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Iranische Juden in Israel: „Wir wollen einen Beitrag leisten“

Lior und ihr Mann David betreiben in Jerusalem einen Laden in der Ben-Jehuda-Straße. Sie haben sich erst in Israel kennengelernt, sind aber beide im Iran geboren.
Von Carmen Shamsianpur

Die Kinder von Lior und David gehören zu den ganz wenigen in Israel geborenen Kindern iranischstämmiger Eltern, die noch Persisch sprechen. Im Interview erzählt die Mutter von der Flucht aus dem Iran, dem Leben in Israel und ihrem persönlichen Einsatz nach dem 7. Oktober.

Israelnetz: Lior, wie war für euch das Leben im Iran?

Lior: Vor der Islamischen Revolution lebten sehr viele Juden gut integriert im Iran, ungefähr 200.000. Danach wurde es immer schwieriger. Die meisten Juden haben das Land verlassen. Jetzt sind es vielleicht noch 10.000, darunter auch Cousins und Cousinen von mir. Dafür leben jetzt schätzungsweise 200.000 Juden iranischen Ursprungs in Israel. Die meisten wurden hier geboren, wie unsere vier Kinder.

Unser Leben im Iran war nicht schlecht. Aber ich denke, der Wunsch, nach Israel zu kommen, schlummert in jedem Juden. Woanders kommen wir nie richtig an. Wir sitzen immer auf gepackten Koffern, auch wenn es keinen Antisemitismus gibt. Wir sind erst wirklich vollständig, wenn wir im Land unserer Vorväter sind. Tief innen drin geht es uns allen so. Das denke ich zumindest. Davids Familie handelte im Iran mit Antiquitäten. Sie besaß zwei Geschäfte und war wohlhabend.

Wie kamen eure Familien nach Israel?

Sehr unterschiedlich. Mein Bruder und ich konnten mit unseren regulären Pässen einreisen. Er floh 1997, bevor er ins iranische Militär einberufen wurde. Das ist für viele iranische junge Juden der Zeitpunkt, das Land zu verlassen. Ich folgte ihm 2001.

David kam schon 1989. Die Islamische Republik gab nach der Revolution 1979 erst nach und nach Pässe an die Bevölkerung aus. David hatte keinen. Seine Flucht war schwer und abenteuerlich. Er war versteckt in Geländewägen, LKWs und zu Fuß viele Tage unterwegs, bis er nach Pakistan kam. Die Schlepper nahmen ihm alles ab, was er bei sich hatte, darunter Wertgegenstände und Gold, mit dem er sich in Israel ein neues Leben aufbauen wollte.

Davids Vater war im Iran zurückgeblieben. Er wollte in Ruhe die Geschäfte verkaufen und irgendwann später nachkommen. Da er einen Pass besaß, besuchte er einmal seinen Sohn in Israel. In dieser Zeit verständigten ihn seine Nachbarn darüber, dass sein Aufenthaltsort bekannt geworden war. Der Staat beschlagnahmte seine Geschäfte, sein Haus und sein gesamtes Vermögen. Er konnte nie wieder zurückkehren.

Zu unseren Verwandten, die noch im Iran leben, haben wir sehr wenig Kontakt. Denn sie haben Angst. Sie können dort leben, aber Israel ist die rote Linie. Manche Juden sitzen im Gefängnis, weil sie über Umwege Israel besucht haben. Ein offener Kontakt ist ausgeschlossen. Wir können nicht einmal über eine normale Leitung telefonieren. Es ist nur über Messengerdienste wie Telegram möglich.

Wie habt ihr euch in Israel ein Leben aufgebaut?

In Israel begann Davids Vater seine neue Existenz mit dem Transport von Obst. Später kaufte er den Laden für Judaika, Schmuck und Souvenirs in der Ben-Jehuda-Straße 15, den wir jetzt weiterführen.

2003 haben David und ich uns kennengelernt und schnell geheiratet. Mittlerweile haben wir vier Kinder. Jede Mutter in Israel sieht ihr Kind schon in der Schwangerschaft als Soldat. Es ist nicht einfach. Als ich mein erstes Baby in den Armen hielt, dachte ich: „Bis er groß ist, haben wir hier Frieden erreicht.“ Jetzt ist er 19 Jahre alt und im Krieg. Meine 17-jährige Tochter beginnt ihren Armeedienst nächstes Jahr. Die anderen beiden Kinder sind 14 und 7 Jahre alt.

Andere Israelis wundern sich manchmal, dass wir Persisch sprechen. Es ist ja die Sprache des Feindes. Aber sie finden das eher interessant als befremdlich. Sie wissen, dass viele Iraner Juden und auch Israel mögen. Nur die iranische Regierung nicht. Aus der iranischen Bevölkerung bekommen wir viel Zuspruch, dass wir den Krieg gewinnen sollen.

Wie habt ihr den 7. Oktober erlebt?

Der 7. Oktober war ein Schabbat und außerdem Simchat Tora. Wir waren in der Synagoge, als in Jerusalem der erste Alarm losging. Den haben wir alle ignoriert und für eine Übung gehalten. Kurz darauf folgte der zweite Alarm. Die Synagoge hatte keinen Bunker. Deswegen suchten wir in der Nachbarschaft Schutz. Einige der jungen Leute hatten ihre Smartphones bei sich. So erfuhren wir, was passiert war.

Aber nach neun Monaten Krieg kann ich es immer noch nicht fassen. Was am 7. Oktober begann, war kein Krieg. Krieg hat Regeln. Schlafende Kinder in ihren Betten zu massakrieren, ist kein Krieg. Und dass immer noch so viele Geiseln in Gefangenschaft sind – es ist nicht zu fassen.

