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Siedlergewalt? Ein Pionier nimmt Stellung

Schon vor dem Krieg beschäftigte Gewalt israelischer Siedler immer mehr internationale Medien. Mit Kriegsausbruch hat sich die Lage verschärft. Was sagt ein Siedler selbst zu dem heiklen Thema? Ein Ortsbesuch in Elon Moreh, Samaria
Von Israelnetz

Benny Katzover sitzt in der Siedlung Elon Moreh vor einer atemberaubenden Kulisse: Hinter ihm erstreckt sich ein biblisches Panorama auf die Berge Garisim und Ebal; in dem Tal dazwischen liegt die palästinensische Stadt Nablus, das biblische Schechem (Sichem). Katzover, hagere Statur, blaues Hemd, kann darüber begeistert erzählen: Hier wurde das jüdische Volk eingesetzt, sagt er, als es mit Josua ins Land kam. Es ist historisch und geographisch das Herz von „Eretz Israel“.

Gerade aber rührt Katzover in seinem Kaffee, neigt den Kopf etwas zur Seite und hat ein leicht gequältes Lächeln auf dem Gesicht. Wir sprechen über ein unangenehmes Thema: „Siedlergewalt“. Für viele ist schon der Begriff ein Reizwort, weil es Siedler als solche in Zusammenhang mit Gewalt bringt – Siedler, wie auch Katzover einer ist. Der 77-Jährige hat sich als Pionier der ersten Stunde einen Namen gemacht, gehörte zu den frühen Siedlern in Hebron und trieb anschließend die Bewegung in Samaria, dem nördlichen Westjordanland, voran.

Hier wählten 86 Prozent Ben-Gvir

„Dieser Radikale?“, fragt eine Israelin später, als wir in Jerusalem erzählen, wen wir getroffen haben. Nicht nur Katzover gilt vielen als Radikaler, sondern die ganze Ortschaft Elon Moreh: Bei den Knesset-Wahlen im November 2022 votierten hier etwa 86 Prozent für den Religiösen Zionismus – das Bündnis des heutigen, innerhalb Israels und international heiß umstrittenen Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir und des Finanzministers Bezalel Smotritsch.

Für viele ist das eine einfache Gleichung: Ben-Gvir gleich radikal und radikal gleich Gewalt. Katzover wirkt alles andere als radikal. Man spürt ihm die Liebe für das Land und seine Geschichte ab. Er erzählt ruhig und sachlich. Und nach einem kurzen, nur unterschwellig angedeuteten Seufzer nimmt er ausführlich zum Thema „Siedlergewalt“ Stellung.

„Sie beschädigen den Ruf des Staates“

Katzover leugnet das Phänomen nicht. Und dass er die Gewalt ablehnt, ist für ihn keine Frage: „Sie schaden uns und tun Dinge, die nicht richtig sind. Sie beschädigen sowohl das Siedlungsprojekt als auch den Ruf des Staates“, sagt er, der in den 1980er und frühen 1990er Jahren dem Regionalrat von Samaria vorstand. Zugleich betont Katzover, dass es sich um eine kleine Minderheit handle.

Dass international die Aufmerksamkeit für das Thema enorm zugenommen hat, interpretiert er so: Die Welt begegne Israel „mal wieder“ mit der typischen Doppelmoral. Ist es nur das? Ist das Problem nicht tatsächlich größer geworden? Die linke israelische Organisation „Jesch Din“ behauptete zu Jahresbeginn, 2023 sei das Jahr mit der meisten und schwersten Siedlergewalt gewesen, seit sie das Thema 2006 in den Blick genommen hat.

Eine exakte, objektive Einordnung ist wie so oft in diesem Konflikt schwierig. An anderer Stelle erzählt aber auch ein nationalreligiöser Polizist, selber Siedler und in Hebron stationiert, dass er zunehmend mit gewalttätigen Israelis im Westjordanland zu tun hat. Bilder von Siedlern, die etwa palästinensisches Eigentum in Brand stecken, lassen sich nicht leugnen und werden heiß in der israelischen Presse diskutiert.

Jugendliche Problemfälle

Die in der deutschen Presse gängige Erklärung für dieses Phänomen lautet: Die seit Dezember 2022 im Amt befindliche rechte israelische Regierung habe den Siedlern so etwas wie einen Freifahrtschein ausgestellt. Dass mit Itamar Ben-Gvir jemand Sicherheitsminister ist, der jedenfalls ursprünglich der rechtsradikalen kahanistischen Denkströmung entstammt, gebe Gewalttätern das Gefühl, Oberwasser zu haben und machen zu können, was sie wollen.

