ISTANBUL (inn) – Die jüdische Gemeinschaft in der Türkei trauert um ihren Oberrabbiner Isak Haleva. Er starb am Dienstag mit 85 Jahren in Istanbul. Das Amt hatte er seit 2002 inne, wie die Nachrichtenseite „Daily Sabah“ berichtet.
„Wir sind tieftraurig darüber, dass wir unseren hochverehrten Leiter verloren haben“, schrieb die jüdische Gemeinschaft auf X. Haleva war der erste Oberrabbiner, der auf Türkisch predigte. Vorher war dafür Ladino vorgesehen, die traditionelle Sprache der sephardischen Juden. Sie setzt sich aus Spanisch und Hebräisch zusammen, hinzu kommen türkische Elemente.
Haleva wurde 1940 in Istanbul geboren. Nach seinem Schulabschluss besuchte er ein Rabbinerseminar in Jerusalem. 1961 kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Er unterrichtete an der jüdischen Oberschule. Zudem lehrte er Hebräisch und Jüdische Kultur an der Marmara-Universität und der Sakarya-Universität. Er beherrschte auch Aramäisch, Englisch, Französisch und Spanisch.
Bei Selbstmordanschlag in Istanbul verletzt
Im November 2003 verübten Terroristen einen doppelten Selbstmordanschlag auf zwei Synagogen in Istanbul. Die Attentate forderten 23 Todesopfer, Hunderte Menschen wurden verwundet. Rav Haleva erlitt leichte Verletzungen.
Er war seit 1453 der 35. Hahambaşi, wie der Oberrabbiner auf Türkisch genannt wird. In jenem Jahr eroberten die Osmanen Konstantinopel, also das heutige Istanbul. Seine Amtszeit als Oberrabbiner wurde dreimal verlängert.
Er habe „immer an die Einheit von Frieden und Liebe geglaubt und unsere Gemeinschaft jahrelang im Einklang mit diesem Glauben geleitet“, erklärte die jüdische Gemeinschaft. „Während seiner Amtszeit hat Rav Haleva mit seiner warmen und konstruktiven Persönlichkeit persönliche Freundschaften sowohl mit unserem Präsidenten als auch mit vielen Staatsmännern aufgebaut, die unser Land besuchten.“
Treffen mit Obama und Al-Assad
So traf er 2009 den damaligen US-Präsidenten Barack Obama und 2014 Papst Franziskus. Zudem gab es 2008 ein Gespräch mit dem mittlerweile gestürzten syrischen Staatschef Baschar al-Assad, als sich dieser in Istanbul aufhielt. Später sagte Haleva dazu einem israelischen Medium: „Ich als offizieller religiöser Vertreter mische mich nicht in politische Angelegenheiten ein. Der türkische Premierminister hat mich einbestellt, also kam ich.“ Er habe Al-Assad ermutigt, Frieden mit Israel zu schließen.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sprach der jüdischen Gemeinschaft indes telefonisch sein Beileid aus. Bürgermeister Ekrem İmamoğlu schrieb auf X, Haleva habe „immer Frieden unterstützt und dem Dialog und der Freundschaft große Bedeutung zugemessen“.
Einfluss hatte der Oberrabbiner auch auf türkische Diasporajuden in Amerika und Israel. Hay Eytan Cohen Yanarocak stammt aus der Türkei. Er ist Dozent für Israelisch-türkische Beziehungen am Mosche-Dajan-Zentrum der Universität Tel Aviv. „Wir sind alle unter seinen Knien aufgewachsen – in der Synagoge, der jüdischen Oberschule, war seine Gegenwart deutlich spürbar“, kommentierte er die Bedeutung des Verstorbenen.
Dabei betonte Haleva immer seine türkische Identität. Als Sepharden die Möglichkeit erhielten, die spanische und die portugiesische Staatsbürgerschaft zu erlangen, sagte er bei einem Besuch in Portugal 2016: „Ich bin ein türkischer Jude, Punkt.“
Herzog: Seine Stimme wird vermisst werden
Der israelische Staatspräsident Jizchak Herzog würdigte Haleva auf X: „Er wird als große Führungspersönlichkeit und als großer Erzieher in Erinnerung bleiben; er leitete nicht nur die alte jüdische Gemeinschaft in der Türkei, sondern sprach sich auch für Dialog und Freundschaft zwischen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen aus, vor allem zwischen Juden und Muslimen. Während die Stimme von Oberrabbiner Rav Haleva sehr vermisst werden wird, wird sein Erbe als Leuchtturm für zukünftige Generationen dienen.“
Derzeit leben etwa 15.000 Juden in der Türkei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die jüdische Gemeinschaft rund 200.000 Mitglieder. Die meisten waren Nachkommen von Juden, die im 15. Jahrhundert infolge der Inquisition in Spanien Zuflucht im Osmanischen Reich gesucht hatten.
Im 20. Jahrhundert verließen viele Juden die Türkei Richtung Israel. Ein Grund war eine 1942 eingeführte Vermögensteuer, die einem staatlichen Raub des Besitzes nationaler Minderheiten gleichkam. 1955 gab es zudem ein Pogrom in Istanbul. In späteren Jahrzehnten war die wirtschaftliche Instabilität ein häufiger Grund für die Auswanderung. (eh)
4 Antworten
Derzeit leben etwa 15.000 Juden in der Türkei. Ein sicherer Ort? Nein.
@Alberto
Nicht nur für Juden, auch Christen sind zunehmend unerwünscht in der Türkei. Die am stärksten verfolgten Christen in der Türkei sind ehemalige Muslime, die sich vom Islam abgewandt und den christlichen Glauben angenommen haben. Konvertierte werden schikaniert und ausgegrenzt. Die Religionszugehörigkeit steht im Perso. Ein wahrer Türke ist ein Muslim. Fanatischer Nationalismus. Open Door schreibt darüber. Haleva hat immer Frieden unterstützt, sagt Erdogan. Ja, im Gegensatz zu ihm.
@Ella
Kommt zum Krieg zwischen Israel und der Türkei von Erdogan? Es ist nur eine Frage der Zeit. Weshalb?
Das Land wird von Tag zu Tag islamischer und die Türken in Europa auch.
Oberrabbiner Haleva möge allen in guter Erinnerung bleiben. Sein interreligiöser Dialog ist vorbildlich.
Leider hat sich durch Erdogan die Lage für die Jüdische Gemeinde in der Türkei deutlich verschlechtert, Hoffnung auf Besserung ist nur mit dem Ende der Regierungszeit Erdogans zu erwarten.
Die Welt ist kalt und ungemütlich, die Guten verlassen diese Welt.