Meine Tochter, die nächstes Jahr Militärdienst leisten muss, will das von ganzem Herzen. Wer es vorher nicht wollte, will es jetzt. Wir müssen uns verteidigen. Meiner Meinung nach hätte die Armee von Anfang an viel härter vorgehen müssen. Dann wären wir jetzt weiter. Auch für die Menschen in Gaza wäre das besser gewesen, so hart es klingt. Leider haben wir in Israel jetzt keine Einheit, sonst wären unsere Geiseln schon zu Hause und der Krieg zu Ende.

Wie geht ihr jetzt mit der Situation um?

Wir müssen sehr viel arbeiten. Das Geschäft fing nach zwei Jahren Pandemie gerade wieder an zu laufen. Wir hatten uns mit anderen Jobs über Wasser gehalten und der Staat hat uns damals unterstützt. Jetzt im Krieg gibt es keine Unterstützung, auch wenn kaum Touristen kommen. Ich muss aber sagen: Diejenigen, die jetzt trotzdem kommen: denen merkt man an, dass sie helfen wollen. Ich denke, wenn der Krieg vorbei ist, werden viele kommen. Wir halten solange durch und betreiben seit einiger Zeit einen Onlineshop zusätzlich.

Uns geht es doch gut. Anders als den Soldaten in Gaza. Sie setzen ihr Leben aufs Spiel. Wir haben viele junge Leute gesehen, die sich am 7. Oktober sofort auf den Weg machten, noch bevor sie als Soldaten einberufen wurden. Sie hatten gar nichts bei sich – keine Zahnbürste, keine Wechselklamotten.

Ihr helft bei der Versorgung der Soldaten. Kannst du davon erzählen?

Wir haben angefangen, für die Soldaten zu kochen und Dinge einzukaufen. Am Anfang war es ein kleiner Dienst. Wir wohnen im Jerusalemer Stadtteil Pisgat Se’ev, umgeben von Arabern. In den ersten zwei Monaten nach dem 7. Oktober trauten wir uns kaum aus dem Haus.

Im zweiten Monat fingen ich und meine Nachbarin an, in größerem Stil für die Soldaten zu kochen. Zweimal in der Woche bringen wir rund 200 Portionen iranisches Essen in den Gazastreifen. Die Soldaten mögen es sehr. Sie essen sonst nur aus Konserven, Bohnen und so. Wir bringen auch selbstgemachte Süßigkeiten zu den Verwundeten in die Krankenhäuser. So wissen sie, dass wir sie nicht vergessen.

Uns selbst gibt es ein gutes Gefühl, nicht passiv zu sein. Wir können ihnen etwas zurückgeben. Jeder tut, was er kann. Manche Nachbarn unterstützen uns mit Geld. So konnten wir auch Decken und Ventilatoren liefern. Ansonsten bezahlen wir das Essen, die Kühlboxen und so weiter selbst. Wir sind überzeugt, dass es sich lohnt, für Israel einen Beitrag zu leisten.

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12 Antworten

  1. Danke für den Bericht, Mögen Lior und David noch bessere Zeiten erleben als heute !
    Wie schön war die Zeit VOR 1979, als es noch kein Mullah-Regime gab im Iran !
    Wie schön war die Zeit VOR dem 7.Oktober 2023, es ist nun alles trübe !
    Ich hoffe, dass wir alle einen Schabbat erleben können, der friedlich ist.
    Die Zeit heute ist finster.

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    1. Nein, der Schah war nicht ’schön‘. Der Schah (und die Mullahs)waren das Ergebnis des vom Westen initiierten Staatssstreichs gegen Mossadegh.

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  2. Die Mullahs sind nicht der ganze Iran. Eines Tages könnte es vielleicht wieder wie früher werden.Daran sollte mensch auch denken. Guter Artikel.

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  3. Es ist doch sehr bezeichnend, dass iranische Juden aus dem Iran fliehen und in dem kleinen umkämpften, aber demokratischen Israel leben wollen. Wer will schon in einem Land mit einer der gefährlichsten Schlange der Welt leben? Wenn sie könnten, würden noch viel mehr Iraner woanders leben wollen. Ich wünsche der Familie alles Gute in Israel.🇮🇱🇮🇱

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  4. Der Tag wird kommen – Inch’allah- an dem die Mullahs zum Teufel gejagt werden. Je früher desto besser. Die Iraner haben Besseres verdient, der Rest der Welt auch.

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  5. Der Wunsch, nach Israel zu kommen, schlummert in jedem Juden. Woanders kommen wir nie richtig an… Wir sind erst vollständig, wenn wir im Land unsrer Vorväter sind. “ Aus dem Artickel zitiert“.Die Hatikva die ja in der Diasporazeit gedichtet wurde ,sagt dasselbe aus. Auch der Abschluss der Sederfeier, Nächstes Jahr in Jerusalem. Das ist die jüdische Seele, und woanders haben sie keine wahre Heimat. Ihr Dilemma ist, dass ihnen der Besitz ihres landes von allen möglichen Ländern Organisationen Religionen ( Islam,auch christliche Strömungen) abgesprochen wird. Das wurde ihnen von Gott so ins Herz gelegt und sie können gar nicht anders. Das ist aber auch die Hoffnung für sie, denn DER,DER Ihnen diese Hoffnung gegeben hat, wird sie nicht entdeuschen.“ ER wird alle gegebenen Zusagen auch einlösen.“

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