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Der Oberste Gerichtshof in Israel

Der israelische Architekt Ram Karmi und seine Schwester Ada Karmi-Melamede haben mit ihrem Entwurf des Obersten Gerichtsgebäudes in Jerusalem eine architektonische Ikone jüdischer Werte geschaffen. Quellen ihrer Inspiration waren das historische Jerusalem, Israels gesellschaftliche Vielfalt und die Bibel.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Vier Monate nach der Unabhängigkeitserklärung formierte sich am 14. September 1948 Israels Oberster Gerichtshof. Seinen Sitz bekam die höchste juristische Instanz im jungen Staat Israel zunächst in angemieteten Räumen im sogenannten „Russischen Viertel“, einem Gebäudekomplex aus dem 19. Jahrhundert. Er beherbergt die Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit, eine imposante russisch-orthodoxe Kirche mit Kuppeltürmen, Ikonen und kunstvollen Goldarbeiten.

In einem ehemaligen Gefängnis zeigt das „Museum of Underground Prisoners“ Exponate über jüdische Widerstandskämpfer, die während der britischen Mandatszeit gefangen genommen wurden. Die provisorische Unterbringung des Obersten Gerichts im Russischen Viertel sollte bis 1992 dauern.

Sechs Jahre zuvor hatte Dorothy de Rothschild (1895–1988) der israelischen Regierung angeboten, mittels ihrer Stiftung „Jad Hanadiv“ ein neues Gebäude für den Obersten Gerichtshof finanziell zu unterstützen. Schon ihr 1957 verstorbener Ehemann James Armand de Rothschild, Sohn des legendären Bankiers Edmond James de Rothschild, hatte dem jüdischen Staat mit seiner Finanzierung des Knesset-Komplexes großzügig beigestanden.

Tradition trifft Moderne

Nach Betreten des Gerichtsgebäudes durch einen unspektakulären Eingang und Passieren der Sicherheitskontrolle führt eine imposante Treppe mit 30 Stufen steil aufwärts. Sie wurde einer typischen Gasse der Altstadt nachempfunden, die rechte Wandseite aus den für Jerusalem typischen grob behauenen Kalksteinquadern verstärkt die Illusion. Einen Kontrast setzt die gegenüberliegende Wand. Sie ist schlicht weiß gehalten: Tradition trifft Moderne.

Am Treppenende empfängt ein großes Panorama-Fenster die Besucher und bietet einen großartigen Ausblick auf die roten Dächer von Nachlaot, ein im 19. Jahrhundert entstandenes pittoresken Stadtviertel. Natürliches Licht und eine großzügige Innen- und Außenansicht symbolisieren Transparenz.

Gerade Linien und Kreise finden sich sowohl auf dem Fußboden als auch in den architektonischen Elementen. Inspiriert hierzu wurde das Architekten-Geschwisterpaar von Psalm 119,137, wo die Gerade sinnbildlich für das Gesetz steht („HERR, du bist gerecht, und deine Urteile sind gerade“), und von Psalm 23,3: „ER führt mich auf Kreisen der Gerechtigkeit um seines Namens willen“. Das Konzept von gerader Linie und Kreis beziehungsweise Halbkreis durchzieht den gesamten Gebäudekomplex.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
In der Bibliothek finden sich neben aktuellen Gesetzbüchern auch Werke der jüdischen Tradition wie der mittelalterliche „Schulchan Aruch“ (der „Gedeckte Tisch“)

Die imposante Bibliothek ist das Herzstück im Gerichtsgebäude. Auf dem Weg dorthin betritt man den inneren Kreis einer Pyramide, deren Form von den Grabmalen des Zacharias und des Absalom inspiriert ist. Beide stehen im Tal Jehoschaphat – etymologisch stammt der Name von dem Verb „schaphat“, auf Deutsch: richten oder regieren, und „jahu“, dem verkürzten Namen des HERRN ­– am Fuße des Ölberges.

Durch runde Öffnungen in der Pyramiden-Spitze fällt Tageslicht ein und zaubert Lichtkreise auf die Wände und den Boden. Auch hier begegnet uns das Konzept von Kreisen für Gerechtigkeit und geraden Linien, als visuelle Metapher für das Gesetz. Die Kreise aus Licht stehen im Gegensatz zu den scharfen Bodenlinien und symbolisieren darüber hinaus Vollkommenheit, Ewigkeit und Gleichheit. Letzteres, das Prinzip der Gleichheit, ist eine demokratische Prämisse vor Gericht.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die Bibliothek ist um die Pyramide angeordnet

Die Bibliothek hat einen halbrunden Grundriss und ist um die Pyramide angeordnet, durch eine Glaswand abgetrennt und doch verbunden. Diese Konzeption verkörpert Gerechtigkeit und Moral. Ihre zentrale Position in unmittelbarer Nähe zu den fünf Gerichtssälen betont die Bedeutung des Buches und des Gesetzes in der jüdischen Kultur und Tradition.

