Es sind dramatische Szenen, die das israelische Fernsehen seit diesem frühen Morgen zeigt: Siedler, Männer, Frauen und Kinder, werden von vier, fünf Soldaten an Händen und Füßen aus ihren Häusern zu den bereitstehenden Bussen und Einsatzfahrzeugen getragen. Die jüdischen Anwohner protestieren lautstark, Dutzende verbarrikadieren sich in oder auf ihren Häusern oder in der Synagoge, um bis zuletzt gegen ihre Evakuierung zu kämpfen.
Israels Armee und Polizei tun alles, um das vollständige Chaos zu vermeiden. Ganz gelingt ihnen das nicht: auf Straßen brennen Autos und Reifen, Menschen flüchten vor den Soldaten, beschimpfen sich lautstark. Doch die Situation der Menschen in Israel ist nicht dramatisch, sondern vielmehr tragisch. Das gibt selbst Premierminister Ariel Scharon vor laufender Kamera zu: „Es bricht mir das Herz, wenn ich die Familien weinen sehe“, sagt Scharon am Mittwochmorgen live im Fernsehen. Er, der für die Räumung des gesamten Gazastreifens verantwortlich ist, er, der von vielen verschriene „Bulldozer“, der immer wieder dafür gescholten wurde, zu hart gegen die Palästinenser vorzugehen. Jetzt schilt ihn kaum jemand, nur die hilflosen Siedler und Protestanten.
Gott gegen den Staat?
Die Tragik der Situation besteht nicht nur in dem Riss, der durch die Gesellschaft Israels geht, sondern vielmehr durch ganze Familien. Ein Siedler, der im Gazastreifen lebt, wird nun von seinem Bruder, einem Soldaten, aus dem Haus getragen. Familienangehörige stehen sich in diesen Stunden gegenüber – und können doch nicht anders, als sich als betroffener Siedler zu wehren oder dem Räumungsbefehl als Soldat zu gehorchen.
Am späten Dienstagabend zeigten internationale Nachrichtensender die Szene, in der ein Rabbi einem Soldaten gegenübersteht. Er greift den Armeeangehörigen nicht an, beschimpft ihn nicht. Der Rabbi bindet dem jungen Soldaten die traditionelle Gebetskapsel der „Tefflin“ um die Stirn. Der Soldat lässt das Ritual über sich ergehen. Und der Journalist kommentiert: „Was der Rabbi hier ausdrücken will, ist, dass Gottes Gebote über denen der weltlichen Regierung stehen.“ Es ist diese Szene, die die Tragik des Rückzuges vielleicht deutlicher ausdrückt als sich wehrende Siedler, brennende Reifen und Tausende Demonstranten.