Suche
Close this search box.

Aufstieg mit israelischem Antrieb

Der amerikanische Chipentwickler Nvidia war im ersten Halbjahr der hellste Stern an der Börse. Entscheidend für diesen Erfolg ist Fachkenntnis aus Israel.
Von Daniel Frick

In den vergangenen Monaten hat der Chipentwickler Nvidia einen sagenhaften Aufstieg an der Börse hingelegt: Seit Ende 2023 schnellte sein Wert in die Höhe. Mitte Juni erreichte er 3,3 Billionen US-Dollar, Nvidia wurde vor Microsoft zum teuersten Unternehmen der Welt. Erst zwei Wochen zuvor hatte es sich den zweiten Platz von Apple geschnappt.

Inzwischen ist Nvidia zwar wieder hinter Microsoft und Apple zurückgefallen. Doch die Entwicklung bleibt eindrucksvoll. Sie ist dem Rummel rund um Künstliche Intelligenz (KI) zu verdanken – und der herausragenden Marktposition, die Nvidia hierbei hat: Künstliche Intelligenz erfordert immense Rechenleistungen. Nvidia bietet seinen Kunden dafür nicht nur die Chips, sondern auch ein erweiterbares Gesamtpaket mit passender Software.

Einen entscheidenden Anteil an diesem Erfolg hat Israel: In den dortigen Forschungszentren ist nicht nur die Halbleiter-Architektur entstanden, mit der Nvidia nun auftrumpft. Israelische Fachkenntnis hat dem amerikanischen Unternehmen nach Einschätzung von Experten überhaupt erst die „Eintrittskarte“ in den KI-Markt beschert.

Für das aktuelle Momentum sorgen insbesondere die beiden angekündigten Chipgenerationen Blackwell und Rubin. Bei einer Präsentation im März betonte Nvidia-Chef Jensen Huang, dass Blackwell nicht nur eine Weiterentwicklung, sondern mit einer Verbesserung um den Faktor 5 bei KI-Berechnungen einen „massiven Leistungssprung“ darstellt.

„Als uns gesagt wurde, dass die Ambitionen des Blackwell-Chips jenseits der Grenzen der Physik liegen, sagten die Ingenieure: ‚Na und?‘“

Nvidia-Chef Huang über das „Wunder“ des in Israel entwickelten Blackwell-Prozessors

Huang, selbst ein Elektroingenieur, sprach dabei von einem „technischen Wunder“. Bei dem Prozessor seien zwei Plättchen, die die Transistoren enthalten, auf einzigartige Weise verbunden und kommunizierten mit ungeahnter Geschwindigkeit. „Als uns gesagt wurde, dass die Ambitionen des Blackwell-Chips jenseits der Grenzen der Physik liegen, sagten die Ingenieure: ‚Na und?‘“

Bei einer anschließenden Fragerunde mit Journalisten vergaß Huang nicht zu erwähnen, wem er diese Entwicklung zu verdanken hat: „Was ich hier gezeigt habe, der Kern des Blackwell-­Prozessors, kommt aus Israel.“

Bekanntlich hat in den vergangenen Monaten nicht nur der Börsenkurs von Nvidia, sondern auch die Stimmung gegen Israel einen steilen Aufstieg erlebt. Unter diesem Blickpunkt hätte es sich Huang auch einfach machen und die israelische Herkunft seines Erfolgs verschweigen können. Doch das Gegenteil ist der Fall: „Wir werden weiter in Israel investieren“, betonte der 61-Jährige. Huang weiß, was er an Israel hat.

Später Eintritt

Dabei ist Nvidia noch nicht lange im Land präsent. Seit Ende der 2000er Jahre war das Unternehmen dort zwar aktiv, indem es etwa in Jungunternehmen investierte. Doch erst im Jahr 2016 entstand das erste Forschungszentrum in Tel Aviv. Dessen Schwerpunkt war von Anfang an Künstliche Intelligenz. Jeff Herbst, damals für die Unternehmensentwicklung zuständig, sagte zu dem Vorstoß: „Nvidia ist ein tiefgehendes Technologieunternehmen, und Israel ein tiefgehendes Technologieland, es passt also perfekt zusammen.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte Huang die Entscheidung gefällt, auf KI zu setzen. Noch Anfang der 2010er Jahre fristete diese Disziplin aufgrund eher bescheidener Ergebnisse, etwa bei der Spracherkennung, eine Randexistenz. Doch dann stellte der kanadische Computerwissenschaftler Alex Krischevski fest, dass sich mit den Grafikkarten künstliche neuronale Netzwerke, also vom Aufbau des Gehirns inspirierte technische Modelle, um ein Vielfaches schneller trainieren lassen als mit normalen Prozessoren. Mit seinem Modell „AlexNet” gewann der damalige Doktorand 2012 einen Wettbewerb für Bilderkennung. Die Ergebnisse waren derart gut, dass sich die Jury fragte, ob er irgendwo gemogelt hatte.

