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Fotografische Annäherung an den verwundeten Raum des Nova-Festivals

Ein israelischer Fotograf nähert sich dem Massaker auf dem Nova-Festival auf künstlerische Weise an. Dabei steht die Landschaft im Mittelpunkt.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

In den Monaten nach dem 7. Oktober reiste der israelische Fotograf Gaston Zvi Ickowicz wiederholt nach Südisrael und positionierte seine Kamera mitten auf einem Feld – dem Feld, auf das die Teilnehmer der friedlichen Rave-Party „Supernova“ flohen, als um 6:29 Uhr der Alarm „Zeva Adom“ (Rote Farbe) unaufhörlich ertönte und der Albtraum begann.

Frühmorgens um 6:29 Uhr – diese Zeit markiert den Beginn des brutalen und mörderischen Hamas-Angriffs, bei dem mehr als 1.200 Menschen getötet und 251 in den Gazastreifen verschleppt wurden. Über 100 Erwachsene und Kinder sind noch immer in der Gewalt der Hamas.

Blick auf die Morgendämmerung gerichtet

Ickowicz richtet seinen Blick auf die aufgehende Sonne, die Morgendämmerung. Sie sollte der Höhepunkt eines friedlichen und ausgelassen Musikfestivals sein, wurde aber zu dem Moment, in dem Terror und Horror den Ort erfassten. Ort und Zeit des Hamas-Angriffs sind die externen Bezugspunkte der Ausstellung Field, die den Blick des Künstlers auf die Landschaft lenken.

Seit Anfang der 2000er Jahre fotografiert Ickowicz die israelische Realität in all ihrer Komplexität. Anders als die gewalttätigen Bilder vom 7. Oktober, die sich in das kollektive Bewusstsein und Gedächtnis Israels eingebrannt haben, bilden seine Bilder-Welten einen aussagestarkenKontrast zwischen der natürlichen Schönheit und Ruhe der Region, in der die Katastrophe geschah, und dem, was der Betrachter als wahr erkennt.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Eine israelische Schulklasse betrachtet am Jahrestag des Massakers die Videoinstallation

Die Ausstellung umfasst eine Videoarbeit, die auf dem Feld gedreht wurde, wohin die Teilnehmer der Nova-Party vor den Hamas-Terroristen flohen, sowie zwei Schwarz-Weiß-Fotoserien: Eine dokumentiert Verstecke, in denen die Überlebenden Schutz suchten, die andere Objekte, die Ickowicz vor Ort fand.

In seiner Video-Arbeit entfaltet sich ein bestelltes Feld auf drei Bildschirmen – ein Horizont ohne Menschen, Gebäude oder Gegenstände. Bäume, Büsche und Blumen verstärken die Schönheit dieser von der tiefstehenden Sonne beleuchteten Landschaft. Doch die Ruhe, die die Natur ausstrahlt – ihr Wachstum, ihre zyklische Erneuerung –, wird sukzessive untergraben. Lichtstrahlen enthüllen Spuren von Autos oder Panzern, auf dem Boden zeigen sich die Mulden, die nach der Massenflucht derer, die um ihr Leben rannten, zurückblieben.

Die Bildschirme vervielfältigen und spiegeln sich nach und nach, verzerren das Bild der Realität und erzeugen ein Gefühl der Desorientierung. In der Ferne bewegt sich ein Militärfahrzeug, Spuren teilen sich und laufen ineinander, Bäume breiten sich aus wie Wolken nach einer Explosion.

Ickowicz arbeitete in diese Installation Videomaterial des verstorbenen Roï Edan, der in Kfar Asa lebte und als Fotojournalist für die israelische „Yediot Aharonot“-Gruppe arbeitete. Edan wurde am 7. Oktober ermordet, kurz nachdem er Aufnahmen von Terroristen mit Gleitschirmen gemacht und an die Redaktion geschickt hatte, die sich seinem Kibbuz näherten.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Der Fotograf integrierte Aufnahmen eines ermordeten Journalisten

In „Field“ spiegeln Edans Fotografien und Videoaufnahmen Ickowicz‘ Perspektive wider: Sonnenaufgang versus Sonnenuntergang, ein Blick nach Osten, der andere Blick ist nach Westen gerichtet, Bilder von Gaza kontrastieren Fotos von Israel, Leben versus Tod, Momentaufnahmen aus der gewalttätigen Geschichte der Beziehungen zwischen Israel und Gaza, Momentaufnahmen der katastrophalen Gegenwart.

Während seiner zahlreichen Streifzüge durch das Gebiet der Nova-Party fielen Ickowicz Metallstücke auf, die keine eindeutige Form hatten und Fragen aufwarfen. Gespräche mit Archäologen, die zur Suche nach menschlichen Überresten an den Ort gerufen wurden, ergaben, dass diese Objekte Teile geschmolzener Fahrzeuge waren.