Selten hingegen hört man eine Binnenperspektive wie die von Katzover. Angesprochen auf Gewalttäter der sogenannten Hügeljugend – jugendliche Israelis, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Hügel des Westjordanlands für israelische Besiedlung zu erobern – holt er aus: „Das ist eine Art von Jugendlichen, die es in der ganzen Welt gibt. Sie bringen in der Schule schlechte Leistung, wollen keine Verantwortung übernehmen, erkennen die Lehrer nicht an, niemand zeigt ihnen, wo es lang geht.“

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Demnach wäre es nicht anders als mit deutschen Jugendlichen, die unter verkorksten Lebensumständen in den Linksextremismus, Rechtsextremismus oder auch Islamismus abgleiten und schließlich den Sinn ihres Lebens in der Gewalt suchen: „Ein Teil von ihnen findet seine Bestimmung dann draußen, indem sie mit Schafen und Ziegen arbeiten, und teilweise eben auch in Form von Gewalt“, führt Katzover mit Blick auf gewalttätige Siedler der Hügeljugend aus, von denen ihm selbst einige bekannt sind. So werden dann auch die israelischen Sicherheitskräfte, Armee und Polizei, häufig zu einem Feindbild.

Unrecht gegenüber Siedlern?

Katzover verurteilt ihr Verhalten. Und zeigt dennoch ein wenig Verständnis. Die Hügeljugend sehe viel Unrecht, sagt er: Wenn Araber sich im Westjordanland Land aneigneten, dann tue niemand irgendetwas dagegen. Tatsächlich ist das illegale arabische Bauen in der Zone C, also den gemäß der Osloer Abkommen voll unter israelischer Kontrolle stehenden Teilen des Westjordanlands, unter nationalreligiösen Israelis ein großes Thema: Die rechte israelische Organisation Regavim registrierte 2022 81.317 illegale arabische und 4.382 illegale jüdische Bauten. 

„Vielleicht gegen 100 oder 200 der arabischen Bauten geht die Regierung vor“, sagt Katzover. „Wenn aber die Hügeljugend auf die Hügel steigt, kommt wegen des internationalen Drucks die ganze Armee; man schlägt sie, zerrt sie weg, zerstört ihre Bauten.“ Diese Ungerechtigkeit trage zur Radikalisierung bei, gerade bei Jugendlichen: „Die machen sich keine komplexen Gedanken“, sagt Katzover: „Sondern es wächst in ihnen langsam das Gefühl: Es gibt keine Gerechtigkeit, wir können uns nicht auf unsere Regierung, auf unsere Armee und nicht auf die Polizei verlassen – also lasst es uns selbst in die Hand nehmen!“

„Freude ist die stärkste Waffe“

Tut Katzover etwas dagegen? Wenn solche Jugendliche zu seinen Führungen auf dem Berg Kabir bei Elon Moreh kommen, versuche er ihnen zu erklären: „Wenn ihr Steine werft, wird lediglich über die Steine berichtet – nicht aber über das, worum es euch eigentlich geht.“ Katzover ist überzeugt, man dürfe den Hügeljugendlichen nicht mit Gewalt begegnen, sondern mit Bildung und mit Liebe. Dann seien auch deutliche Ergebnisse zu sehen: „70 bis 80 Prozent gehen schließlich in die Armee, die zunächst noch etwas sehr Negatives für sie war.“

Katzover erinnert sich an seine eigene Zeit zurück, an den „Kampf um Samaria“, wie er es nennt: „Wir führten diesen ganzen Kampf fast ausschließlich, ohne die Hand gegen andere zu erheben oder Schaden anzurichten.“ So habe es auch schon Rabbiner Zvi Jehuda Kook, der große Kopf der Siedlerbewegung „Gusch Emunim“, verlangt, sagt Katzover: „Was haben wir stattdessen getan? Wir haben gesungen. Singen bedeutet Freude. Und Freude ist eine viel stärkere Waffe als jede andere Waffe.“ 

Von: Merle Hofer/Sandro Serafin

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12 Antworten

  1. Siedlergewalt schadet Israel. Keine Frage. Benny Katzover: „Es handelt sich um eine kleine Minderheit“. So ist das.

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  2. Danke für den Bericht. Benny Katzover ist ein wichtiges Beispiel für die Tradition der Siedler.
    Es muss aufhören, dass alle Siedler unter Generalverdacht gestellt werden, wir müssen für ein besseres Verständnis für Israel und die Jüdischen Siedler kämpfen.
    Gott will, dass Sein Volk zurückkehrt in das Land, in dem Milch und Honig fließt.
    Pals, Hamas, Hisbollah, UNRWA, ARD u. ZDF, linke und rechte Deutsche sind dagegen, wir müssen immer an die symbolische Steinschleuder glauben, die es geben wird.
    Danach kann sich die Welt erquicken an Israel und die Verheißung für Sein Volk. Die Zeit wird kommen,
    dass Katzover als Pionier für die neue Zeit gelten wird.

