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Als Köhler israelische Terror-Opfer würdigte

Der nun verstorbene Bundespräsident Horst Köhler besuchte vor 20 Jahren Israel. Nicht nur seine Knessetrede war ungewöhnlich.
Von Elisabeth Hausen

Als Horst Köhler vor 20 Jahren im israelischen Parlament sprechen wollte, kam es zu Protesten. Diese bezogen sich nicht auf seine Person, sondern auf die Sprache: Der nun verstorbene damalige Bundespräsident wollte sich auf Deutsch an die Knesset wenden.

„Solange noch Holocaust-Überlebende unter uns leben, sollte die deutsche Sprache nicht in der Knesset gesprochen werden“, sagte der damalige Gesundheitsminister Dan Naveh. Knesset-Sprecher Reuven Rivlin erlaubte hingegen die Rede auf Deutsch. Bereits 2000 hatte auch Johannes Rau eine deutsche Rede gehalten – ebenfalls gegen Widerstand. Der erste Bundespräsident in Israel war 1985 Richard von Weizsäcker.

Auch bei Köhler blieben einige Abgeordnete der Sitzung fern. Der heutige Regierungschef Benjamin Netanjahu, der damals Finanzminister war, saß noch wenige Minuten vor dem Eintreffen Köhlers an seinem Abgeordnetenplatz, war dann aber während der Rede verschwunden.

Ausgerechnet der Schoa-Überlebende Josef „Tommy“ Lapid von der säkularen Schinui-Partei gehörte hingegen zu den Befürwortern: Nicht nur Hitlers „Mein Kampf“, sondern auch die für den jüdischen Staat grundlegende Schrift, Theodor Herzls „Der Judenstaat“, „wurden in deutscher Sprache verfasst“, erinnerte der 2008 verstorbene Politiker: „Nicht die Sprache ist schuldig, sondern die Menschen, die sich ihrer bedienten.“ Sein Vater und sein Großvater kamen in Konzentrationslagern um, sein Sohn Jair Lapid ist derzeit Oppositionsführer.

Konter: Hebräische Einleitung für deutsche Rede

Köhler wiederum überraschte die Parlamentarier, indem er seine Rede nicht auf Deutsch eröffnete, sondern auf Hebräisch. Er begrüßte die Versammelten und fuhr fort: „Sie haben mich eingeladen, hier in Ihrem Parlament in Jerusalem zu Ihnen zu sprechen. Dafür danke ich Ihnen. Diese Reise, dieser Tag und diese Stunde bewegen mich sehr.“ Dann wechselte er ins Deutsche.

Mit dieser Eröffnung gewann der Bundespräsident die Herzen vieler Israelis, zumal er „sogar mehrere Sätze“ auf Hebräisch sagte – wie das israelische Fernsehen erstaunt anmerkte. Die Zeitung „Ma’ariv“ schrieb von einem „Auftritt, der teilweise zu Tränen rührte“. Drei Jahre später sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenfalls ihre Rede auf Hebräisch eröffnen.

Anlass für den Besuch am 2. Februar 2005 war das 40-jährige Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. In der Rede fasste Köhler seinen Besuch zusammen: „Diese Reise war auch eine Reise durch unsere gemeinsame Vergangenheit.“

Besuche in Sderot und Auschwitz

Eine Station war die Kleinstadt Sderot nahe der Grenze zum Gazastreifen. Bezeichnend: Der hochpolitische Besuch war erst durch das israelische Presseamt bekannt geworden. Deutsche Stellen hatten ihn verschwiegen. Köhler sagte vor der Knesset: „Ich komme zu Ihnen aus Sderot. Sderot steht für Terror und Angst. Und ich habe mich heute selber überzeugt, was es bedeutet, wenn eine Kassamrakete weniger als zehn Meter von einem Kindergarten explodiert.“

Wenige Tage zuvor, am 27. Januar, hatte der Bundespräsident in Polen an der Gedenkzeremonie zum 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau teilgenommen. In Jerusalem besuchte er Yad Vashem. Köhler schilderte seinen Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte anschließend als „voller Schmerz, Trauer und Scham“. Ins Gästebuch schrieb er: „Wir dürfen nie vergessen.“

Fünf Jahre später sprach der israelische Staatspräsident Schimon Peres beim Holocaust-Gedenken vor dem Deutschen Bundestag. Bei einem Staatsbankett sagte Köhler: „Die Verantwortung aus der Schoa ist und bleibt Teil der deutschen Identität. Es ist meine feste Überzeugung, dass zur Gestaltung der guten Zukunft der Beziehungen zwischen unseren Ländern der Auftrag gehört, die Erinnerung bei den Nachgeborenen wachzuhalten.“

Das Staatsoberhaupt bezeichnete Peres als einen „guten Freund und verlässlichen Partner“. Dieser habe den Deutschen trotz persönlichen Leides die Hand entgegengestreckt. Köhler beobachtete außerdem eine Renaissance des jüdischen Lebens in Deutschland: „Das tut Deutschland gut.“

Ehrenmitglied von ZAKA

Während seiner Israelreise hatte Köhler auch die Arbeit der Rettungsorganisation ZAKA kennengelernt. Deren freiwillige Helfer kümmern sich nach Terroranschlägen oder Katastrophen darum, dass Verwundete versorgt und Getötete würdevoll bestattet werden können. Köhler war von der Organisation beeindruckt und äußerte den Wunsch, ihr als „Freiwilliger“ beizutreten – „obwohl ich ja nicht in Israel bin und aktiv mithelfen kann“.