Offenbar verwendeten die Hamas-Terroristen leicht entflammbare Substanzen, die in der Lage waren, ein ganzes Autochassis auf die Größe eines handtellergroßen Gegenstandes zu schmelzen. Ickowicz fotografierte diese Gegenstände in seinem Tel Aviver Studio, die Art seiner Aufnahmen erinnert stark an forensische Fotografie.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Ein Teil eines geschmolzenen Autos

Ob die Videoarbeit Field oder seine Schwarz-Weiß-Serie „Hideout“ (Unterschlupf), beide Serien haben etwas gemeinsam: den Gegensatz aus Konkretem und Abstraktem. Ickowicz‘ Fotografien machen die Desorientierung und Verletzlichkeit im geografischen Raum deutlich, spürbar. Die Metall-Objekte sind Beweisstücke und Zeugen der unfassbaren Gewalt, die den Ort überwältigte.

Der Künstler und Fotograf Gaston Zvi Ickowicz wurde 1974 in Buenos Aires geboren. Als Sechsjähriger wanderte er 1980 nach Israel ein, schloss sein Fotografiestudium an der Musrara-Fakultät für Fotografie (1997–2000) und ein weiterführendes Kunststudium an der Bezalel-Akademie für Kunst und Design (2009) mit Auszeichnung ab.

Werke von ihm befinden sich in ständigen Sammlungen des Tel Aviver Kunstmuseums, des Haifaer Kunstmuseums, des Jerusalemer „Museum of the Seam“ und im Kunstmuseum von Aschdod sowie in privaten Sammlungen. Er arbeitet hauptsächlich mit Video und Fotografie und konzentriert sich auf die Interaktion zwischen Menschen und Landschaft in einem soziopolitischen Kontext.

Sich der Realität mit ihrer Komplexität nähern

Ickowicz sagt über seinen dokumentarischen Ansatz: „Ich betrachte den fotografischen Akt als Möglichkeit, mich der Realität mit all ihrer Komplexität mit einem höheren Grad an Präzision zu nähern. In diesem Kontext fungiert die vermittelnde Präsenz der Kamera als eine Art Index, der die Möglichkeit einer direkteren Beobachtung der Realität bietet.“

Der Unterschied zwischen „Landschaft“ und „Ort“ sowie die Interaktion zwischen Menschen und Landschaft in einem soziopolitischen Kontext sind seit vielen Jahren die Haupthemen Ickowicz‘. Seine Arbeit untersucht die Beziehungen zwischen diesen beiden Konzepten sowie ihr Potenzial, sich je nach ihrer Definition als solche und der Perspektive, aus der sie betrachtet werden, zu verändern. Der Künstler setzt sich mit Fragen auseinander, wie der fotografische Akt eine Landschaft, die nur als statisches Bild betrachtet werden kann, in einen Ort mit dynamischer Qualität verwandeln kann. Dieser Akt ermöglicht es ihm, verschiedene Komponenten der Identität der Landschaft zu untersuchen.

Ickowicz fängt Anblicke und Spuren ein, die nach unterschiedlichen Ereignissen zurückbleiben, ob ein erloschenes Lagerfeuer oder ein verkohltes Feld, das im Zuge eines militärischen Bombardements abgebrannt ist, eine Lawine in der Wüste oder Steine, die als Straßensperre aufgehäuft wurden. Seine Dokumentation von Spuren verschiedener Prozesse und Ereignisse, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, zielt darauf ab, Definitionen von Erinnerung, Geschichte und Kultur zu erforschen, wie sie durch die von der Kamera erfassten Zeichen offenbart werden.

Die Reisen, auf denen Bilder aufgenommen werden, beziehen sich auch auf einen allgemeineren existenziellen Zustand, der eine Suche nach Wurzeln und einem Gefühl der Zugehörigkeit beinhaltet. In diesem Kontext wird der Begriff der Zeit erweitert: Unweigerlich wird die Gegenwart oder das „Hier und Jetzt“, das in diesen Werken festgehalten ist, in Bezug auf eine chronologische Achse betrachtet, die zugleich die Vergangenheit widerspiegelt.

Ort einer schmerzhaften Wahrheit

Die Ausstellung präsentiert ein „Feld“, das nicht nur ein physischer Raum ist, sondern auch der Ort einer schmerzhaften Wahrheit, die in der Landschaft anwesend ist und einen anderen Blickwinkel auf die innere und äußere Realität bietet. Über viele Nachrichtenkanäle flimmerten nach dem Hamas-Angriff unzählige brutale und kaum ertragbare Aufnahmen über die Bildschirme.

Gaston Zvi Ickowicz nähert sich in seinen im Jerusalemer Israel-Museum ausgestellten Fotografien und Videos mit einem ruhigen fotografischen Blick behutsam dem tief verwundeten Raum des Supernova-Festivals und den Relikten der grauenhaften Ereignisse vom 7. Oktober 2023. Die bemerkenswerte Aussagekraft seiner Fotografien liegt in den Dingen, die er uns nicht zeigt, dem, was außerhalb des räumlichen und zeitlichen Rahmens bleibt.

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