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Warum Israels Erfolgsuni Technion deutsche Wurzeln hat

Vor einem Jahrhundert nahm das Technion in Haifa seinen Lehrbetrieb auf. Die Geschichte der Universität ist zu Beginn sehr deutsch und hat zugleich einen zionistischen Kern. Ihre Erfolge können sich sehen lassen.
Von Sandro Serafin

Auf hundert Jahre Lehre kann Israels Technische Universität in diesem Jahr zurückschauen: Das Technion in Haifa nahm zum Jahresende 1924 seine Arbeit auf. Seitdem hat es unzählige Wissenschaftler hervorgebracht, welche die israelische Wirtschaft und Innovationen mitgeprägt, sowie teilweise Nobelpreise gewonnen haben. 

Die ersten Ideen für ein solches Institut kamen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Im Jahr 1902 veröffentlichten Martin Buber, Chaim Weizmann und Berthold Feiwel eine Denkschrift unter dem Titel „Eine jüdische Hochschule“. Ihre Analyse: In vielen Ländern würden Juden diskriminiert und von höherer Bildung ausgeschlossen – das habe böse geistige, ökonomische und soziale Folgen, die sich „nicht schildern und gar für die Zukunft ausmalen“ ließen.

Die Lösung sahen sie darin, eine „jüdische Hochschule“ zu gründen. Am besten geschehe dies in Palästina, denn es bestehe kein Zweifel, dass mit der Existenz einer palästinensischen Hochschule sich das „Vertrauen in die Möglichkeit der Etablierung einer Heimstätte um ein Vielfaches steigern und festigen würde“. Die drei Visionäre präsentierten ihre Idee dem Zionistenkongress.

Zionisten und Nicht-Zionisten

Trotzdem waren es zunächst nicht primär Zionisten, die das Projekt mit finanzieller Unterstützung wohlhabender Juden praktisch vorantrieben, sondern vor allem der dem Zionismus distanziert gegenüberstehende „Hilfsverein der Deutschen Juden”. Er kümmerte sich um die „Entwickelung der Glaubensgenossen“ vor allem in Osteuropa und Palästina. In dem damals noch osmanischen Gebiet unterhielt er mehrere Schulen.

USB-Stick

Bis heute greifen Millionen Computernutzer auf die unkomplizierte Speichertechnologie zurück. Als ihre Erfinder gelten gleich mehrere Israelis, die am Technion in Haifa studierten, darunter Dov Moran.

Paul Nathan, einer der Gründer, griff auch die Idee einer technischen Hochschule auf. Dabei sah er gerade im Orient großes Entwicklungspotential: Diese Region sei „fast unbegrenzt“ noch „für die moderne Technik zu erobern“. Dies werde, schrieb der Hilfsverein, nicht nur den Juden selbst, sondern auch „dem ottomanischen Vaterlande“ Nutzen bringen. Die Betonung auf dem „ottomanischen Vaterlande“ war eine wenig zionistische Perspektive. 

Als besten Standort für das Technikum – so lautete zunächst die deutsche Bezeichnung für das Technion – hatte Paul Nathan Haifa ausgemacht. Die Mittelmeerstadt im Norden Palästi­nas sei zu präferieren, weil Haifa „durch seine Lage am Meere, sowie durch seine Eisenbahnverbindung mit Damaskus einer großen Zukunft entgegen geht“.

Eine Preuße entwarf das Gebäude

Einige Jerusalemer opponierten erfolglos gegen diese Standortwahl: Die Gesellschaft erwarb 1908 ein Grundstück am unteren Hang des Karmelgebirges. 1912 konnte der Grundstein für das zentrale Gebäude gelegt werden. Als Architekt war der preußische Jude Alexander Baerwald beauftragt worden, der unter anderem den Umbau der Staatsbibliothek Unter den Linden entworfen hatte.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist D10-027-1024x576.jpg Foto: Zoltan Kluger/GPO
Das alte Technikum-Gebäude wurde von einem preußischen Architekten entworfen

Auch darüber hinaus war der deutsche Einfluss in den Anfangsjahren des Technikums immens, wie insbesondere Se’ev Sadmon in einer umfassenden Studie herausgearbeitet hat. Demnach wurde die Ausrüstung der Werkstätten und Laboratorien zunächst ausschließlich bei deutschen Firmen bestellt. Zwei Professoren der Königlichen Technischen Hochschule Berlin-­Charlottenburg leiteten ab 1909 einen wissenschaftlichen Beirat.

Lempel-Ziv-Algorithmus

Die Erfindung vereinfachte die Datenkomprimierung. Auf dem Algorithmus basieren Formate wie GIF. Er geht zurück auf Abraham Lempel und Jacob Ziv, zwei Professoren am Technion.

Als das Technikum später eröffnet wurde, kamen von sieben Dozenten in den Hauptfächern vier aus Deutschland. Zeitweise zog das Projekt die Aufmerksamkeit der deutschen Reichsregierung auf sich. James Simon, Vorsitzender des Hilfsvereins mit guten Kontakten in die deutsche Politik, erklärte einmal, er selbst habe dem Kaiser gerne das Versprechen gegeben, „aus dem Technikum eine deutsche Anstalt zu machen“.