Nvidia: Von Grafikkarten zur Künstlichen Intelligenz

Bis vor kurzem war Nvidia nur Computerspielern ein Begriff: Die Grafikkarten des 1993 gegründeten Unternehmens zauberten 3D-Welten auf die Monitore; mit den Jahren nahmen dabei Detailtiefe und Realitätstreue zu. Möglich wurde dies durch Chips, die spezialisierter sind als der Zentralprozessor eines Computers: Sie teilen die Rechenaufgaben in mehrere Komponenten und erledigen sie parallel. In den vergangenen Jahren zeigte es sich, dass sich dieser Ansatz auch für die rechenintensive Erstellung von KI-Modellen besonders eignet. So wurde der Ende 2022 vorgestellte ChatBot Chat-GPT mithilfe von Nvidia-Chips trainiert.

Durchbrüche wie dieser gaben der Disziplin Auftrieb, sodass sich auch Nvidia verstärkt darauf einließ. Das Forschungszentrum in Israel bestand anfangs aus 20 Mitarbeitern. Inzwischen sind vier Standorte dazugekommen. Mit 3.300 Angestellten ist Israel heute die größte Nvidia-Vertretung außerhalb des Heimatlandes USA. Des Weiteren befinden sich drei Standorte in den umstrittenen Gebieten: In Hebron, Nablus und der palästinensischen Planstadt Rawabi.

Rasante Verbindung

Ein entscheidender Schritt zum Aufstieg erfolgte 2019, als Nvidia den israelischen Netzwerkspezialisten Mellanox für 6,9 Milliarden US-Dollar aufkaufte. Das Unternehmen aus Jokneam Illit am Fuße des Karmel entwickelt die Technik für den schnellen und reibungslosen Austausch vernetzter Rechner in Datenzentren. Das ist ein zentrales Element, da bei der Erstellung von Künstlicher Intelligenz mehrere Recheneinheiten im Verbund arbeiten.

Huang bezeichnete den Kauf von Mellanox rückblickend als „eine der großartigsten strategischen Entscheidungen“, die Nvidia je getroffen habe. Die kombinierte Technik von Nvidia und Mellanox sorgt nicht nur für die hervorragende Marktposition. Sie ermöglicht auch den Bau von Supercomputern wie des „Israel-1“, der im vergangenen Herbst im jüdischen Staat in Betrieb ging.

Huang und Mellanox-Gründer Waldmann verkündeten Ende März 2019 den Kauf von Mellanox durch Nvidia. Huang wird später von „einer der großartigsten Entscheidungen“ für Nvidia sprechen.

Huang ließ es sich auch zum Betriebsstart nicht nehmen, von Israel zu schwärmen: „Israel ist das Zuhause von führenden KI-Forschern und -Entwicklern, die Anwendungen für die nächste KI-Welle erstellen“. Mit „Israel-1“ hätten eine Reihe innovativer Unternehmen in Israel die Möglichkeit, „die Produktivität und das Geschäftsmodell von Unternehmen auf der ganzen Welt zu verändern“.

Talentnutzung mit Risiko

Ein Engagement in Israel ermöglicht jedem Unternehmen den Zugriff auf immenses Talent; es geht aber auch mit Sicherheitsrisiken einher. So hat der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und der anschließende Krieg auch für Nvidia Umstellungen erzwungen: Viele Angestellte mussten als Reservisten zur Armee. Am 15. Oktober sollte eigentlich ein zweitägiger KI-Gipfel in Tel Aviv beginnen, mit rund 2.500 Gästen und Huang als Hauptredner. Angesichts des Kriegsgeschehens sagte das Unternehmen ihn aber ab.

Israel: Das Königreich der Chips

Israel hat in der Halbleiterbranche einen herausragenden Ruf: Der jüdische Staat gilt als „Königreich der Chips“. Bei knapp 10 Millionen Einwohnern tüfteln dort rund 30.000 Ingenieure an dieser Spitzentechnologie. Unternehmen wie Nova oder Camtek stellen zudem Maschinen für die Qualitätskontrolle her, die zu den besten der Welt gehören.

Ein Meilenstein für den Erfolg war das Jahr 1974: Damals siedelte sich Intel in Haifa an. Die Entscheidung zahlte sich aus: Dank der Innovationen aus Israel konnte Intel in den folgenden Jahrzehnten eine dominante Marktposition aufbauen. Das Zentrum entwickelte etwa den Chip, der 1981 im berühmten IBM PC, der zum Industriestandard werden sollte, Verwendung fand. Dieser und weitere Erfolge lockten andere Unternehmen an. Hinzu kommt, dass der Staat Steuererleichterungen zusichert, wenn Unternehmen im Land forschen. Heute betreiben fast alle Chipentwickler von Rang und Namen Zentren in Israel.

