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Marc Chagall in der Knesset

In seinen Werken für die Knesset verknüpft Chagall biblische und neuere Motive. Der Anstoß für die Gestaltung kam vom Künstler selbst.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Der Chagall-Staatssaal befindet sich innerhalb der Knesset westlich des Plenumssaals. Er dient für Zeremonien, hochrangige staatliche Veranstaltungen und steht auch Besuchern – nach Voranmeldung – zum Besuch offen. Der Saal ist nach dem jüdischen Künstler Marc Chagall (1887–1985) benannt, geboren als Moishe Segal in Witebsk im damaligen Russischen Zarenreich, das heute in Belarus liegt.

Der Maler lebte einige Jahre in Paris, wo er sich mit Pablo Picasso anfreundete, einem der Gründer des Kubismus. Chagall wurde von Picasso inspiriert, so griff auch er den Kubismus in einigen seiner Malereien sowie Buntglasfenstern auf. Beide Künstler lebten später in der Provence, wo sie sich gegenseitig besuchten und auch ihre letzte Ruhe fanden.

Picasso, der gebürtige Spanier, fand sie in der Nähe von Aix-en-Provence. Marc Chagall, der säkulare Jude, wurde in Saint-Paul de Vence auf dem christlichen Friedhof beigesetzt. Chagall hatte von 1966 bis zu seinem Tode im Jahr 1985 in diesem malerischen Ort im Südosten Frankreichs gelebt und gewirkt. Hier schuf er auch sein Gemälde „Die Liebenden von Vence“.

Chagall wandte sich an den Knessetsprecher

Den Staatssaal schmücken drei große Wandteppiche (Gobelins), ein Wandmosaik und zwölf Bodenmosaike, allesamt geschaffen von Marc Chagall.

Im Sommer 1960 wendete sich Chagall an Kadisch Luz, den damaligen Knesset-Sprecher, und schlug ihm vor, Kunstwerke für den nun endgültigen und ständigen Sitz der Knesset zu schaffen. Es folgte eine Diskussion über die Art der Kunstwerke, sie sollte sich jahrelang hinziehen. Im Jahr 1963 kam dann endlich eine Entscheidung und positive Zusage.

Marc Chagall begann mit seinen Gemälde-Entwürfen, den Maquetten, auf deren Grundlage die Wandteppiche hergestellt wurden. Eine Maquette ist ein maßstabsgetreues Modell und dient als vorläufige Version des endgültigen Werks.

Wandteppiche in Paris gewebt

Das Weben der Gobelins begann Anfang 1965 im Pariser „Atelier de la Manufacture des Gobelins“. Der Webprozess war aufwendig, Chagalls Werke wurden zunächst in Schwarzweiß fotografiert und auf das Vierfache vergrößert, um die endgültigen Abmessungen der Wandteppiche zu erreichen. Ende 1968 wurden die Arbeiten zu den Gobelins abgeschlossen.

Die Wandteppiche sind 4,8 Meter hoch, die seitlichen Wandteppiche 5,5 Meter breit, der mittlere Wandteppich misst beachtliche 9,5 Meter in der Breite. Jeder der drei Wandteppiche trägt die Unterschrift von Chagall, das Datum des Gemäldes, die Unterschrift des Webers und das Datum der Fertigstellung.

Am 18. Juni 1969 wurden die Wandteppiche in einer feierlichen Zeremonie enthüllt im Beisein vom damaligen Staatspräsidenten Salman Schasar, Knesset-Sprecher Luz und Premierministerin Golda Meir. Chagall war mit seiner zweiten Faru Valentina Brodsky („Vava“) angereist. Bella Rosenfeld, seine erste Ehefrau, war kurz vor der Rückkehr nach Frankreich in den USA in Folge einer schweren Halsinfektion gestorben.

Bund und Rückkehr ins Gelobte Land

Betrachten wir einige Darstellungen näher: Die Hauptmotive des Triptychons sind der Bund der Israeliten mit G‘tt, die Rückkehr in das Gelobte Land, die Sammlung der Verbannten, die Übergabe der Tora sowie Prophezeiungen von Frieden und Sicherheit in Jerusalem und der ganzen Welt. Chagall verschmolz gekonnt biblische Szenen mit zeitgenössischer Geschichte und der Wiederbelebung der Nation in ihrem Land.

