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Street Art in Jerusalem

Auf dem Mahane-Jehuda-Markt in Jerusalem gibt es nicht nur Produkte aller Art. Auch Straßenkunst ist dort zu bewundern.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Der Mahane-Jehuda-Markt ist das pulsierende Herz Jerusalems und Bühne zweier Schauplätze. Frühmorgens drängen sich Lieferwagen in die schmalen Gassen, um frische Ware zu liefern. Die Straßenhändler bauen derweil routiniert ihre Stände auf, ab 8 Uhr morgens bieten sie ihre Ware feil, viele lauthals. Die ersten Kunden und Touristen strömen herbei.

Berührungsängste im wahrsten Sinne des Wortes dürfen die Leute im Schuk, wie Markt auf Hebräisch heißt, nicht haben. Meist geht und steht man dicht an dicht, große Einkaufswagen nehmen zusätzlich Raum ein. In Israel ist das Konzept von Single-Portionen nicht bekannt. Stets wird in großen Mengen eingekauft, die in unzähligen Tüten und Einkaufswagen nach Hause geschleppt werden. Eine Flut an Geräuschen, Düften und Szenen strömen unaufhörlich auf einen ein.

Braucht jemand eine Pause von all dem Trubel, laden kleine Lokalen zum Verweilen ein. Bei einer Vielzahl kulinarischer Gaumenfreuden kann man das bunte und lebhafte Treiben an sich vorüberziehen lassen.

Das andere Gesicht

Gegen 19 Uhr schließen die meisten Stände. Bis zum nächsten Morgen offenbart der Schuk sein weiteres Gesicht:

Wenn nach einem geschäftigen Tag auf dem Jerusalemer Mahane-Jehuda-Markt die Händler abends die schweren Metall-Rollläden herunterlassen, verwandeln farbenfrohe Graffitis und Straßenkunst den Schuk in eine einzigartige Freiluft-Kunstgalerie. Sie bezieht auch berühmte Jerusalemer Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart ein. Unter den Portraitierten sind zudem Anwohner und Händler, die den Markt maßgeblich geprägt haben, wie etwa Mordechai Zion Zidkiahu, der Gründer von Tzidkiyahu Deli, der imJahr 1967 in der Etz-HaChaim-Straße sein erstes Geschäft mit bulgarischem, Kaschkaval- und traditionellem Zfatit-Käse eröffnete.

Heute schmücken zwei weitere Filialen, eine Molkerei und eine Fleischerei, von Tzidkiyahu Delicacies die Straße. In der Molkereifiliale finden Kunden importierten Käse aus aller Welt, Boutique-Käse, verschiedene Dips, Olivenöl und Fisch. Auf der anderen Straßenseite der Etz- HaChaim, Hebräisch für Lebensbaum, bietet das Unternehmen Fertiggerichte, hausgemachte Salate und Pickles an. Nach Mordechais Tod, bat sein Sohn – er führt das Familiengeschäft weiter – den jungen israelischen Straßenkünstler Solomon Souza, seinen Vater auf dem Markt zu verewigen. Gesagt, getan. Das erste Graffito entstand und über die Jahre sollten viele weitere Sprühbilder des Künstlers folgen.

Künstler aus London

Souza wurde 1993 in London geboren, wo er im Stadtteil Hackney in einer Künstlerfamilie aufwuchs. Seine Mutter ist die britisch-israelische Malerin Karen (Keren) Souza-Kohn, Tochter von F.N. Souza, der als Vater der modernen indischen Kunst gilt. Seine jüngere Schwester Miriam ist Filmemacherin. Als Autodidakt wurde Solomon einer der bekanntesten israelischen Künstler, gegenwärtig lebt er in Tel Aviv. Seit seinem 14. Lebensjahr schafft er Wandgemälde.

An vielen Orten der Welt sind Graffiti fester Bestandteil der Subkultur, meist illegal. Nicht so in Jerusalem, wo Straßenmalerei möglich ist. Im Januar 2015 initiierte Berel Hahn das Graffiti-und Streetart-Projekt im Mahane-Jehuda-Markt, unter strengen städtischen Auflagen. So müssen die Graffiti-Entwürfe von der Stadtverwaltung sowie von den Anwohnern und Unternehmen, die von ihnen betroffen sein könnten, vorab genehmigt werden. Für alle Sprühbilder gilt: keine Darstellung von aktueller Politik, Gewalt oder anderen unangemessenen Darstellungen.

Zu den Konterfeis von Geschäftsbesitzern gesellen sich Portraits israelischer Prominenter aus Politik und Kultur, um nur einige zu erwähnen: die Sängerin und Poetin Naomi Schemer. Ihr Lied Jeruschalajim schel sahav (Jerusalem aus Gold)ist weit über die Landesgrenzen bekannt und beliebt. David Ben-Gurion malte der junge Künstler verkehrt herum, vielleicht eine Anspielung.

1957 fotografierte Paul Goldman just den Moment, als Ben-Gurion im Alter von 70 Jahren zum ersten Mal in seinem Leben einen Kopfstand machte, und dies am Strand von Tel Aviv. Kopfstandtraining, um den Körper zu stärken, hatte dem ersten Premierminister Israels kein geringerer als Moshé Feldenkrais empfohlen, der eine Zeit sein persönlicher Coach war. Heute steht genau an der legendären Stelle eine kopfstehende Statue von David Ben- Gurion, hergestellt von der deutschen Firma Artilink Productions.

Ferner begegnen wir im Schuk dem zionistischen Revisionisten Se’ev Jabotinsky, Gründer der Beitar-Bewegung, und Menachem Begin, dem sechsten Premier von Israel, an anderer Stelle der aus Portugal stammenden jüdischen Philanthropin Dona Gracia Nasi und Henrietta Szold, der Gründerin der Hadassah-Organisation und -Krankenhäuser. Bei aufmerksamen Schlendern entlang der Rollläden entdeckt man auch Moses Montefiore, Albert Einstein, Mahatma Gandhi, Steven Spielberg und Bob Marley.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Der frühere marokkanische König Hassan II. – er war Gastgeber für Geheimgespräche, die zum israelisch-ägyptischen Friedensvertrag führten

Gut einem Dutzend Rabbiner hat Solomon Souza Porträts gewidmet, darunter Mordechai Eliahu, Abraham Joschua Heschel, Jizchak Kaduri, Moses Maimonides, Schneur Salman von Liadi und Ovadia Josef. Auch arabische Persönlichkeiten sind vertreten: Aharisch, Scheich Fari al-Dschabari von Hebron, Si Ali Sakkat und die Königin von Saba. Zu seinen biblischen Figuren gehören Mose und Salomo. An einer Gebäudewand an der Jaffa-Straße schuf Souza ein opulentes Sprühbild.

In nahe am Markt gelegenen historischen Viertel Beit Ja‘akov schlossen sich 30 Künstler zum Projekt „unbeschriebenes Blatt“ zusammen. Auch hier schmücken Graffiti Hauswände, Masten, Balkone, Türen, Geschäfte und Stromkästen. Am Eingang zur HaDekel-Straße glotzen zwei riesige und furchterregende Gesichter. In der Beit-Ja’akov-Straße, in der Nähe der Agrippas-Straße, können Sie ein fabelhaftes Wandbild bewundern, das die Menschen, Kioske und Gebäude des Mahane-Jehuda-Marktes präzise darstellt. Dieses Kunstwerk hat die französische Künstler-Gruppe „CitéCréation“ geschaffen.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Der Markt auf einem Haus

In der Hagalgal-Straße, an der Seite eines verlassenen Gebäudes, befindet sich das Werk von Adam Jekutieli. Es ist nicht zu übersehen, denn das Gebäude lag einst an der Grenze zu Jordanien und ist mit Einschusslöchern übersät. Adam Jekutieli hat alle Beschädigungen in sein Werk „The Walls! integriert, indem er sie nummeriert und mit einer Legende versehen hat.

Für Graffiti-Fans lohnt sich auch ein Abstecher in das historische Viertel Ohel Schlomo, das „Zelt Salomos“, ein Viertel mit Innenhöfen und überwiegend orthodoxer Bevölkerung. Es gehört zu einer Reihe von Innenhofvierteln, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entlang der Jaffa-Straße gebaut wurden, zusammen mit Scha’arei Jeruschalajim und Batei Saidoff. Heute gilt Ohel Schlomo als Teil des Mekor-Baruch-Viertels.

Solomon Souzas Talent hatte sich bis Indien rumgesprochen. 2019 wurde er von Vivek Menezes, dem Kurator für Sonderprojekte des „Serendipity Arts Festival“ in Goa eingeladen, dort ein ähnliches Kunstprojekt wie auf dem Jerusalemer Mahane-Jehuda-Markt zu realisieren. Souza kam der Bitte nach und schuf Wandgemälde verschiedener prominenter Goaner aus Vergangenheit und Gegenwart.

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Im Januar 2020 enthüllte der FC Chelsea ein Wandgemälde von Solomon Souza an einer Außenwand der Westtribüne im Londoner Stamford-Bridge-Stadion. Es ist Teil von Chelseas Kampagne „Sag Nein zum Antisemitismus“, die von Clubbesitzer Roman Abramovich finanziert wird. Abgebildet sind unter anderem die Fußballer Julius Hirsch und Árpád Weisz, beide wurden im Konzentrationslager Auschwitz ermordet, sowie Ron Jones, ein britischer Kriegsgefangener, der als „Torhüter von Auschwitz“ bekannt war.

Tagsüber kaum bemerkt, ist der Mahane-Jehuda-Markt für Graffiti-und Street Art-Liebhaber ein wahres Eldorado. Begeben Sie sich bei Ihrem nächsten Besuch in Jerusalem im Schuk auf eine nächtliche Entdeckungstour oder schlendern Sie am Ruhetag, dem Schabbat, tagsüber über den Markt. Der Versuch, die Portraitierten zu identifizieren und mehr über ihre Lebensgeschichte und Rolle im Mahane-Jehuda-Markt zu erfahren ist sehr kurzweilig.

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