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Meinung

Identitätssuche als Schauspiel

Was passiert, wenn Shakespeare auf Arabisch in Bethlehem aufgeführt werden soll? Die Israelis verbieten es – zumindest im Roman „Enter Ghost“ von Isabella Hammad.
Von Elisabeth Hausen

Eine kleine Gruppe von Arabern aus Israel und dem Westjordanland plant eine Aufführung von William Shakespeares „Hamlet“ in Bethlehem. In den Proben interpretieren sie auch die Lage der Palästinenser in die Handlung hinein. Die Schauspielerin Sonia, die in England lebt, stößt zu der Gruppe. Das ist die Rahmenhandlung des Romans „Enter Ghost“ von Isabella Hammad. Was es mit dem Titel (Tritt ein, Geist) auf sich hat, der auch bei der deutschen Übersetzung englisch blieb, wird erst am Schluss ein wenig aufgelöst.

Sonias Vater ist israelischer Araber, die Mutter ist Tochter eines Palästinensers und einer Niederländerin. Sie und ihre Schwester Haneen sind in London aufgewachsen, die Eltern haben sich irgendwann getrennt. In den Ferien besuchten sie die Großeltern in der israelischen Küstenstadt Haifa, mit denen sie Arabisch sprachen – was ihre Mutter nur bruchstückhaft beherrschte.

Mittlerweile lehrt Haneen in Haifa an der Universität. Sonia befindet sich auf der Suche nach einem neuen Engagement und auch auf der Flucht vor einer Affäre mit einem Regisseur. Sie besucht für ein paar Wochen ihre Schwester – und wird gebeten, bei dem Theaterstück mitzumachen, bei dem Haneens Freundin Mariam Regie führt. Nach anfänglichen Vorbehalten lässt sie sich darauf ein, pendelt zwischen Haifa und Ramallah, lernt die anderen Darsteller kennen und verliebt sich in einen von ihnen.

Das Thema „Theater“ setzt Hammad auf besondere Weise stilistisch um. Sonia ist nicht nur Schauspielerin, sondern denkt mitunter in Szenen: „Ich spülte das Waschbecken aus, schüttelte eine Locke zur Seite und trat dann von rechts auf die Bühne.“ Ein paar Abschnitte des Buches sind gar wie ein Drehbuch gestaltet. Links steht der jeweilige Name in Großbuchstaben, daneben die wörtliche Rede, zwischendurch wird die Handlung beschrieben.

Auch israelische Araber sind „Palästinenser“

Die Araber werden in dem Roman fast durchgehend als „Palästinenser“ bezeichnet – auch wenn sie israelische Staatsbürger sind. Sie treten dann als „48er“ oder „im Inneren“ Lebende auf. Erst auf Seite 232 weist die Autorin auf Vorteile hin, die arabische Israelis genießen.

Abgesehen davon kommt Israel fast ausschließlich negativ weg. Israelische Soldaten wollen die geplante Aufführung in Bethlehem verhindern. Und in ihrer Jugend war Sonia einmal im Westjordanland – um einen Verwandten zu besuchen, der im Gefängnis in einen Hungerstreik getreten war und nun sterbenskrank zu Hause liegt.

Beispielhaft für den Tenor des Buches ist dieser Satz: „Es war Onkel Jad zu verdanken, dass sich unsere Familie dem Widerstand tiefer verbunden fühlte als andere Palästinenser in Haifa, vor allem jene, die als arabische Israelis gelten wollten, sich von ihren Wurzeln losgesagt hatten und meist Hebräisch sprachen.“

Der Aufenthalt in Israel und dem Westjordanland wird für Sonia zu einer Suche nach ihrer Identität. Sie fragt sich, wo sie hingehört. Während sich ihre Schwester für ein Leben in Haifa entschieden hat, ist für sie selbst die Entscheidung auch am Ende des Buches noch nicht gefallen. Aber sie solidarisiert sich mit den Palästinensern.

Tempelberg-Anschlag von 2017 aufgegriffen

Während die Schauspieler mit Proben und Organisieren beschäftigt sind, ereignet sich ein Anschlag beim Löwentor im Osten der Jerusalemer Altstadt: Drei israelische Araber ermorden, vom Tempelberg kommend, zwei Polizisten aus Nordisrael und werden selbst erschossen. Als Reaktion stellen die israelischen Behörden Metalldetektoren auf dem Weg zum Tempelberg auf.

Die Autorin greift hier ein Ereignis aus dem Juli 2017 auf. Auch den anschließenden Boykott des Tempelberges aus Protest gegen die Detektoren thematisiert sie: Muslime beteten damals auf den Straßen von Ostjerusalem. Die Romanfiguren Sonia und Haneen stammen zwar aus einer christlichen Familie, aber sie schließen sich der Kampagne an – mit Gebetsteppichen gesellen sie sich zu den Demonstranten.

Sonia beschreibt, wie sie die Massengebetsveranstaltung erlebt: „Wir heben unsere Hände, wir sagen, Gott ist groß. Wir falten unsere Hände, wir sagen, Gott ist groß. Wir beugen uns zum Boden, ein Rauschen von Körpern. Wir kommen wieder hoch und es löst ein sonderbares Glücksgefühl in mir aus, eine von Tausenden zu sein.“ Die israelischen Sicherheitskräfte lösen die Versammlung mit Tränengas auf, die beiden Schwestern ergreifen die Flucht.

Detektoren bei der Klagemauer nicht erwähnt

Dass es etwa an den Eingängen zum Gelände der Klagemauer seit Jahren Metalldetektoren und Taschenkontrollen gibt, verschweigt Hammad. Ähnlich wie die meisten internationalen Medien, die über die Ereignisse des Juli 2017 berichteten, deuten ihre Figuren die Maßnahme als gegen Palästinenser und Muslime gerichtet. Entsprechend gilt die Entscheidung, die Detektoren wieder abzubauen, als Sieg. Dass sie weitere Anschläge verhindern sollten und damit auch dem Schutz von Muslimen gedient hätten, spielt keine Rolle.

Nicht nur hier entsteht der Eindruck, das Buch verfolge unter anderem das Ziel, Israel in ein schlechtes Licht zu stellen. Auf die Idee, dass die Einschränkungen, denen Palästinenser unterworfen sind, möglicherweise nicht nur an der israelischen Besatzung liegen, kommen offenbar weder die Autorin noch die Romanfiguren. Die Unterdrückung der Palästinenser durch ihre eigene Regierung findet jedenfalls keine Erwähnung. Und die Gleichberechtigung der israelischen Araber im jüdischen Staat wird nur angedeutet.

Isabella Hammad: „Enter Ghost“, Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens, Luchterhand, 480 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-630-87742-6

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