Das Jugenddorf Beit Haggai liegt eine halbe Autostunde von Jerusalem entfernt in den südlichen Hebronbergen in Judäa – der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Namen von drei jüdischen Jungen zusammen, die 1980 in Hebron ermordetet wurden: Hanan Krauthammer, Gershon Klein, Jakov Zimmerman. Diese drei Buchstaben ergeben gleichzeitig in Hebräisch auch den Namen des Propheten Haggai.
Das Jugenddorf wurde 1989 gegründet, als die gleichnamige jüdische Ortschaft erweitert und viele neue Wohnhäuser gebaut wurden. In den freigewordenen Häusern und Einrichtungen der Gründungszeit befindet sich nun das Jugenddorf.
Heute ist Beit Haggai zur Heimat für etwa 50 Jungen im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren geworden. Die Kinder kommen aus schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen, manche mußten sich zuvor als Straßenkinder durchschlagen.
Ein typisches Beispiel: Avishai, der mit zwölf Jahren nach Beit Haggai kam, ist heute 15 Jahre alt. Als er noch ein kleines Kind war, wanderte seine Familie aus Kasachstan nach Israel ein. Dann verließ ihn seine Mutter. An seinen Vater kann er sich nicht erinnern – niemand weiß, wo er heute lebt.
Avishai wurde zu seinem Onkel gebracht, der sehr gewalttätig war und ihn oft schwer prügelte. Im Alter von fünf Jahren kam Avishai in ein Heim für mißhandelte Kinder in Tel Aviv. Von dort aus führte sein Weg durch mehrere Pflegefamilien. Seine Mutter lebt heute in Beersheva und will nichts von ihrem Sohn wissen. Bedingt durch diese schweren Erlebnisse hat Avishai Verhaltensstörungen. In Beit Haggai hat er zum ersten Mal eine stabile Umgebung gefunden, in der er Vertrauen entwickeln konnte. Es scheint, daß Avishai nach und nach wieder in ein seelisches und körperliches Gleichgewicht findet – trotz seiner großen Einsamkeit und der fehlenden Verbindung zu seiner Familie.
In Beit Haggai leben jeweils etwa acht Jungen in einer Familie zusammen. Die Eltern sind religiöse jüdische Ehepaare, die meist eigene kleine Kinder haben und sich etwa zwei Jahre für diesen Dienst in Beit Haggai zur Verfügung stellen. Sie führen mit den Jungen zusammen ein ganz normales Familienleben mit gemeinsamen Mahlzeiten, Hausaufgabenbetreuung und Freizeitaktivitäten. Dabei geben die Eltern den Kindern viel Liebe, Wärme und die Geborgenheit einer Familie. Es ist nicht einfach, mit so vielen problematischen Kindern auf etwa 100 Quadratmetern zusammenzuleben, zumal in letzter Zeit immer mehr schwierigere Kinder ins Heim eingewiesen wurden. Die Pflegeeltern sind jedoch hoch motiviert und sehen es als eine von Gott gegebene Aufgabe an, den ihnen anvertrauten Jungen dabei zu helfen, ihre schlimmen Kindheitserlebnisse zu bewältigen.
In Beit Haggai befindet sich auch eine Schule mit fünf Klassen, in welchen individuell auf das Lernfähigkeiten der Kinder eingegangen wird. Parallel zur normalen Schule erhalten die Jugendlichen auch eine praktische Berufsausbildung. Je nach Interesse und Begabung werden die Jungen als Schreiner, Schlosser oder Gärtner ausgebildet. Im Umgang mit Werkzeugen und Maschinen und beim Herstellen von Gebrauchsgegenständen finden die Jungen das oft gänzlich verlorene Selbstvertrauen wieder. Besonders wichtig ist für die Kinder der Umgang mit Tieren. Hierbei lernen sie, Verantwortung zu übernehmen und ihre Aufgaben zuverlässig auszuführen, da die Tiere ganz auf sie angewiesen sind.
Die Lage von Beit Haggai in einer von Landwirtschaft geprägten Gegend, weit entfernt von Israels Ballungszentren, ist für ein Jugenddorf optimal. Leider hat sich seit Ausbruch der sogenannten Al-Aqsa-Intifada im September 2000 die Sicherheitslage in Judäa und Samaria sehr verschlechtert.
Immer wieder beschießen palästinensische Terroristen jüdische Siedlungen und jüdische Fahrzeuge. Auch Beit Haggai blieb davon nicht verschont. Im letzten Jahr wurde mehrmals auf die Siedlung und das Jugenddorf geschossen. Da die alten Gebäude aus der Gründerzeit, in denen die Familien wohnen, keinen Schutz gegen Gewehrfeuer bieten, wurden um die Gebäude entsprechende Betonwände aufgestellt. Zur Zeit werden zwei neue Familienhäuser aus Stein gebaut, die dann mehr Schutz bieten werden.
Ein vergleichbares Kinderheim in Elon Moreh in Samaria, mußte aufgrund der schwierigen Lage vor kurzem geschlossen werden. Ein Teil der Kinder und der Lehrer haben nun in Beit Haggai eine neue Heimat gefunden.
(Der Autor, Wilfried Bullinger, Korntal, leitet den Israel-Freundeskreis „Feigenbaum e.V.“ Der Verein unterstützt die wertvolle Arbeit in Beit Haggai.).