Unser Weg führt uns weiter in das Foyer. Auch hier begegnet uns das gestalterische Konzept aus Kreis und Gerade, aus Alt und Modern, Außen und Innen. Die Mauer aus grob behauenen Steinen ist eine Fortsetzung der Eingangsmauer. In ihr sind fünf Portale eingelassen, es sind die Eingänge zu den Gerichtssälen. Inspirationsquelle ist das Fünfte Buch Mose 16,18: Richter und Aufseher sollst du dir einsetzen in allen deinen Toren, die der HERR, dein Gott, dir nach deinen Stämmen gibt, damit sie das Volk richten mit gerechtem Gericht. (Elberfelder)

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Fünf Portale sind in der Mauer eingelassen

Die dreistufigen Portale sind den Toren antiker öffentlicher Gebäude im Vorderen Orient nachempfunden. Von den Gerichtssälen geht jeweils eine in den Boden eingelassene gerade Linie aus. Auch sie verkörpern Gesetz und Wahrheit und münden jeweils in einer gegenüberliegenden, an einer schlichten weißen Wand halbrund eingelassenen Sitznische, der Gerechtigkeit. Durch runde Deckenöffnungen fällt natürliches Licht auf die Holz-Sitzbänke und zaubert ein sich ständig wechselndes Spiel aus Licht und Schatten.

Der Eingang zu Gerichtssaal Aleph

Die fünf Gerichtssäle sind identisch gestaltet, mit Ausnahme von Gerichtssaal Gimel. Hier lässt sich die Richterbank bei Bedarf erweitern. Als architektonisches Vorbild diente die römische Basilika, zu deutsch „Königshalle“. Sie war ursprünglich ein Profanbau, in dem Gericht gehalten und Handelsgeschäfte betrieben wurden.

Die römische Basilika ist die architektonische Wiege der christlichen Basilika. Auch in den Gerichtssälen fällt durch kreisrunde Deckenöffnungen natürliches Licht ein. Die Säulen zu beiden Seiten deuten zudem eine Trennung von Innen und Außen an. Richter und Anwälte sitzen sich gegenüber, jeweils in einem Halbkreis, zusammen ergeben sie einen Kreis, somit begegnet uns auch hier das Motiv der Gerechtigkeit.

Sitzordnung am Sandhedrin orientiert

Schon der Sanhedrin, der oberste Rat Israels, saß im Halbkreis, wenn er im Tempelbereich, in der Kammer der geschliffenen Steine, dem Lischkat HaGasit,tagte. Das Gebot „Du sollst in allen deinen Toren, die Gott dir gibt, Richter und Beamte einsetzen“ schließt die Verantwortung der Gemeinschaft ein, einen ordnungsgemäß geweihten Sanhedrin zu ernennen. Dies geht der Einsetzung anderer Gerichte voraus.

Der Sanhedrin setzte sich aus 71 Richtern zusammen. Gott hatte Mose befohlen: „Versammle 70 Männer aus den Ältesten Israels zu mir … und bringe sie zum Zelt der Begegnung, damit sie dort mit dir stehen“ (4. Mose 11,16).  Zählt man Mose mit, kommt man auf 71 Mitglieder.

Bei Jesaja 1,26–27 lesen wir im ersten Kapitel: Ich will deine Richter wiederherstellen wie in der ersten ⟨Zeit⟩ und deine Ratgeber wie im Anfang. Danach wird man dich nennen: Stadt der Gerechtigkeit, treue Stadt. Zion wird erlöst werden durch Recht und die, die in ihm umkehren, durch Gerechtigkeit.

Der Richterbank gegenüber schmückt eine Maschrabija die Wand, ein in der traditionellen islamischen Architektur dekoratives Holzgitter, das in Moscheen als Gitterschranke oder auch als Fenstergitter in Wohnhäusern und Palästen seinen Platz hat. Bewusst haben die Architekten in den Gerichtssälen dekorative Elemente der jüdischen, islamischen und christlichen Tradition aufgegriffen.

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Der Weg zum Arkadenhof führt an einem Fenster vorbei, das den Blick auf eine Passage bietet. Sie führt zur Knesset, dem israelischen Parlament. Es ist eine Achse von hoher Symbolkraft, zum einen verbindend, aber auch als Symbol der demokratischen Gewaltenteilung.

Im Arkadenhof sind die Rundbögen denen eines christlichen Kreuzganges nachempfunden, im ersten Stock flankieren Verwaltungsbüros den Gang. In der zweiten Etage liegen die Kanzleien der Richter. Dieser Bereich ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der gepflasterte Boden greift die Kargheit der nahen Wüste auf, das Tor aus drei Bögen ist eine Reminiszenz an die Tore Jerusalems zur Zeit der Römer in Jerusalem.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die Rinne, in dem Fall ohne Wasser

Eine schmale Wasserrinne durchschneidet den Innenhof, im Wasser spiegelt sich der Himmel. Dieser dekorative Entwurf greift Psalm 85,11–13 auf: Gnade und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst. Wahrheit wird sprossen aus der Erde, Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel. Auch wird der HERR das Gute geben, und unser Land wird seinen Ertrag bringen.

Der Oberste Gerichtshof in Jerusalem ist eine Ikone post-moderner Architektur. Sein Leitsatz  lautet: Die Wahrheit ist die Grundlage, das Urteilsvermögen führt zur Gerechtigkeit.

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