Rettung von Leben steht über dem Schabbat

Der aktuelle Abschnitt der wöchentlichen Toralesung befasst sich mit dem Schabbat. Jüdischen Auslegern ist klar: Lebensgefahr hebt die Gebote auf.
Von Israelnetz

Zwei Verse aus dem Wochenabschnitt „Ki tissa“ (2. Mose 30,11–34,35) sind uns Juden sehr bekannt. Wir sprechen sie am Schabbatvormittag, wenn wir den Wein segnen. In unserem Gebetbuch lauten sie: Die Söhne Israels sollen den Schabbat hüten. Sie sollen ihn feiern in allen Generationen als ewigen Bund. Zwischen mir und den Kindern Israels ist er ein Zeichen für ewig.

Im Babylonische Talmud wird gefragt: Wie ist es möglich, dass man den Schabbat entweihen darf, um einen Menschen zu retten? Hebt diese Tat die Gesetze zum Schabbat auf?

Rabbi Schimon Ben Mansia macht darauf aufmerksam, dass ein am Schabbat Geretteter in Zukunft viele Schabbatot einhalten wird. Damit unterstützt geradezu die Rettung eines Menschenlebens am Schabbat das Gebot, ihn einzuhalten.

Einem Menschen – auch am Schabbat – das Leben zu retten, gehört zu den Pflichten im Judentum. Es etwa nicht zu tun, steht nicht zur Diskussion. Das Leben an sich ist heilig.

Rabbinische Erklärungen

Diese Haltung wird in der rabbinischen Literatur erklärt. Zunächst wird auf eine Stelle im dritten Buch Mose (18,5) hingewiesen. Dort heißt es:

Der Ewige spricht: Ihr sollt meine Satzungen halten und meine Rechte. Denn der Mensch, der sie tut, wird durch sie leben. Hier wird unmissverständlich deutlich: Der Mensch soll durch das Tun der Gebote leben und nicht durch sie sterben.

In der Mischna lesen wir: Jede Tätigkeit, die wir schon vor dem Beginn des Schabbats am Freitag ausführen können, sollen wir erledigen. Sie soll den Schabbat nicht stören.

Verbotene Tätigkeiten nicht von anderen ausführen lassen

Der mittelalterliche Religionsphilosoph Moses Maimonides stellt nachdrücklich fest: Der Schabbat soll nicht durch verbotene Tätigkeiten entweiht werden. Auch soll man sich nicht dazu verleiten lassen, diese von Nichtjuden, Frauen oder Kindern ausführen zu lassen. Sie stören die Heiligkeit, sie führen zu einer allmählichen Einebnung dieses besonderen Tages auf das Niveau eines gewöhnlichen Wochen- und Arbeitstages.

Wie aber verhält es sich mit dem Gebot, einen Jungen an seinem achten Lebenstag zu beschneiden, wenn dieser auf einen Schabbat fällt? Auch die Brit Mila, die Beschneidung, soll am Schabbat und sogar an Jom Kippur vollzogen werden.

Der Babylonische Talmud kommt zu dem Schluss: Wenn es schon erlaubt ist, das Gebot der Beschneidung am Schabbat auszuüben, das ja nur auf die Korrektur eines kleinen Körperteils abzielt, dann ist erst recht die Rettung eines Menschenlebens erlaubt beziehungsweise geboten.

Hier gehen die Rabbinen nach der Auslegungsregel vor, vom Kleineren auf das Größere zu schließen. Zudem sehen sie die Verbindung zwischen dem Schabbat und der Brit Mila in dem gemeinsamen Wort „ Ot“ – „Zeichen“. Im Zweiten Buch Mose heißt es: Haltet meine Sabbate; denn das ist ein Zeichen zwischen mir und euch von Geschlecht zu Geschlecht. Und die Beschneidung soll ein Bundeszeichen zwischen Gott und Israel sein. Auch dieser semantische Zusammenhang schließt auf alle Fälle das bedeutendere Werk der Rettung einer Seele am Schabbat ein.

Nicht zögern, ein Menschenleben zu retten

Halten wir fest: Man darf am Schabbat nicht zögern, ein Menschenleben zu retten. Sein Sterben darf nicht in Kauf genommen werden. Daraus folgt konsequenterweise für alle religiösen Juden, dass auch am Schabbat die Sorge um einen Kranken an erster Stelle steht.

Der Arzt muss am Schabbat durch seine Tätigkeit Leben retten. Die Feuerwehr muss Brände löschen. Jede Hilfsorganisation ist verpflichtet, rettend tätig zu werden. Und in Kriegszeiten ist es den Soldaten erlaubt, den Schabbat zu entweihen, wenn sie der Verteidigung des Landes und seiner Bevölkerung dienen.

Die Gesetze der Tora sind uns gegeben, um auf jede erdenkliche Weise das Leben zu fördern, Erbarmen, Gnade und Frieden in die Welt zu bringen. Auch und gerade am Schabbat.

Von: Rabbiner Dr. Salomon Almekias-Siegl

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK). Der Beitrag wurde zuerst beim NDR veröffentlicht.

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3 Antworten

  1. Und dort wirkt sie heute eben befremdlich, die Tora und ihre Auslegung.
    Seit der Aufklärung, also seit mindestens 225 Jahren kennt man Bürgerrechte, Individulaismus, also den Wert, der dem einzelnen Menschen beigemessen wird. Seitdem steht ganz außer Frage, dass ein religiöses Gebot der Rettung eines Menschen entgegen stehen könnte. Das ist ganz abwegig. Darum wirken religiöse Argumentationen für die Rettung eines Menschen seltsam, denn niemand käme heute auf die Idee, man dürfe ein Menschenleben an einem religiösen Feiertag nicht retten.

    Natürlich beziehen sich solche religiösen Argumentationen auf die Zeit vor der Aufklärung, ich finde das sollte man dazu schreiben. Heute ist Hilfsbereitschaft in der westlichen Hemisphäre u.a. in Strafgesetzen kodifiziert. Wer einem anderen Menschen in Lebensgefahr nicht hilft, obwohl er es könnte, macht sich schlicht strafbar, ungeachtet seiner Religion. Weil jeder Bürger einer Gesellschaft die Pflicht zu dieser Mindestsolidarität hat, sonst steht er sittlich auf verächtlicher Stufe und muss vom Staat bestraft werden. Eine zusätzliche religiöse Herleitung wirkt dann wie eine Dopplung, die moralisch hinter der weltlichen zurückbleibt. Umgekehrt wäre es besser. Die religiöse Herleitung sollte moralisch viel weiter reichen als die weltliche.

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  2. ………vom Judentum lernen und die Zehn Worte sprich die Zehn Gebote achten und üben eine Lebenwichtige Ordnung.Gerade in einer Zeit von Krieg und Chaos ein muss.Allen einen gesegneten Tag und Schalom,schalom. Anton….WIR BRAUCHEN EINANDER,ZUSAMMEN UND EHRLICH GEHT LEICHTER

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  3. Shalom,-Redaktion-Vielen Dank für die wundervolle Erklärung.Ich wusste dies als Jude,doch es ist immer wieder schön zu sehen wieviel wir Juden Euch bedeuten. Toda Raba Jerusalem

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