Der rechte Wandteppich trägt den Titel „Die Vision des Jesaja“. Die Darstellung des Propheten Jesaja ist das dominierende Motiv, die dargestellten Tiere symbolisieren folgende Passage: „Und der Wolf wird beim Lamm wohnen und der Leopard beim Böcklein lagern. Kalb und junger Löwe und Mastvieh werden beieinander sein, und ein kleines Kind wird sie treiben. Und Kuh und Bär werden weiden, ihre Jungen werden beieinander lagern. Und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und das kleine Kind wird am Loch der Natter spielen, und das entwöhnte Kind wird seine Hand nach der Höhle des Basilisken ausstrecken“ (Jesaja 11,6–8).

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Hier ist Jesajas Vision dargestellt

Der Wandteppich zeigt zudem Mose als Engel mit den Gesetzestafeln und Jakobs Traum von der Leiter. Die Menschen dieser Szene symbolisieren den Exodus, den Auszug aus Ägypten, der am Ende der Vision Jesajas erwähnt wird: „und es wird eine Straße geben für den Rest seines Volkes, der von Assyrien übrigbleibt, wie es sie für Israel gab an dem Tag, als es aus Ägypten heraufzog“. Dieser Passage widmete Chagall Raum im mittleren Teil des Wandteppichs.

Der zentrale Wandteppich trägt den Titel „Der Exodus“. Mose und König David dominieren die Szene, zwischen ihnen die Israeliten. Beide biblischen Figuren erscheinen mehrfach auf dem Wandteppich.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Hier hat Chagall den Exodus dargestellt

Mose empfängt die Gesetzestafeln, rechts erscheint er erneut als junger Hirte und die linke Seite zeigt ihn, wie er hinter einem Kind hergeht und die Israeliten beim Exodus anführt. Die Wolke über ihnen symbolisiert die göttliche Vorsehung, Exodus 13,21. Über der Wolke schwebt ein Engel, der einen Schofar bläst. Der durchdringende Ton des Widderhorns verkündet die Erlösung. König David spielt Harfe und erscheint in der Gestalt des jungen David, er hält den abgetrennten Kopf Goliaths.

Exodus mit zwei Ereignissen verknüpft

Die Darstellung des Exodus im Wandteppich hat Chagall mit zwei großen Ereignissen verknüpft, sie werden beiderseits der Wolke gezeigt: Links diejenigen, die die Länder des Nahen Ostens verlassen, symbolisiert durch eine Palme und ein Kamel, zur rechten Seite die Häuser der jüdischen Stadt in Osteuropa, die in Flammen aufgehen und ein wandernder jüdischer Mann, der seine wenigen Habseligkeiten auf der Schulter trägt und sich denen anschließt, die aus ihren brennenden Häusern fliehen. Über dem Wanderer die Darstellung eines toten jüdischen Mannes, umgeben von sechs Kerzen. Sie stehen für die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden und Jüdinnen.

Hinter König David entdecken wir eine Braut, vermutlich Chagalls Anspielung auf Jeremias Prophezeiung über die Rückkehr nach Zion, Jeremia 33,10–11. Die lange Reise endet am Eingang zu Jerusalem, ein Motiv, das im linken Wandteppich weiterentwickelt wird.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Davids Königsherrschaft und die Zeit der Staatsgründung

Der linke Wandteppich trägt den Titel „Einzug in Jerusalem“ oder „Rückkehr nach Zion“. Er greift zwei bedeutsame Zeiträume auf: Die Ära König Davids und die Zeit der Gründung des modernen Staates Israel. König David spielt ein Instrument und führt eine Gruppe von Figuren an, die die Bundeslade nach Jerusalem tragen, siehe 2. Buch Samuel 6.

Die Lade weicht von der biblischen Beschreibung der Bundeslade ab, sie ähnelt vielmehr den Tora-Schreinen, die Chagall 1931 bei seinem Besuch im galiläischen Safed gesehen hatte. König David wird von einer Menschenmenge musizierend und tanzend freudig begrüßt. Die Szene greift die Rückkehr nach Zion in der Neuzeit auf.

