In 1. Mose 12,1 heißt es: „Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ Dieser Vers hat Sara Klatt zum Titel ihres Romans inspiriert: „Das Land, das ich dir zeigen will“.
Mit der Formulierung endet die Parallele zum Bibelvers aber auch schon. Im Buch zeigt die Ich-Erzählerin den Lesern zwar geographisch in etwa das Land, das in der Abraham-Geschichte gemeint ist. Doch die Schwerpunkte sind völlig anders – sie liegen auf Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen. Um Gott geht es in dem Roman nicht.
Eine kontinuierliche Erzählung hat der Leser nicht zu erwarten. Der autofiktionale Roman besteht eher aus Streiflichtern, was durchaus reizvoll ist. Viele Figuren kommen vor, zudem gibt es Rückblenden. Da fällt es mitunter schwer, den Überblick zu bewahren. Auch wäre es interessant, zu erfahren, wie die eine oder andere Streiflicht-Geschichte weiterging.
Die Hauptfigur S. ist wie die Autorin in Hamburg aufgewachsen. Derzeit lebt die Protagonistin in Tel Aviv, wo sie in einem verwahrlosten Archiv arbeitet. Davon kann sie kaum leben. Deshalb hat sie außerdem Jobs in einer Bar und einem Nachtclub in Jerusalem, wohin sie einmal in der Woche fährt. Die Nächte verbringt sie in einem „Dienstzimmer“ über dem Nachtclub, oder auch mal bei einem Mann, den sie gerade erst kennengelernt hat.
Ihr Großvater hat die Schoa überlebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog er nach Israel, kehrte aber nach ein paar Jahren nach Deutschland zurück. Er ist nicht ihr leiblicher Großvater. Trotz der indirekten Verwandtschaft war die Protagonistin früh mit gegen ihre Familie gerichtetem Antisemitismus konfrontiert. Ein Psychologe diagnostiziert bei ihr einen „transgenerationalen Konflikt“.
Facettenreiche Bekanntschaft
In Israel hat sie eine bunte Schar von Bekannten und Freunden, von denen die meisten eher eine kaputte Existenz führen: Drogen, nicht funktionierende Beziehungen und Identitätsprobleme kommen häufig vor. Ihr Tel Aviver Mitbewohner ist ein Schauspieler, der mit dem wirklichen Leben nicht zurechtkommt.
Sie begegnet ultra-orthodoxen Juden, die sich regelmäßig heimlich in die Partyszene von Jerusalem begeben. Auch der Beduine Abdullah gehört zu ihrem Bekanntenkreis – ebenso wie der Siedler Rafi, dem der Beduine, wie S. anmerkt, zum Verwechseln ähnlich sieht.
Ein großes Thema ist das Vagabundenleben, was dann doch wieder einen Bezug zum biblischen Nomaden Abraham herstellt. Die Protagonistin S. hat ihren Namen, der nie ausgeschrieben wird, von einem Roma-Mädchen. Ihr Großvater reiste einst in der Welt herum. Sie selbst lebt zwischen zwei Ländern, und in Israel trampt sie zwischen zwei Städten hin und her. Dazu passen dann auch die Streiflicht-Geschichten, die nicht zu Ende geführt werden. Beim Trampen lernt sie Menschen mit den unterschiedlichsten politischen Ansichten kennen.
Humor trotz ernster Themen
Das Buch, das schwere Themen wie die Schoa und den israelisch-palästinensischen Konflikt behandelt, zeichnet sich durch Humor aus. So schreibt sie, nachdem ihr Mitbewohner Aviv eine Katze angefahren hat: „Wir bringen die Katze zum Tierarzt. Der Tierarzt ist ein alter Mann, Dr. Weizman heißt er, sein Vater war ein Jude aus Österreich, und das doppelte N in seinem Namen ist auf dem Weg von Europa nach Israel verloren gegangen, da es im Hebräischen kein doppeltes N gibt.“
Zu einem Musiker namens Ido merkt die Autorin an: „Wenn er raucht, sieht er aus wie James Dean. Wenn er nicht raucht, sieht er auch aus wie James Dean, aber erst auf den zweiten Blick.“
Zwei Mohammads und die „Heimattraurigkeit“
Einmal stellt die Ich-Erzählerin sich vor, zwei ihrer Bekannten würden sich treffen. Sie heißen beide Mohammad, der israelisch-arabische DJ nennt sich Mo und vermisst seine jüdische Ex-Freundin, der palästinensische Neurologe lebt in Hebron. Bei einer Begegnung „würden sie wahrscheinlich feststellen, dass sie irgendetwas gemeinsam haben. Vielleicht auch nicht“.
Eine Gemeinsamkeit wäre die „Heimattraurigkeit“, auch sie ist ein Motiv in dem Roman: „Denn Heimat liegt zerstückelt um sie herum, fliegt in ihren Köpfen herum, als Utopie, als Trugbild, als fremdbestimmtes Joch, von innen, von außen und von überall sonst. Ihre Heimattraurigkeit hat eine lange Tradition.“ Eine Depression ist es nicht, und kein Medikament hilft dagegen.
Hier merkt Klatt an, dass die Urgroßväter der beiden Mohammads unter osmanischer Besatzung geboren wurden, ihre Großväter unter britischer, ihre Väter unter jordanischer und sie selbst unter israelischer Besatzung. „Mo sagt, die nächste Besatzung wird womöglich eine palästinensische sein.“
S. kommt dann auf die Idee, Mohammad zum Geburtstag in seinem Krankenhaus zu besuchen. Mit ihrem deutschen Pass ist ihr das möglich. Für ihren Besuch kauft sie in Tel Aviv eine Traube roter Luftballons und trampt nach Jerusalem. Dann geht die Fahrt mit zwei Minibussen weiter nach Hebron – über den Checkpoint. Dabei ist sie sich nicht sicher, ob sie und die Ballons „ohne Kollateralschaden“ ankommen werden.
Vor dem 7. Oktober geschrieben
Das Buch entstand vor dem Terrormassaker der Hamas: „Das Land, das ich in meinem Buch zeigen wollte, befindet sich inzwischen im Krieg. Es ist eine neue Realität, eine, die meine Vorstellungskraft sprengt“, schreibt die Autorin dazu. „Dieser Roman, er handelt davon nicht. Er ist vor dem 7. Oktober begonnen und abgeschlossen, er ist das Zeitdokument der Realität eines verwundeten Landes, ohne die neuen Narben dieser Tage. ‚Das Land, das ich dir zeigen will‘ handelt von dem Dazwischen.“
Es handelt auch vom Dazwischen, was die verschiedenen Menschengruppen in Israel und den palästinensischen Gebieten angeht. Manchmal treffen sie direkt aufeinander, viel öfter trifft S. einen von ihnen. Und so präsentiert sie dem Leser in einem spannenden, aber mitunter schwer nachvollziehbaren Roman das Land, das sie ihm zeigen will.
Sara Klatt, „Das Land, das ich dir zeigen will“, Penguin, 400 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-328-60331-3
2 Antworten
Die Beschreibung dieses Buches mutet nicht an, es zu kaufen, es scheint mir zu konfus. Ich lese auch nicht so gerne Bücher, die in Ich-Form geschrieben sind.
Hingegen hatte ich mir das Buch von Eline Rosenhart: Mein Land, mein Leben! gekauft und es war sehr interessant und blieb tagelang im Gedächtnis.
Das Buch ist super. Hab es gerne gelesen.