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  3. @AlbertNola
    „Es handelt sich um eine kleine Minderheit“ wirklich? Dann rechnen wir mal nach bei 700.000 (Illegalen IGH) wählen 86 % den lieben Ben. Das sind 600.000 die hinter einem Ultra Rechten stehen…. Herr Smotrich kommt nicht mal zu Geltung, obwohl das dann die restlichen Wähler seien müssen. Bei 10 Mio. Menschen ist das nicht unerheblich.
    Und jetzt stellt man sich mal vor ein Palästinenser macht umgekehrt die aussage das Hamas nur ein klitzekleiner Teil ist und praktisch nicht auffällt. Das wäre genauso einfühlsam, wie ihre Aussage!

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    1. Komplett irre, sorry,

      Wie viele Palästinenser haben denn die Hamas gewählt? Aber das ist wahrscheinlich etwas anders.

      Nur falls es Ihnen entgangen werden sollen, war das rechte und linke (einschl. musl. Parteien) Lager fast gleich auf. Was soll die Manipulation, die Sie hier versuchen?

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    2. @Ludovico
      und doch ist es so, dass die se Gewalt von der Regierung zum großen Teil bekämpft wird. Wohingegen Gewalt, die von arab. Bewohnern gegenüber den jüdischen Mitbewohnern von Seiten der PA überhaupt nicht verfolgt wird. Da spielen die von Ihnen genannten Zahlen, wieviele illegalen Siedler (laut IGH) überhaupt keine Rolle. Hier geht es darum, wer verfolgt solche Straftaten überhaupt und wie wird im Vorfeld schon mit diesen gewaltbereiten, meist, Jugendlichen umgegangen. Es wird eben nicht weiter zur Gewalt aufgerufen, sondern, so wie es Benny Katzover berichtet, zu einer friedlichen Einigung bzw. Koexistenz. In unseren Medien hören wir selten davon, das es Strafverfolgung gegenüber den „radikalen“ Siedlern gibt. Und ich höre bis jetzt nicht, dass die PA Tötungsverbrechen gegenüber Juden von Seiten der arab. Bewohner verfolgt. Im Gegenteil, es wird mit unseren Steuergeldern honoriert. Dorthin fließen unsere Hilfsgelder. Nicht in die Erziehung zum Frieden, nein zum Hass gegen alles Jüdische.
      Und trotzdem bleibt es eine Minderheit innerhalb der Siedlerbewegung. Diese Minderheit übt gegenüber den anderen Siedlern keine Gewalt aus, immer nach dem Motto: wenn ihr nicht mitmacht, seid ihr tot. Das macht aber die Minderheit Hamas in den von Israel damals geräumten Gebiet Gaza. Und dort haben auch gut 70% die Hamas gewählt. Ob freiwillig oder nicht, geht aus der Statistik nicht hervor.

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  4. Warum sollten Juden nicht in der Westbank (oder wie diese sagen in Judäa oder Samaria) siedeln. Vor 1948 lebten dort ja auch Juden. Natürlich werden, so ist zu sehen und so soll es auch sein, die israelischen Gerichte hoffentlich mit Konsequenz gegen Gewalttäter vorgehen. Nicht jeder der Siedler hat im übrigen meine Sympathie. Da kommen auch viele radikale z.B. aus den USA ins Land. Über die Israel ‚Berichterstattung‘ hierzulande wurde bereits alles gesagt.

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  5. M.
    Ich vermute, man rechnet zu wenig mit Gott. Wenn er Israel Land geben will wird er es tun. Das ginge vermutlich ohne israelische Gewalt. Ist natürlich Glaubenssache. (Auch die deutsche Wiedervereinigung war Gottes Handeln, oder?).

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  6. Mir gefällt, dass Benny Katzover das Singen erwähnt! Singen und Bildung anstatt Gewalt.
    Danke für den guten Bericht!
    Lasst uns singen und Gott die Ehre geben!

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  7. Sie alle werden sich die Augen reiben, wenn Israel in seinen biblischen Grenzen von Gott beschützt wohnen wird. Auf diese Zeit freue ich mich.

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  8. Es waren Siedler vor der Gründung des Staates Israel – so genannte Zionisten – die von Konrad Adenauer finanziell unterstützt wurden in einem katholischen Projekt, dass den Juden das Recht zugestand in Israel zu siedeln. Das vergessen nur reichlich viele Deutsche und Europäer? – Gewalt ist nie gut, jedoch sind die Araber oft verlogen und kämpfen mit doppelter (UN)Moral und die einzigen, die langfristig darunter leiden sind die Juden in Israel! *AM ISRAEL CHAI * SHALOM!

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  9. Ich kann die radikalen Siedler verstehen. Ständig kommt ein Palästinenser und will den Juden ihr vererbtes Land wegnehmen. Da würde mir auch die Hutschnur platzen.

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