Über den Tanzenden ragt eine doppelköpfige Figur, sie trägt eine Waffe und Phylakterien, auf Hebräisch heißen sie teffilin, Gebetsriemen.

Über dieser Figur schließt sich ein Wachturm aus der Choma uMigdal-Zeit, deutsch „Mauer- und Turm“, an. Dabei handelt es sich um eine befestigte Stellung in der Zeit der Arabischen Aufstände mit einem Wachturm der Hagana, einer zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation während der britischen Mandatszeit über Palästina.

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Auf dem Turm zündet ein Kind die Kerze einer Menora an – das Symbol des Staates Israel. Bewaffnete Soldaten bewachen die aus einem Baum wachsende Flagge Israels. In pastoralen Szenen erscheinen die jüdischen Feiertage Schavout und Sukkot sowie weitere Symbole des jüdischen Staates. Über allem thront – basierend auf der Vision des Propheten Jesaja – Jerusalem.

Der Künstler Chagall hatte weitere gestalterische Anregungen. Er schlug vor, zwölf Mosaike mit Motiven in den Boden einzulassen, die von Mosaiken antiker Synagogen in Eretz Israel aus dem 5. und 6. Jahrhundert nach Christus inspiriert waren.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die Mosaike sind denen antiker Synagogen nachempfunden

​Die Mosaike zeigen Früchte, Tiere, Kerzenleuchter, ein Schofar, segnende Hände und weitere Motive. Verwendet wurden größtenteils lokale Steine. Die hellen Farben stammen aus der Gegend von Jerusalem, die blauen und grünen „Eilat-Steine“ wurden im südlichen Timna-Tal abgebaut, die schwarzen und braunen Steine ​​sind Basalt aus Nordisrael, die gelben und orangefarbenen sind italienisches Murano-Glas. Die Mosaike symbolisieren jüdisches kulturelles Schaffen im Heiligen Land in der fernen Vergangenheit und seine Wiederentdeckung bei archäologischen Ausgrabungen zu Chagalls Zeiten. Da die Umsetzung von Chagalls Handskizzen in ein Mosaik, das strukturiert ist und nur eine begrenzte Palette an Farben aufweist, sehr komplex war, beauftragte Chagall Experten mit dem Setzen der Steine, die Mosaikkünstler Lino und Heidi Melano.

Im Dezember 1965 beschloss Chagall, auch in die Nordwand der Halle ein Mosaik einzufügen. Das Wandmosaik ist 6 Meter hoch und 5,5 Meter breit. Es ist eine künstlerische Interpretation des Psalm 137: „An den Flüssen von Babylon saßen wir und weinten … Wenn ich dich vergesse, Jerusalem, dann soll meine rechte Hand mich vergessen …“

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Das Wandmosaik ist von Psalm 137 inspiriert

Wir sehen die Klagemauer, die von 1948 bis zum Sechs-Tage-Krieg unter jordanischer Kontrolle stand, Juden und Jüdinnen hatten somit 19 Jahre keinen Zutritt zu ihrer heiligen Stätte. Chagalls Mosaik zeigt jüdische Gläubige betend an der kotel, an der „Klagemauer“, am Horizont erhebt sich Jerusalems Altstadt mit dem markanten Wahrzeichen, dem Davidsturm. Auch hier sehen wir eine Menora, die einst wichtiges religiöses Symbol im Jüdischen Tempel war und nun das Staatswappen ist. Die Menora symbolisiert die Schöpfung in sieben Tagen.

Menschen blicken zu einem Engel auf. Er ermutigt die Juden und Jüdinnen, in ihre Heimat zurückzukehren.

Zwei bedeutende Dokumente

Der sechszackige Stern auf der linken Seite des Mosaiks steht stellvertretend für 4. Mose 24,17: „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn, aber nicht von Nahem. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen und wird zerschmettern die Schläfen der Moabiter und den Scheitel aller Söhne Sets.“ (Elberfelder).

