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Israelische Gegenwartskunst in tausendjähriger Kaiserstadt

Die Kaiserstadt Goslar hat eine bewegte Geschichte. Doch auch moderne israelische Kunst findet dort ihren Platz.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Nach mehr als einem Jahr und dem barbarischen Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober ein Wiedersehen in Deutschland mit meiner hochbetagten und rund um die Uhr pflegebedürftigen Mutter. Meine schlimmsten Befürchtungen treten nicht ein, Baruch HaSchem! G´tt sei Dank! Sie erkennt mich, als ich aus Israel zu Besuch komme. Als sie meine Stimme vernimmt, laufen Tränen der Erleichterung und Wiedersehensfreude über ihre Wangen.

Pflegenotstand in Deutschland, Kinder oder Verwandte müssen einspringen, so auch meine Schwester und ich, und dies zum wiederholten Male. Wir sind erfahren, denn vor einigen Jahren haben wir über einen längeren Zeitraum bei unserem Vater häusliche Sterbebegleitung geleistet. Es war sein ausdrücklicher Wunsch an uns, in seiner gewohnten Umgebung zu sterben. Wir konnten – mit Unterstützung durch Fachkräfte und Hausarzt – ihm diesen Wunsch erfüllen.

Die berühmte Kaiserstadt Goslar am Harz wurde um das Jahr 920 von König Heinrich I. durch den Zusammenschluss mehrerer Dörfer gegründet und war bereits vor mehr als 1.000 Jahren eine bedeutende Siedlung. Der seit dem Jahre 968 am nahen Rammelsberg betriebene äußerst ergiebige Silberbergbau begründete Goslars Wohlstand.

Es wurde Sitz einer Kaiserpfalz und entwickelte sich bis zum 13. Jahrhundert kontinuierlich zur Stadt weiter. 1290 erlangte Goslar die Reichsunmittelbarkeit, womit sie direkt dem Kaiser unterstand und behielt bis zur Mediatisierung 1802, der Mittelbarmachung, den Status einer selbständigen Reichsstadt im Heiligen Römischen Reich, was sich im Stadtwappen widerspiegelt.

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Heiliges Römisches Reich, seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auch Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, war vom Spätmittelalter bis 1806 die offizielle Bezeichnung für das seit dem 10. Jahrhundert bestehende Herrschaftsgebiet der römisch-deutschen Kaiser. Der Name leitet sich vom Anspruch seiner mittelalterlichen Herrscher ab, Nachfolger der römischen Kaiser der Antike und nach G´ttes heiligem Willen die universalen, weltlichen Oberhäupter der Christenheit zu sein, somit im Rang über allen anderen Königen Europas zu stehen.

Inspiration für Gelände auf dem Ölberg

Die Kaiserpfalz in Goslar ist der besterhaltene Profanbau des 11. Jahrhunderts in Deutschland und gilt als größter Profanbau seiner Zeit. Er diente insbesondere den Salierkaisern als bevorzugte Aufenthaltsstätte. Hier wurde auch, unter freiem Himmel, Recht gesprochen. Kaiser Wilhelm II und seine Gemahlin Auguste Victoria ließen sich beim Entwurf zum Auguste-Victoria-Gelände, gelegen hoch oben auf dem Jerusalemer Ölberg, von der Goslarer Kaiserpfalz inspirieren.

Die historische Altstadt von Goslar mit ihren über 1.500 Fachwerk- und Patrizierhäusern sowie das am südlichen Stadtrand liegende ehemalige Erzbergwerk Rammelsberg zählen seit 1992 unter der Bezeichnung Bergwerk Rammelsberg, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft zu den Weltkulturerbestätten der UNESCO. Gegenwartskunst prominenter Kunstschaffender aus aller Welt setzt in Goslars mittelalterlicher Kulisse starke Kontraste.

Erste Synagoge Anfang des 17. Jahrhunderts

Nach meiner mehrstündigen „Schicht“ im Pflegeheim breche ich zu einem Spaziergang auf. Er führt mich entlang der sogenannten „Judenteiche“, eine Bezeichnung, historisch überliefert für das 18. Jahrhundert. Hinweise darauf, in welcher Beziehung die Teiche zu den jüdischen Bürgern der Stadt standen, die sich im 13. Jahrhundert in Goslar niederließen, 1414 vertrieben wurden und 1530 zurückkehrten, gibt es nicht.