ZAKA beschloss, Köhler zum „ersten Ehrenmitglied“ zu ernennen, schrieb Nahostkorrespondent Ulrich W. Sahm in einem Beitrag für die Website „Hagalil“. Die Ehrenurkunde wurde ihm im Charlottenburger Schloss überreicht.

Die Hilfsorganisation sah derweil Ansätze von einem Freiwilligendienst: Köhler habe sich persönlich um die Beerdigung eines israelischen Staatsbürgers gekümmert und die Überführung eines in Deutschland verstorbenen Israelis zur Bestattung in Israel beschleunigt.

Zukunftsforum für deutsch-israelische Zusammenarbeit

Eine weitere Frucht der Reise war die Stiftung „Deutsch-israelisches Zukunftsforum“. Die beiden damaligen Staatspräsidenten, Köhler und Mosche Katzav, schlugen zum 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen ein solches Forum vor.

Im Jahr 2007 wurde es gegründet mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Israelis in verschiedenen Bereichen zu fördern. Seit 2017 verleiht die Stiftung den Schimon-Peres-Preis an Menschen, die deutsch-israelische Beziehungen positiv gestalten.

Ende 2005 eröffnete Köhler das europäisch-israelische Forum. Auch dort erwähnte er seinen Besuch in Sderot: „Als ich im Februar in Israel war, habe ich gespürt: Die Menschen sehnen sich nach Frieden. Sie wollen ein Ende von Terror und Gewalt, von Krieg und Zerstörung. In Sderot, einem kleinen Ort in Israel an der Grenze zu Gaza, habe ich mit Menschen gesprochen, die Kinder, Verwandte und Freunde durch Angriffe mit Kassamraketen verloren haben.“

Weiter sagte er: „Die Lage im Nahen Osten insgesamt fordert uns in unserer Verantwortung heraus. Es ist niemals leicht, Verantwortung zu tragen. Aber wir kommen nicht darum herum: Wenn wir die Welt zum Guten entwickeln wollen, dann müssen wir erkennen, dass wir am Ende alle aufeinander angewiesen sind, ob wir Europäer oder Amerikaner sind, Israelis, Palästinenser oder Araber, Asiaten oder Afrikaner.“

Zuversicht für Nahost und jüdisches Leben in Deutschland

Köhler war in jener Zeit zuversichtlich, dass trotz der traumatischen Erlebnisse der Terror-Opfer Versöhnung möglich sei. Anzeichen sah er unter anderem in der palästinensischen Präsidentschaftswahl, bei der Fatah-Chef Mahmud Abbas am 9. Januar 2005 demokratisch gewählt worden war.

Am 9. November 2006 sprach Köhler bei der Einweihung der Hauptsynagoge in München. Er bekundete den Wunsch, „dass diese Synagoge bald ganz selbstverständlich zu München gehört – so, wie jede Synagoge in Deutschland ein Teil unserer gemeinsamen Zukunft ist“.

Der gläubige Christ sagte: „Synagogen sind Orte des Gebets, der Hinwendung zu Gott und der Besinnung auf das, was dem eigenen Leben Orientierung verleiht. Zugleich sind sie Stätten der Gemeinschaft und Kristallisationspunkte für ein vielfältiges religiöses und kulturelles Leben.“ Trotz antisemitischer Angriffe seien Träume nötig, eine Vorstellung davon, „wie eine gemeinsame Zukunft in einem von Vielfalt und Toleranz geprägten Deutschland aussehen soll“.

Grußwort für Bildungsbuch gegen Antisemitismus

Nach seinem Rücktritt am 31. Mai 2010 wurde es ruhig um den Bundespräsidenten außer Dienst. Doch noch in einem 2023 erschienenen Aufklärungsbuch gegen Antisemitismus, „Das Erbe der Zeitzeugen“, schrieb er eines von drei Grußworten. Er empfahl es „für einen guten, lebensweltorientierten Unterricht“, der „die Lernenden zu einer Begegnung mit der Vielfalt jüdischen Lebens heute führt und ihnen hilft, vergangenes Unrecht zu erkennen, bestehende Vorurteile abzubauen und gemeinsame Werte zu entdecken“.

Von dieser Einstellung war auch Köhlers denkwürdiger Israelbesuch geprägt, bei dem er nicht nur die in der Schoa ermordeten Juden würdigte, sondern auch solche, die kurz zuvor Opfer von Terror geworden waren. Am Samstag ist der Altbundespräsident nach schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren verstorben. Möge die Erinnerung an ihn in Deutschland und in Israel zum Segen sein.

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2 Antworten

  1. Der bei weitem interessanteste und bewegenste Nachruf auf Horst Köhler. Ich habe ihn als Präsidenten sehr geschätzt und seinen Rücktritt bedauert. Vielen Dank Frau Hausen.

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