Wenn wir unseren Rundgang fortsetzen, treffen wir in der Chagall-Staatshalle zwei Dokumente von signifikanter historischer Bedeutung:  Eine Replik der Unabhängigkeitserklärung und der „Jerusalemer Pakt“. Das Original der Unabhängigkeitserklärung wird heute aus Sicherheitsgründen im Staatsarchiv aufbewahrt. Der „Jerusalemer Pakt“ ist ein Treueschwur des Staates Israel auf die Stadt Jerusalem und wurde am 31. Mai 1992 – 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Jerusalems im Sechs-Tage-Krieg – von Staatsoberhäuptern und dem Vorsitzenden der Zionistischen Weltorganisation unterzeichnet.

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8 Antworten

  1. Fantastisch und zum Denken aufgerufen sind Werke von Chagall! Habe auch einen zu Hause (leider nicht im Original !)

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  2. Vor vielen Jahren durfte ich diesen Saal besichtigen, seitdem ist Chagall für mich einer der ganz Grossen. Ein Tipp : die Fenster der Sankt-Stephans-Kirche in Mainz (nicht der Dom) haben Chagall-Motive, an denen dieser grossartige Künstler mitgearbeitet hat. Es sind Motive, die christlich und jüdisch interpretierbar sind.

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  3. Ich liebe Marc Chagall. Die Fenster in St. Stephan in MZ. In der Schirn Kunsthalle, Ffm., war ich zur Austellung: Welt in Aufruhr. Zum Weinen schön.

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  4. Wir haben die Jerusalemfenster die 12 Stämme Israels zu Hause hängen. Was mich an Chagall besonders berührt, ist, dass er nicht religiös war, aber seine Bilder eine biblische Sprache sprechen. Da wird das besondere des Jüdischseins etwas deutlich. Sie sind eben nicht wie wir, Menschen mit einer bestimmten Religion, sondern „sie sind es einfach“, schon von Geburt an. Wenn wir 3-4 Generationen wo anders sind, sind wir keine Deutschen mehr. Die Juden die 1000 Jahre in Deutschland gelebt haben sind nicht Deutsche mit jüdischem glauben geworden, auch wenn man das manchmal so hinstellte. Jedes Progrom hat gezeigt, dass der Jude Jude geblieben war, er hatte keine Chance sich hinter seinem Deutschsein zu Verbergen. Auch kein Religionswechsel hat da was geholfen. Auch der Bezug zu Jerusalem, Wenn sie in der Diaspora gebetet haben nächstes Jahr in Jerusalem. Aus diesen Dingen heraus kommt auch der Antisemitismus, dieses Besonderssein ist der Anstoss, wir sind die Masse, sie etwas besonderes,“von Gott erwählt“ und das darf nicht sein. Es wurde dann vom Christentum kopiert, Ersatztheologie. Besonders aber vom Islam, der die Erwählung Gottes auf Ismael bezieht und die Bibel als Fälschung hinstellt. Aber diese besondere Verheissung und damit die besondere Stellung, jetzt auch dess Staates Israel, wird Gott nie von Ihnen nehmen, ganz egal wieviele Fehler sie auch machen. Das ist das Proplem, dass die nichtjüdische Menschheit diese tatsachen nicht akzeptieren will. Es ist ja nicht auszudenken, welche positiven Evekte eine Akzeptanz dieser Tatsachen,für die Menschheit mit sich brächten.

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    1. Erlauben Sie mir als Autorin des Artikels eine Anmerkung: die 12 Glasfenster, sie befinden sich in der Abbell Synagoge, Hadassah Krankenhaus, Ein Kerem/ Jerusalem hat Marc Chagall den 12 Söhnen Jakobs gewidmet. Dies erklärt. warum wir auch ein Fenster für Levi und eines für Joseph sehen. Levi wurde kein Stamm, sie dienten im Tempel, bekamen kein Land zugesprochen. G‘tt gab Joseph einen doppelten Segen indem sein Vater Jakob Josephs Söhne Menashe und
      Ephraim als Söhne annahm, beide wurden Stämme Israels.

      Mit freundlichen Grüßen aus Jerusalem
      Gundula Madeleine Tegtmeyer
      Journalistin & lizenzierter Tour Guidr in Israel sowie Guidr für die Hafassah Organization, Israel

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  5. Vielen Dank für den interessanten Artikel. Vor ein paar Jahren habe ich mit meiner Familie bei einer Reise nach Zürich die von Chagall gestalteten Glasfenster im Frauenmünster bewundert.

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