Ein kleiner historischer Exkurs über die Goslarer Juden: Anfang des 17. Jahrhunderts baute die kleine jüdische Gemeinde eine neue Synagoge, die 1780 während des großen Brandes in der Unterstadt abbrannte. Ein Jahr später wurde sie am gleichen Ort, Bäckerstraße 31, wieder aufgebaut, bis sie 1959 der Stadterneuerung weichen musste.

Wo einst die Synagoge stand, steht heute das Pressehaus der „Goslarschen Zeitung“. Ein schlichtes Schild erinnert an die Synagoge. Seit 1933 war die jüdische Bevölkerung von etwa 50 Personen durch Emigration und Sterbefälle auf 20 im März 1939 geschrumpft. Alle Goslarer Jüdinnen und Juden wurden Opfer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen.

Zurück zu den Teichen: Fest steht, dass die beiden Teiche Überbleibsel von ehemaligen Wassergräben innerhalb der Wallanlagen sind. Zwischen innerer und äußerer Stadtmauer gelegen, schützten sie gemeinsam mit dem künstlich angelegten Erdwall die Stadt vor Angriffen. Im 19. Jahrhundert waren die Judenteiche als kaskadenartig angeordnete Teiche mit Springbrunnen ein beliebtes Ausflugsziel von Spaziergängern im neu angelegten Bürgerpark.

Holzbrücken von einem israelischen Künstler

Mein Blick fällt auf die beiden morschen Holzbrücken, zusammen bilden sie ein Kunstwerk von Dani Karavan. Ihr unaufhaltsamer Verfall symbolisiert nach Ansicht des israelischen Künstlers den Lebenszyklus. 1975 kamen findige Bürger der alten Kaiserstadt auf eine zündende Idee und schufen einen Kaiserring als Auszeichnung für zeitgenössische Künstler, die mit ihren Werken wesentliche Impulse in der Gegenwartskunst setzen.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die zweite der beiden Holzbrücken, die das israelische Kunstwerk in Goslar bilden

Die Liste der bisherigen Kaiserringträger liest sich wie ein „Who is Who“:  Henry Moore, Max Ernst, Victor Vaserely, Joseph Beuys, Günther Uecker, Christo, Anselm Kiefer, Rebecca Horn, Nam June Paik, Gerhard Richter, Cindy Sherman, um nur einige zu nennen. 1996 ehrte die Jury den israelischen Gegenwartskünstler Dani Karavan mit dem Kaiserring. Im selben Jahr verlieh die UNESCO erstmals die Auszeichnung „Künstler des Friedens“, die Ehrung wurde ebenfalls dem Israeli zuteil.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Goslar würdigt den israelischen Künstler

Karavan hat Aufsehen erregende Kunstwerke in aller Welt geschaffen. Der Israeli wurde vor allem als eindrucksvoller Gestalter großformatiger und begehbarer Kunstwerke und Monumente im öffentlichen Raum bekannt. Seine im Geist des Konstruktivismus und der Minimal Art geschaffenen Werke leisten Erinnerungs- und Trauerarbeit. Andere seiner Werke animieren durch die Herausarbeitung städtebaulicher Bezüge zur Reflexion über unsere urbane Wirklichkeit.

Sohn polnisch-jüdischer Einwanderer

Dani Karavan wurde 1930 in Tel Aviv als Sohn polnisch-jüdischer Einwanderer geboren. Zunächst lernte er Zeichenkunst an der renommierten Bezalel-Akademie in Jerusalem, wandte sich dann in Florenz und Paris dem Studium der Malerei zu.

Die Familien seiner Eltern hatten in der Schoa viele Mitglieder verloren. Die Erinnerung der Judenvernichtung war ein wichtiges Thema seiner Arbeiten. In Deutschland ist Karavan unter anderem für das Mahnmal für den Völkermord der Nationalsozialisten an 500.000 Sinti und Roma bekannt, dass 2012 in Berlin eingeweiht wurde.