Ben-Jehuda drohte mit Blutvergießen

In den 1910er Jahren geriet das Projekt wegen zweier unvorhergesehener Ereignisse ins Stocken. Das erste hatte einen innerjüdischen Hintergrund: 1913 brachen die latenten Spannungen ums Technikum zwischen Zionisten und Nicht-Zionisten offen aus. Anlass war ein Kuratoriumsbeschluss, demzufolge keine offizielle Unterrichtssprache obligatorisch festgelegt wurde.

Zum Neuhebräischen, einem der höchsten Ausdrucksformen des Zionismus, hieß es lediglich, diesem solle „die eingehendste Pflege zuteil“ werden. Paul Nathan vom Hilfsverein erklärte das mit praktischen Erwägungen: Es fehlten Lehrbücher, Lehrer und Wörter im Hebräischen.

Tröpfchenbewässerung

Rafi Mehudar hat das Bewässerungssystem, für das Israel bekannt ist, zwar nicht erfunden. Der Technion-Absolvent hat es allerdings wesentlich weiterentwickelt und gilt daher als Pionier der Tröpfchenbewässerung.

Die Entscheidung führte nicht nur unter Zionisten in Palästina, sondern weltweit zu heller Empörung: Es brach das aus, was als „Krieg der Sprachen“ in die Geschichte einging. In Palästina kam es vielerorts zu Protestkundgebungen und Streikaktionen. Elieser Ben-Jehuda, Entwickler der neuhebräischen Sprache, drohte in einem Schreiben an Nathan, die Eröffnung werde „nicht ohne Vergießen jüdischen Blutes abgehen“. Man fühle sich „verletzt und des einzigen Heiligtums beraubt, auf dessen baldigen Besitz man gehofft hatte“.

„Die Hebraisierung des Technikums“

Für die Zionisten ging es hier auch um ihre Emanzipation von der Diaspora: „Wollen wir es dulden, dass westeuropäische Assimilanten die Axt über unsere zarten Pflanzungen schwingen?“, empörte sich etwa die Jerusalemer Zeitung „HaCherut“. Das Kuratorium sah sich schließlich gezwungen, seine Entscheidung zu revidieren und dem Hebräischen eine größere Rolle einzuräumen. Die zionistische Zeitung „Die Welt“ nannte das „die Hebraisierung des Technikums“.

Neben dem „Sprachenkrieg“ sorgte auch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges für Verzögerungen. Zeitweise diente das Technikum als Lager für deutsches, türkisches und dann britisches Militär. In dieser Zeit kam Inventar abhanden. Schließlich entwickelte sich ein langes Hin und Her, welches letztlich damit endete, dass die Zionistische Weltorganisation die Institution 1920 aufkaufte. Im Winter 1924/25 nahm sie dann endlich ihren Lehrbetrieb auf.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist D443-078-1024x576.jpg Foto: Zoltan Kluger/GPO
Gegen „einseitigen Intellektualismus“: Eine Gruppe von Studenten testet am Technikum die Stärke verschiedener Materialien

Ein Jahr zuvor hatte Max Hecker, der erste Präsident der Universität, den Kern des Projekts aus zionistischer Sicht auf den Punkt gebracht: Das Technikum trage „eine gesunde Gegenkraft gegen die Gefahr eines einseitigen Intellektualismus in sich“. Und: Es nehme „wesentlichen Anteil an der Schaffung der neuen jüdischen Generation, auf die unsere Hoffnungen gerichtet sind“. Anders formuliert: Hier sollte von nun an der „neue Jude“ gebaut werden, der sich vom alten „Diaspora-Juden“ unterschied.

Jedes Jahr 15 neue Unternehmen

Einige Jahre später schlossen die ersten 17 Studenten ihre Studien in Ingenieurswesen beziehungsweise Architektur ab. Unter ihnen war eine Frau. Seitdem ist das Technion enorm gewachsen. Mit dem Wandel der Zeit wandelte sich auch die Universität: Unter anderen entstanden Fakultäten für Luft- und Raumfahrtechnik und für Elektrotechnik. In den 1930er und 1940er Jahren profitierte das Technikum von der Aufnahme vieler europäischer Juden, die vor dem Nazi-Regime nach Palästina flohen.

Iron Dome

Das Raketenabwehrsystem ist für Israel derzeit so wichtig wie nie. An seiner Entwicklung haben Technion-Absolventen wie Chanoch Levin ebenso mitgewirkt wie an der Entwicklung anderer israelischer Raketenabwehrsysteme.

Über die Jahre bezog die Universität dann auch neue Gelände am Karmel-Hang. Die „Technion City” erstreckt sich heute nach Universitätsangaben auf 1,2 Quadratkilometer. Hier lernten zu Beginn dieses Jahres rund 15.000 Studenten an 18 Fakultäten (von Biologie und Chemie über Computer- und Datenwissenschaften bis Architektur und Ingenieurswesen). Insgesamt zählt die Universität mittlerweile um die 100.000 Alumni.

„Jedes Jahr werden am Technion 15 neue Unternehmen gegründet“, erklärte Uni-Präsident Uri Sivan im Februar der Zeitung „Israel Hajom“: „Der Großteil der heutigen zivilen Infrastruktur in ganz Israel – Straßen, Eisenbahnen, Wasser, Entsalzung, Landwirtschaft – ist das Werk von Technion-Absolventen und ­-Mitgliedern“, erzählte er. Ein konkretes Beispiel: Etwa 80 Prozent der Ingenieure, die am mittlerweile international bekannten Raketenabwehrsystem Iron Dome arbeiteten, seien Absolventen des Technion.

Israelnetz Magazin

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