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Abtreibungen in Israel

Im Jahr 1977 wurden Abtreibungen von der Knesset legalisiert. Seither sind Abtreibungen in Israel legal und kostenlos, wenn der Embryo ernsthafte geistige oder physische Defekte aufweist, wenn Vergewaltigung oder Inzest zu einer Schwangerschaft geführt haben oder die geistige und physische Gesundheit einer Frau durch die Schwangerschaft Schaden erleiden könnte. Soldatinnen stehen während ihres Militärdienstes zwei kostenlose Abtreibungen zu.

Legal, aber nicht kostenlos sind Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen, die minderjährig oder über 40 Jahre alt sind, unverheiratet oder in einer außerehelichen Beziehung schwanger wurden. Auf Druck der religiösen Parteien wurde 1980 die sozioökonomische Klausel gestrichen. Dabei sind oft die orthodox-jüdischen Familien am kinderreichsten und gleichzeitig sozial die schwächsten. Die Einstellung zu Abtreibung hängt in Israel also offensichtlich mit der religiösen Überzeugung zusammen. Eine Abgeordnete der links-liberalen Meretz-Partei machte 2006 den Vorschlag, die Abtreibungskommission ganz abzuschaffen.

Nach israelischem Recht führt der Weg zu einem Schwangerschaftsabbruch über eine Kommission, die aus zwei Fachärzten und einem Sozialarbeiter besteht, von denen mindestens eine Person weiblich sein muss. Die meisten Anträge auf Abtreibung werden genehmigt.

2004 wurden die meisten Anträge von unverheirateten Frauen gestellt (nicht legale Bedingungen 53 Prozent, davon 42 Prozent unverheiratete Frauen). Weitere Abtreibungsgründe waren gesundheitliche Risiken für die Frau (20 Prozent), Defekte beim Embryo (17 Prozent) und das Alter der Mutter (11 Prozent). Laut offizieller Statistik wurden in diesem Jahr in Israel 19.500 legale Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Nur 200 Anträge wurden abgelehnt.

In Privatkliniken werden außerdem illegale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Zudem nimmt der Gebrauch von Abtreibungspillen zu. Das Notfallverhütungsmittel Postinor – „the morning after pill“ – wird ohne Rezept und ohne ärztliche Aufsicht verkauft.

Im Jahre 2004 wurden 145.207 Babys in Israel geboren und 20.378 Abtreibungen gemeldet. Somit kommen im Durchschnitt 140,3 Schwangerschaftsabbrüche auf 1.000 Geburten. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Zahl inklusive der nicht gemeldeten Abtreibungen etwa doppelt so hoch ist. Seit Gründung des Staates Israel wurden etwa zwei Millionen Abtreibungen ausgeführt.

Unterschiedliche Auslegungen

In der theologischen Diskussion um das Thema Schwangerschaftsabbruch wird im Judentum vor allem 2. Mose 21,22ff zitiert. Martin Luther übersetzte: „Wenn Männer miteinander streiten und stoßen dabei eine schwangere Frau, sodass ihr die Frucht abgeht, ihr aber sonst kein Schaden widerfährt…“ Wörtlich übersetzt steht dort aber nicht „sodass ihr die Frucht abgeht und sonst kein Schaden entsteht“, sondern: „und ihre Kinder herauskommen und kein Unglück geschieht“. Das Wörtchen „sonst“ erscheint im hebräischen Urtext nicht.

Luther übersetzte weiter: „…so soll man ihn um Geld strafen, wie viel ihr Ehemann ihm auferlegt, und er soll’s geben durch die Hand der Richter. Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn…“ Wörtlich steht im hebräischen Urtext allerdings: „Wenn aber ein Unglück passiert, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn…“

Diese Stelle behandelt also den Fall einer durch Gewalt verursachten Frühgeburt oder Fehlgeburt, nicht aber einen Schwangerschaftsabbruch. Den entstandenen Schaden soll der Täter je nach Größe des Schadens mit einer Geldbuße oder gar seinem eigenen Leben ausgleichen.

Einige jüdische Ausleger haben anhand dieses Textes versucht, den Wert eines ungeborenen Babys im Vergleich zum Wert des Lebens der Mutter festzulegen. Dabei sind sie sich allerdings nicht einig, ob es sich bei dem „Unglück“, auf das die Todesstrafe steht, um den Tod des Embryos oder den Tod der Mutter handelt. Falls es sich bei dem „Unglück“ nur um den Tod der schwangeren Frau handelt, hätte das Kind, das durch die Fehlgeburt auf die Welt kam, zwar einen Wert, aber nicht den Status einer Person. Der hebräische Text ist in diesem Falle nicht eindeutig.

Die Mischna greift das Problem einer Geburt auf, bei der das Leben der Mutter gefährdet ist. Ausdrücklich wird ein Schwangerschaftsabbruch erst im Buch Sohar erwähnt, das die Grundlage der mystischen Kabbala bildet. Dort werden Abtreibungen grundsätzlich verboten.

Rabbi Schlomo Itzhaki, genannt „Raschi“, und später Rabbi Mosche Ben Maimon, der als „Maimonides“ bekannt wurde, vertraten die Ansicht, dass ein Kind vor der Geburt keine lebendige Seele ist. Dann würde man sich für das Leben der Mutter entscheiden, wenn es durch die Geburt in Gefahr wäre.