In Nürnberg, dem Ort, wo am 15. September 1935 die „Nürnberger Gesetze“, auch „Arier-Gesetze“, verabschiedet worden waren und somit die Legitimationsgrundlage der Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus, feiert Karavans „Straße der Menschenrechte“ am Germanischen Nationalmuseum den zivilisatorischen Fortschritt.

Kunstwerk zum Grundgesetz

Der Deutsche Bundestag ist in besonderer Weise mit dem Werk des israelischen Künstlers verbunden. Karavans Installation „Grundgesetz 49“ steht inmitten des Berliner Regierungsviertels und ist ein anschauliches Beispiel für seine konzeptionelle sowie intellektuell anspruchsvolle Herangehensweise, bei der sein Werk immer auch in den öffentlichen Raum wirkt.

Im Laufe seines langen Schaffens wurde Dani Karavan vielfach mit Preisen ausgezeichnet, unter den Auszeichnungen sind neben dem Kaiserring der Stadt Goslar auch der Israel-Preis im Jahr 1977 und die Silbermedaille für Plastische Kunst der Französischen Akademie für Architektur. 2014 wurde Karavan zum Ritter der Französischen Ehrenlegion ernannt.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Mehrsprachige Friedensbotschaft

Auch in seiner Heimat Israel schuf Karavan monumentale Landschaftskunstwerke, wie etwa die Grenzskulptur „Weg des Friedens“, beginnend bei Nizana und zulaufend auf die Grenze zu Ägypten. Jede der 100 Sandsteinsäulen – aufgereiht auf eine Länge von drei Kilometern – trägt das Wort Schalom, Frieden, in einer anderen Sprache.

Beeindruckend und gleichermaßen ergreifend sein Negev-Brigadendenkmal bei Be’er Scheva, unter Einheimischen auch „Andarta“ genannt. Das begehbare Monument ist den Palmach-Soldaten gewidmet, die im israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 gefallen sind.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Denkmal für gefallene Palmach-Soldaten

Eine architektonische und akustische Besonderheit, die sich erst auf den zweiten Blick offenbart, birgt der Turm. Karavan hat ihn in Form und Funktion einer Orgelpfeife nachempfunden. Der einfallende Wüstenwind entlockt dem Turm melancholisch-klagende Töne in steter Erinnerung der Toten. Am Rande Tel Avivs im Edith Wolfsohn Park, überblicken die von Karavan geschaffenen Skulpturen auf dem „White Square“ die „Weiße Stadt“.

Karavans vermutlich bekanntestes Werk in seinem Heimatland finden wir in der Knesset, dem israelischen Parlament. Hier gestaltete der Künstler eine massige und gekrümmte Mauer im Plenarsaal. Karavan integrierte in seine Wandgestaltung aus Psalm 122,6 die Worte: „Betet für den Frieden Jerusalems“.

Dani Karavan galt als einer der bedeutendsten Bildhauer unserer Zeit. Er starb am 29. Mai 2021 in seiner Heimatstadt Tel Aviv. Seine Kunst bleibt.

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3 Antworten

  1. Danke für den Bericht. Ein Teil von Goslar, den ich bisher noch nicht kannte.
    Ich war bisher einmal in Goslar zur Besichtigung von Kirchen, das war Mitte der 80er Jahre, von West-Berlin aus, Tagesfahrt.
    Die Jüdische Geschichte der Stadt und die Israelische Gegenwartskunst sind wichtige neue Informationen für mich.
    Viieleicht auch, wenn ich mal wieder nach Goslar fahre…

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  2. Es tut richtig gut, etwas so Positives und Interessantes zu lesen. Das macht Lust, diese Stadt zu besuchen, die ich noch nicht kenne.

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  3. Sollte ich noch einmal nach Israel kommen, werde ich Ausschau nach Karavans Skulpturen halten. Bin überrascht, dass er in der Knesset die Wand gestaltet hat mit einem so wichtigen Psalmwort: „Betet für den Frieden Jerusalems.“ Ob sich die Regierenden daran halten? Bisher habe ich nur gehört, dass es da manchmal ganz schön hitzig zugeht (und man sich anschreit), wobei ich niemandem etwas unterstellen möchte.

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