit seiner Frau kamen allerdings Dinner und Teetrinken mit Mosche Dajan und Premierministerin Golda Meir heraus. Von Dajan gab es zudem Geschenke aus seiner archäologischen Sammlung. Weil Levy als Pilot durch den Vorfall selbst ins Fadenkreuz terroristischer Bedrohung geraten war, zog er nach Südafrika um.
Für Israel war die Befreiungsaktion ein großer Erfolg. Auch wenn am Ende eine Passagierin ihren Verletzungen erlag, so war doch deutlich Schlimmeres verhindert worden. Es war das erste Mal überhaupt, dass die Befreiung einer entführten Maschine mittels Gewalt gelungen war. „Wir mussten die Mission von null auf planen“, erklärte Danni Jatom, Vize-Kommandeur des Einsatzes, 2012 gegenüber der Nachrichtenseite „Arutz Scheva“. Durch ihren Erfolg habe die Aktion „die nationale Moral dramatisch gestärkt“.
2 Antworten
Es ist immer wieder angenehm, solche wahren Geschichten von mutigen Israelis zu lesen
Als ich zwei Jahre später, 1974, nach Israel flog, buchte ich bewusst El-Al. Alle waren entsetzt, ich aber war sicher, die sicherste Fluglinie gewählt zu haben. Aus einem Trip zur Orangenernte wurden zwei wunderschöne und lehrreiche Jahre und erlebte auch noch in Israel die Befreiungsaktion in Entebbe. Chol hakawod! Shalom Israel.