Aufgrund von zwei Stellen im Talmud wird ein Embryo als lebendiges Wesen erst ab dem zweiten Trimester anerkannt. Später wurden dann auch Fälle von Abtreibungen im Falle einer unehelichen Schwangerschaft diskutiert. Im 20. Jahrhundert schließlich tauchten Diskussionen darüber auf, ob es erlaubt ist, ernsthaft behinderte Kinder abzutreiben. Stand der orthodox-jüdischen Diskussion ist heute, dass einige Gelehrte eine Abtreibung in bestimmten Fällen erlauben, während andere sie grundsätzlich verbieten.

Die Bibel selbst unterscheidet weder im Alten noch im Neuen Testament in ihrer Terminologie zwischen einem Embryo und einem Kind nach der Geburt – auch wenn dies einige Übersetzungen tun. Vor und nach der Geburt verwendet die Schrift ein und denselben Ausdruck – Kind: im Hebräischen ist es das Wort „yeled“, im Griechischen „brephos“.

Unterstützung für Schwangere in Not

Mehrere Organisationen in Israel setzten sich dafür ein, dass Babys nicht abgetrieben werden. Die größte und bekannteste unter ihnen ist die orthodoxe Organisation „Efrat“, die von einigen Rabbinern unterstützt wird. Ihre Ziele sind klar formuliert: Die „Rettung jüdischer Kinder und ihrer Nachkommen“, die „demografische Stärkung des Staates Israel“ und „das größte Geschenk des Lebens – Kinder – zu erhalten“.

„Efrat“ investiert viel in ihre Öffentlichkeitsarbeit. „Im vergangenen Jahr verloren in Israel pro Woche elf Menschen durch Autounfälle und zwei Menschen durch Terroranschläge ihr Leben. Mehr als 950 Babys gingen durch Abtreibung verloren“, steht auf ihrer Titelseite im Internet. In den jüdischen Vierteln amerikanischer Großstädte ist auf Plakaten zu lesen: „Stoppt den stillen Holocaust – 2.000.000 Kinder wurden in Israel durch Abtreibung vernichtet”. Und: „Efrat bringt jedes Jahr mehr Juden nach Israel als die Einwanderung aus Nordamerika.“ Oder: „Don’t abort me!“. „Abtreibung ist kein Kinderspiel!“ warnen Werbesendungen im israelischen Radio. Orthodox-jüdische Abtreibungsgegner appellieren also vor allem an das zionistische Gefühl und argumentieren mit dem Erhalt des jüdischen Volkes.

Efrat bietet Frauen, die aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten abtreiben wollen, eine Erstausstattung und ein Jahr lang Windeln und Babynahrung frei Haus. Während der Schwangerschaft können sie kostenlos soziale Beratung in Anspruch nehmen. Dabei haben die Mitarbeiter von „Efrat“ die Erfahrung gemacht, dass viele schwangere Frauen ihre Kinder gerne zur Welt bringen, wenn sie in Krisensituationen Unterstützung erfahren. Der Leiter der Organisation, der Chirurg Dr. Eli Schussheim, meint: „Unter den 17.000 Fällen, die wir in den letzten 28 Jahren betreut haben, ist mir bislang keine Mutter begegnet, die bedauert hätte, dass sie ihr Kind lebendig zu Hause hat.“

Ein Freund der Anti-Abtreibungsorganisation „Efrat“, Rabbi Jehuda Levin, erinnert an ein Wort aus dem „Sohar“: „Wer seine eigenen Kinder zerstört, vernichtet G-ttes Handarbeit, und bringt Hunger, Seuchen und das Schwert über die Welt“ (Sohar, Schemos/Exodus). Er ruft sein Volk zur Buße: „Wenn wir wirklich ein Ende des Blutvergießens unter unseren Brüdern und Schwestern im heiligen Land Israel wollen, müssen wir laut und klar zum Himmel schreien gegen dieses Vergießen unschuldigen Blutes. Rosch HaSchanah (das jüdische Neujahrsfest) ist gekommen und damit die Zeit zur Umkehr über diesem furchtbaren Verbrechen im Heiligen Land G-ttes. Nur dann können wir sagen: Unsere Hände haben kein unschuldig Blut vergossen.“

Eine kleine messianisch-jüdische Organisation heißt „Be´ad Chaim“ („Für das Leben“). Sie unterstützt nicht nur Schwangere in Krisensituationen, sondern möchte auch die ethischen Maßstäbe Gottes und den Wert der Familie unterstreichen, gerade angesichts der steigenden Scheidungsrate und der zunehmenden Zahl alleinerziehender Mütter in Israel. Die Statistiken zeigen, dass Schwangerschaftsabbrüche vor allem eine Folge sexueller Beziehungen außerhalb der Ehe sind. Bei „Be´ad Chaim“ finden auch die Frauen Hilfe, die an den Folgen einer Abtreibung leiden.

(Foto: a11sus)

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3 Antworten

  1. Bitte um Korrektur: Postinor ist keineswegs eine Abtreibungspille. Eine Schwangerschaft wird durch sie verhindert, nicht abgebrochen. Damit zählt sie zu den Notfallverhütungsmitteln!

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    1. Danke für den Hinweis. Wir haben das Attribut Notfallverhütungsmittel im Text ergänzt!

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    2. Es kann keine nachträgliches Verhütungsmittel geben! Alles was nach dem Akt unternommen wird verhindert nicht mehr die Zeugung, sondern verhindert das das gezeugte Kind sich entwickeln kann. Abtreibung ist dafür genau das richtige Wort, wenn man Mord nicht aussprechen will.

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