Hinzu kam, dass die Terror-Organisation ­Hamas auch einen Mitarbeiter in den Gazastreifen entführt hat. Avinatan Or gehörte zu den Besuchern des Nova-Festivals. Er erreichte weltweite Bekanntheit, weil er auf einem der Entführer-Videos mit seiner Freundin No’a Argamani zu sehen war. Während Argamani jedoch inzwischen freikam, ist das Schicksal von Avinatan unbekannt.

Gegen Ende 2023 hatte Nvidia rund 15 Millionen US-Dollar an Spenden zusammengetragen, die größte Spendensammlung der Unternehmensgeschichte. Die Gelder sollen den vom Konflikt Betroffenen zugute kommen – sowohl den Israelis als auch den Palästinensern, wie Huang betonte. Angestellte aus aller Welt steuerten 5 Millionen US-Dollar bei, das Unternehmen selbst verdoppelte diese Summe nochmal.

Versuch der Integration

Der Hinweis, dass die Gelder auch für die Palästinenser bestimmt sind, ist kein bloßes Zugeständnis an politische Korrektheit. Mellanox hatte schon seit Jahren auch Palästinenser angestellt – im Westjordanland, seit 2016 auch im Gazastreifen. Unternehmensgründer Ejal Waldmann sagte damals, es gehe bei derartigen Anstellungen auch darum, „unsere Nachbarn erfolgreich zu machen“. Er war sich sicher: „Das wird Menschen einander näher bringen.“

Israelnetz Magazin

Dieser Artikel ist in einer Ausgabe des Israelnetz Magazins erschienen. Sie können die Zeitschrift hier kostenlos und unverbindlich bestellen. Gern können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

Umso bitterer ist, dass die Hamas bei dem Terrormassaker auch Waldmanns 24-jährige Tochter Danielle ermordete. Sie war mit ihrem Freund Noam Schai auf dem Nova-Festival. Die letzten Aufnahmen von ihr zeigen sie auf dem Rücksitz eines Autos auf der Flucht vor den Terroristen.

Trotz dieses Verlustes glaubt Waldmann weiterhin an den Frieden. Gegenüber der BBC sagte er, dass ein palästinensischer Staat der Weg dazu sei. Zuerst müssten jedoch diejenigen vernichtet werden, die für das Terrormassaker verantwortlich seien.

Israelische Technik im Alltag

Die Geschichte von Nvidia und seiner Verbindung mit Israel zeigt: Wer KI nutzt, greift mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf israelische Technik zurück. Zumal auch andere Unternehmen, die im KI-Geschäft mitmischen, auf den jüdischen Staat setzen: Konkurrent Intel versucht aktuell, verlorenes Terrain gutzumachen. Die Amerikaner hoffen dabei unter anderem auf Entwicklungen des Chipunternehmens Habana-­Labs, das sie 2019 zugekauft haben.

Der Technologiegigant Apple, der im Juni sein KI-Programm vorstellte, hat sich 2020 entschieden, auf eigene Chips zu setzen. Deren Entwicklung erfolgt unter Leitung des israelisch-­arabischen Christen Johny Srudschi, des Hardware-Chefs bei Apple. Das Unternehmen betreibt drei Forschungszentren in Israel: In Haifa, Herzlia und seit 2022 auch in Jerusalem. Zu den großen Unternehmen mit Chip­entwicklung in Israel gehören zudem Microsoft und Amazon, Samsung und Huawei.

Künstliche Intelligenz kommt mit dem Versprechen, den Arbeits- und Lebensalltag zu vereinfachen. Den Befürwortern eines Israel-­Boykotts macht die Entwicklung das Leben hingegen schwerer: Sollte KI den Alltag so prägen, wie es die Prognosen erahnen lassen, wird es in Zukunft noch aufwändiger, wenn nicht gar unmöglich, einen Bogen um israelische Produkte zu machen.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

8 Antworten

  1. Warum unterstützt Israel mit seiner hochentwickelten Technik nicht die Ukraine in der Verteidigung gegen den verbrecherischen russischen Angriffskrieg ?

    1
  2. Zitat-Beginn: „Als uns gesagt wurde, dass die Ambitionen des Blackwell-Chips jenseits der Grenzen der Physik liegen, sagten die Ingenieure: ‚Na und?‘“ Zitat-Ende

    Dieser Satz hat mich am meisten berührt. Ich bin Physiker und kenne daher die Grenzen der Physik auch in der IT-Hardware. Es ist definitiv ein Wunder und ich finde es klasse, dass Herr Huang dies einerseits so bezeichnet und andererseits sich klar pro-Israel äußert.

    1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen