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Neutrale Oase im Niemandsland

Viele Prominente haben bereits das American Colony Hotel in Jerusalem besucht. Es geht auf ein christliches Ehepaar zurück.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Das legendäre American Colony Hotel liegt an der Nahtstelle zwischen Ost- und Westjerusalem. Es beherbergt Einheimische, Gäste, Delegationen und Filmteams aus aller Welt in arabischem Ambiente mit modernem Komfort. Die Amerikanische Kolonie war stets ein Ort der Begegnung, auch in Kriegszeiten – und ist es bis heute. Eine besondere Rolle kommt Zimmer 16 zu. Doch dazu später mehr.

Im Rezeptionsbereich tragen kleine Schilder die Namen prominenter Gäste, die bereits im American Colony logiert haben. Unter ihnen sind Lawrence von Arabien, Lord Allenby, Sir Winston Churchill, Marc Chagall, Graham Greene, Bob Dylan, Sting, Richard Gere, Nathalie Portman, Joan Baez, John Le Carré, Leon Uris, Peter O’Toole, Robert De Niro, Giorgio Armani, Carl Bernstein und Michail Gorbatschow.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer

Auch Gertrud Bell – eine wagemutige britische Forschungsreisende –, geboren 1868 in England, gestorben 1926 in Bagdad, weilte auf ihren ausgedehnten Reisen im Nahen Osten im American Colony Hotel. Bell, sie sprach fließend Arabisch, war mit Lawrence von Arabien befreundet und maßgeblich an der Gründung des Irak beteiligt.

Geschichte beginnt mit einer Katastrophe

Die wechselvolle Geschichte des legendären Hotels reicht bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. Sie beginnt mit einer Katastrophe. Das verheerende Feuer, das Chicago 1871 verwüstete, löste eine Reihe von Ereignissen aus, die Horatio Spafford und seine junge norwegische Frau Anna nach Jerusalem führten – und schließlich zur Gründung des American Colony Hotel.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Zwei arabische Wachmänner vor dem Hotel im Gespräch

Bei Ausbruch des Feuers lebte das Ehepaar Spafford mit seinen vier kleinen Mädchen in Lake View, einem Vorort von Chicago. Als gläubige Christen engagierten sich Horatio und Anna in ihrer Gemeinde und weit darüber hinaus, um in Not geratenen Familien zu unterstützen, das schlimmste Leid zu lindern. Nach zwei Jahren unermüdlichen Einsatzes körperlich und emotional völlig ausgebrannt, entschied sich das Ehepaar, nach Europa zu reisen, um sich fernab der Heimat von den Strapazen zu erholen.

Doch Horatio war im letzten Moment geschäftlich verhindert, Anna setzte die Reise mit den Töchtern an Bord des Luxusliners SS Ville du Havre ohne ihren Ehemann fort. Nachts kam es zur Katastrophe: Ein britisches Segelschiff kollidierte am 22. November mit dem Luxus-Dampfer, die SS Ville du Havre sank innerhalb nur weniger Minuten. Anna wurde bewusstlos auf einem schwimmenden Mast gerettet, ihre Töchter aber waren qualvoll ertrunken.

„Du hast eine Aufgabe zu erfüllen“

Als Anna vor seelischem Schmerz über den Tod ihrer Kinder schrie, vernahm sie eine Stimme: „Es gibt einen Grund, warum du gerettet wurdest, denn du hast eine Aufgabe zu erfüllen.“ Die Vorstellung, dass ein Weg für sie gewählt worden war, wurde für Anna Spafford zu einer lebenslangen Überzeugung.

Von Cardiff aus telegrafierte sie ihrem Mann die schreckliche Nachricht: „Allein gerettet“. Horatio ging sofort an Bord eines Schiffes, um seine Frau nach Hause zu bringen. Während der Heimreise wurde er in die Kapitänskajüte gerufen, wo ihn der Schiffskapitän mit den Worten empfing: „Es wurde eine sorgfältige Berechnung durchgeführt und ich glaube, wir passieren jetzt die Stelle, an der die SS Ville du Havre Schiffbruch erlitt.“

In tiefer Trauer und Verzweiflung über den Verlust all seiner Töchter schrieb Horatio die ergreifenden Worte des Kirchenliedes „It is Well with my Soul“ (Mir ist wohl in dem Herrn). Bis heute spendet es Trauernden Trost. Der deutsche Titel lautet: „Wenn Friede mit Gott meine Seele durchdringt“.

Zurück in Chicago versuchte das junge Paar, sich ein neues Leben aufzubauen. Die Geburt eines Sohnes und einer weiteren Tochter spendeten ihnen etwas Trost und Zuversicht. Doch 1880 starb der kleine Junge an Scharlach. Ein weiterer schmerzhafter Verlust eines geliebten Kindes.

Schwindender Rückhalt in der Gemeinde

Die Gemeinde deutete die Reihe von Tragödien als G´ttes Strafe für ihre Sünden, sie wandte sich von Horatio und Anna ab. Einigen Gemeindemitgliedern ging dies zu weit, sie sympathisierten mit dem Ehepaar Spafford. Gemeinsam gründeten sie eine neue christliche Gruppe.

Das verbindende Band war die tiefe Überzeugung, man könne die Sünde überwinden, müsse dazu aber wie die ersten Christen leben, auch, da die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorstehe. Die Erwartung der nahen Wiederkehr Jesu veranlasste die Gruppe schließlich, nach Jerusalem überzusiedeln, um in der Heiligen Stadt den Tag des Jüngsten Gerichts zu erwarten. Am 17. August 1881 stach die 16-köpfige Gruppe in See.

„Die Amerikaner“

Die Neuankömmlinge mieteten ein Haus in der Jerusalemer Altstadt, in unmittelbarer Nähe zum Damaskustor. Die Gruppe, seinerzeit unter den Einheimischen schlicht als „Die Amerikaner“ bekannt, wuchs stetig und beträchtlich.

Zur Verwunderung ihres Umfelds missionierten diese Amerikaner nicht und besuchten auch keine Kirchen. Vielmehr lebten die Neuankömmlinge als Kommune, widmeten ihre Zeit dem Gebet und der karitativen Arbeit und suchten Kontakt zu ihren Mitmenschen – über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg.

Sie strebten auch nach Beziehungen zu lokaler Prominenz, wie etwa Elieser Ben-Yehuda, eine treibende Kraft der Wiederbelebung des Hebräischen als lebendige Sprache, und auf arabischer Seite zu Scheich Ali al-Dhijab vom Beduinenstamm Adwan. Heute würde man es erfolgreiches Networking nennen.

Skepsis und Verleumdungen

Aber es gab auch Skeptiker und Anfeindungen. Gerüchte machten in der Jerusalemer Gesellschaft die Runde, Anna ermutige Mitglieder der Gemeinschaft, sich regelmäßig sexuellen Versuchungen auszusetzen, um ihre Standhaftigkeit zu testen. Die Berichte hinter vorgehaltener Hand über die angeblichen sexuellen Praktiken der „Amerikaner“ uferten aus.

So verstieg sich der amerikanische Konsul Selah Merrill zu der Behauptung, dass in ihrem Haus „freie Liebe“ herrsche und klagte dies als Werk des Teufels an. Merrill, der eine Ausbildung zum kongregationalistischen Pfarrer absolviert hatte, missfielen der Widerstand der Kolonie gegen die Missionarsarbeit sowie ihre abweichenden religiösen Ansichten und Praktiken. Die Stimmung kippte, Feindseligkeit gegenüber den „Amerikanern“ machte sich breit.

Um Rufmord entgegenzuwirken, entschied Horatio, dass er und Anna keine körperliche Beziehung mehr haben sollten. In der Folge wurde der Zölibat zur offiziellen Lebensform der Gruppe erklärt. 1888 starb Horatio Spafford, seine Frau setzte das karitative Werk fort.

Schweden schließen sich den Amerikanern an

Während eines Besuchs in ihrer Heimat Chicago hatte Anna offene Gebetsversammlungen geleitet, an denen einige Mitglieder der schwedischen Gruppe teilnahmen. Inspiriert von Annas spirituellen Feuer und ihrem Bericht über das Leben in Jerusalem, beschlossen viele Mitglieder der Schwedischen Evangelischen Kirche ,ins Heilige Land überzusiedeln und sich den Amerikanern anzuschließen.

Das Haus in der Altstadt wurde zu eng. Die Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Güter ermöglichten der Gemeinschaft den Erwerb des außerhalb der Altstadtmauer gelegenen Anwesens von Rabba Daud Amin Effendi el-Husseini. Er hatte es einst für sich und seine vier Ehefrauen bauen lassen und war 1895 ohne Nachkommen verstorben.

Einst ein Pascha-Palast, sprachen die Jerusalemer nach Bezug durch die Amerikaner und Schweden fortan von der „American Colony“. Heute ist das osmanische architektonische Juwel das American Colony Hotel. Im „Pascha-Zimmer“ hielt El-Husseini während der Osmanischen Herrschaft über das Heilige Land Audienzen, sprach Recht und empfang Gäste.

Eigene Schule gegründet

Die Wohltätigkeit der Ausländer sprach sich unter den Einheimischen schnell herum. Um dem Zustrom auch an Kindern gerecht zu werden, gründeten die Kolonisten eine eigene Schule. Schnell waren die räumlichen Kapazitäten erschöpft und die Gemeinschaft entschied, zwei weitere Häuser zu beziehen, heute das Palmenhaus und das Osthaus.

Die Schweden, sie bildeten mittlerweile die Mehrheit in der Gruppe, leisteten einen großen Beitrag zur wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der Kolonie. Während die Amerikaner größtenteils Städter waren – Anwälte, Geschäftsleute und Ladenbesitzer –, waren unter den Schweden Handwerker und Bauern, die Kühe, Schweine und Hühner züchteten. In der Tischlerei zeigten sie beim Möbelschreinern ihr Geschick, ein erfahrener Schmied beschlug die Pferde der türkischen Kavallerie. Die Schwedinnen spannen, webten und nähten.

Die American Colony unterhielt zudem eine Molkerei, Metzgerei und Bäckerei. Früh morgens strömten die Kinder aus, um die vorbestellten Brotlaibe an Haushalte zu liefern.

Fotografen dokumentierten Reise des Kaisers

Unter den Schweden waren zudem talentierte Fotografen. Als der deutsche Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1898 mit seiner Gemahlin Auguste Victoria Jerusalem besuchte, um am Reformationstag die Erlöserkirche einzuweihen, waren es die schwedischen Fotografen der American Colony, die seine Reise dokumentierten.

Ihre Fotos erregten großes öffentliches Interesse und markierten die Geburtsstunde einer weiteren Geschäftsidee und wichtigen Einnahmequelle der schwedisch-amerikanischen Gemeinschaft: Bebilderte Reisebücher über das Heilige Land entstanden und wurden im eigens dafür eröffneten American Colony Store am Jaffator in der Altstadt an Pilger verkauft. Auch Touristen waren begeisterte Kunden.

Die Fotoabteilung der American Colony spielt eine bedeutsame dokumentarische Rolle bei der Geschichte der Region und in der Geschichte der Fotografie. Ihre Aufnahmen schmücken im Hotel die Wände und Gästezimmer. Interessierte können – nach vorheriger Vereinbarung – weitere historische Fotos im hauseigenen Archiv bestaunen. Originalaufnahmen werden zudem in der „Library of Congress“ in den Vereinigten Staaten aufbewahrt.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Das hauseigene Fotoarchiv

Die Saat für das American Colony Hotel Jerusalem wurde 1902 gelegt. Baron Ustinov, der Großvater des legendären Schauspielers Sir Peter Ustinov, hielt die türkischen Gasthäuser für seine Besucher aus Europa und Amerika für unannehmbar. Auf seiner Suche nach einer adäquaten Unterkunft in Jerusalem entschied sich der Baron für die Amerikanische Kolonie.

Die Mitglieder der Kolonie, nicht sonderlich begeistert von seiner Wahl, wagten nicht zu widersprechen, rückten dicht zusammen und schafften Platz für den Zustrom zukünftiger Gäste. Und noch mehr: Kolonie-Mitglieder führten ausländische Gäste an religiös bedeutsame Stätten.  

Im Sommer 1914 hielt sich eine Gruppe deutscher Studenten in der Kolonie auf, um Englisch zu lernen. Am 2. August erschienen sie wie gewohnt zum Abendessen, am nächsten Morgen aber waren sie verschwunden. In Jaffa hatte ein Schiff auf sie gewartet, um sie ins Vaterland zurückzubringen, wo der Armeedienst auf sie wartete. Am 4. August 1914 fielen deutsche Truppen in das neutrale Belgien und in Luxemburg ein, um von dort nach Frankreich zu gelangen. Daraufhin trat Großbritannien in den Krieg gegen Deutschland ein. Der Erste Weltkrieg begann.

Humanitäre Rolle im Krieg

In den folgenden drei Jahren war Jerusalem vollständig von der Außenwelt abgeschnitten, die Postzustellung wurde eingestellt. Alle arbeitsfähigen Männer osmanischer Nationalität wurden zum Militär eingezogen. Die Amerikanische Kolonie spielte während des Krieges eine wichtige humanitäre Rolle. Denn die hilfsbereite und stets neutrale Gemeinschaft organisierte Suppenküchen und übernahm die Leitung von vier großen Krankenhäusern, in denen sie Verwundete unabhängig ihrer Nationalität und Religionszugehörigkeit pflegte.

Am 9. Dezember 1917 eilte der türkische Gouverneur von Jerusalem – mit ihm unterhielten die Mitglieder der Kolonie während der gesamten Feindseligkeiten eine freundschaftliche Beziehung – zu Anna Spafford und überreichte ihr einen Blumenstrauß mit den Worten: „Ich bin auf dem Weg, die Stadt zu übergeben und ich wollte, dass Sie es als Erste erfahren“. Hastig wurde ein weißes Laken von einem Krankenhausbett gerissen und an einer Stange festgezurrt, um mit ihr als Zeichen der Kapitulation der vorrückenden britischen Armee entgegenzugehen. Diese „Fahne“ befindet sich heute im „Imperial War Museum“ in London.

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Die britische Mandatszeit öffnete Jerusalem für den Westen. Die Amerikanische Kolonie, schon immer ein beliebter Treffpunkt, wurde zum Mittelpunkt vieler gesellschaftlicher Zusammenkünfte und Aktivitäten.

Als Anna Spafford 1923 starb, wurden die profitablen Stores auf die Namen der Ehemänner ihrer Töchter Bertha und Grace, Frederick Vester und John D. Whiting, registriert. Auch ein Großteil des restlichen Eigentums wurde auf sie überschrieben. Andere Mitglieder der Kolonie, allen voran die Schweden, fühlten sich übergangen, als sie diese Transaktion entdeckten. Frederick und John versicherten, dass die Registrierung nur zu Verwaltungszwecken erfolgt sei und alles weiterhin Gemeinschaftsbesitz sei, was nicht alle Mitglieder überzeugte.

Vermögenswerte aufgeteilt

Nach vielen internen Auseinandersetzungen wurden 1930 die Vermögenswerte der Kolonie aufgeteilt. Einige Mitglieder verließen die Gemeinschaft und wurden ausgezahlt. Diejenigen, die bleiben wollten, behielten die Hauptgebäude, die heute das American Colony Hotel bilden.

Auch außerhalb der Kolonie ging es nicht friedlich zu. Der lang schwellende arabisch-israelische Konflikt gipfelte im Israelischen Unabhängigkeitskrieg. Die Flagge des Roten Kreuzes wehte über der Amerikanischen Kolonie, die eine Sammelstelle für Verwundete war. Das osmanische Gebäude erhielt 21 direkte Treffer und ein Mitglied der Kolonie wurde im Kreuzfeuer getötet. Als 1949 der Waffenstillstand unterzeichnet und die Stadt geteilt wurde, fiel die Amerikanische Kolonie auf die jordanische Seite.

Jeremy Berkovitz, Assistenz des Hotel Managements und 1982 von England nach Israel eingewandert, verortet den Standort des American Colony Hotel hingegen in das „Niemandsland“. Jeremy, ein gläubiger Jude, verweist auf Feinheiten bei der sogenannten Grünen Linie: „Wenn wir einen genauen Blick auf den Verlauf der Grünen Linie werfen und die Dicke des verwendeten Stiftes berücksichtigen, ist festzustellen, dass unser Hotel im Niemandsland lag.“

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Jeremy-Berkovits führt-durch-die-archäologische-Sammlung

„Grüne Linie“ ist ein anderer Begriff für die Demarkationslinie aus dem Waffenstillstandsabkommen von 1949. Der Name wird auf die grüne Tinte zurückgeführt, die während der Verhandlungen des Waffenstillstands zur Grenzziehung genutzt wurde. Der einzige Übergang zwischen Ost- und Westjerusalem war das Mandelbaumtor, das seinerzeit nur wenige hundert Meter vom Hotel entfernt lag.

Trotz vereinzelter Kämpfe an der Grenze zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt nahm der Tourismus stetig zu und das Hotelgeschäft florierte. Doch die „Stadt des Friedens“ hat nie lange Frieden erlebt, und der unsichere Waffenstillstand endete abrupt. Schüsse zerrissen die Stille des Morgens des 5. Juni 1967. Der Sechs-Tage-Krieg hatte begonnen.

Da das American Colony Hotel auf dem direkten Weg zum Ölberg liegt, geriet es erneut ins Kreuzfeuer. Das Gebäude erlitt zwei direkte Treffer und wurde durch Granatwerfer und Kleinwaffen schwer beschädigt. Einige Einschüsse sind noch heute im Foyer zu sehen. Im Zuge des Sechs-Tage-Krieges eroberten israelische Soldaten den Ostteil der Stadt.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Einschusslöcher-aus-dem-Sechs-Tage-Krieg

Über die Jahre wurden viele schwierige Gespräche über die Zukunft des Nahen Osten und den israelisch-palästinensischen Konflikt auch im American Colony Hotel geführt. Eine besondere Rolle dabei kommt dabei Zimmer 16 zu.

Einer Version zufolge war ein Treffen im Jahr 1992 in Zimmer 16 der erste Schritt im „Oslo-Prozess“ zwischen Israel und den Palästinensern, der im September 1993 zu dem im Weißen Haus unterzeichneten Abkommen führte. Jasser Arafat sitzt 1992 immer noch in Tunis fest. Er wurde verbannt, weil er den irakischen Diktator Saddam Hussein nach dessen Invasion in Kuwait im Jahr 1990 unterstützt hatte. In Israel werden die Wahlen wahrscheinlich den Likud stürzen und die Arbeitspartei unter Jizchak Rabin und Schimon Peres an die Macht bringen.

Historisches Treffen

Am Freitag, dem 19. Juni 1992, treffen sich vier Personen im Zimmer 16: Terje Rød-Larsen, Leiter einer Organisation mit Verbindungen zur norwegischen Regierung, Jossi Beilin, Protegé von Peres und bald stellvertretender Außenminister Israels und Jair Hirschfeld, ein israelischer Akademiker, der Beziehungen zu lokalen palästinensischen Führern pflegt. Der Vierte im Bunde ist Faisal Husseini, Arafats inoffizieller Mann in Jerusalem und selbst eine einflussreiche Persönlichkeit im Westjordanland.

Es ist nicht das erste Treffen mit Faisal Husseini, einem glühenden palästinensischen Nationalisten, der aber von einer „Zwei-Staaten-Lösung“ spricht und Terrorismus verurteilt. Er spricht fließend Hebräisch, ist der Großneffe des berüchtigten pro-nazistischen Muftis Hadsch Amin al-Husseini. Husseini und Beilin kennen sich seit über einem Jahrzehnt. Er kennt auch Hirschfeld und hat sich mehr als einmal mit Shimon Peres getroffen. Der neue Faktor ist Rød-Larsen, der norwegische Vermittler.

Alle außerhalb des Raumes glauben, der Weg zum Frieden führe ausschließlich über Washington. Rød-Larsens Botschaft an die Gesprächspartner lautet: Norwegen könnte einen diskreten „Hinterkanal“ bereitstellen, nicht um Washington zu umgehen, sondern um es zu ergänzen.

Husseini wurde durch die palästinensische Führung übergangen und durch einen PLO-Mann und Arafats Handlanger ersetzt: Ahmad Qrea, alias Abu Ala. Qrea hatte nie zuvor in seinem Leben einen Israeli getroffen.

Im Januar 1993 eröffneten Israel und die PLO den geheimen Oslo-Kanal. Ahmad Qrea versuchte erfolgreich, Faisal Husseini im Dunkeln zu lassen. Arafat blieb misstrauisch und untergrub Husseinis Autorität. Jeremy Berkovitz zu den geheimen Vorgängen in Zimmer 16:„Es besteht kein Zweifel, dass es eine Reihe von Treffen gab, und es besteht kein Zweifel, dass vieles seinen Weg nach Oslo fand. Wenn es hier in Zimmer 16 des American Colony Hotels bestätigt worden wäre, wäre der Druck der einheimischen arabischen Bevölkerung möglicherweise zu groß gewesen. Deshalb war es klug, es in ein neutrales Land zu verlegen. Wie viel hier besprochen wurde, wissen nur die Beteiligten.“

Hamas-Terrorangriff als Herausforderung

Der barbarische Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 markiert auch eine ungeheure Herausforderung für das American Colony Hotel Management. Denn die Angestellten sind ausschließlich Araber aus Ostjerusalem und der Westbank, Christen und in der Mehrheit Muslime.

Berkovitz erinnert sich an die ersten Tage danach: „Die Mentalität und Neutralität sind wesentliche Merkmale dessen, wer wir sind. Wir tun alles Erdenkliche, dass dies so bleibt“. Er hatte es vorgezogen, die ersten Tage nach dem Terroranschlag im Homeoffice zu arbeiten.

„Ich weiß nicht, was sie denken, und keiner der Mitarbeiter weiß, was ich denke, und ich möchte nicht wissen, was sie denken, und ich möchte auch nicht, dass sie wissen, was ich denke. Ich bin zwei oder drei Tage lang der Arbeit ferngeblieben, weil ich mich unwohl fühlte. Angst hatte ich nicht. Ich wollte von zu Hause arbeiten, was ich oft tue, und sehen, was morgen und übermorgen passieren wird. Vielleicht ist es den Angestellten unangenehm, mich zu sehen. Ich habe mit Guy, dem Schweizer Manager, darüber gesprochen. Es könnte sein, dass sie ihre Meinung außen vorlassen, oder dass sie sie haben, aber verbergen. Es könnte sein – es gibt viele Araber aus Ostkerusalem, die, obwohl sie mit der Situation einverstanden sind, sich sagen, das sei nicht ihr Krieg, und uns sagen: ‚Ich bin wirklich nicht auf der jüdischen Seite, ich bin nicht auf der Hamas-Seite, ich komme nur zur Arbeit. Persönlich kann ich mich nicht einmischen‘.“

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Der Kräutergarten des Hotels

An heißen Tagen spenden Bäume im Innenhof wohltuenden Schatten. Sperlinge baden im Springbrunnen und bringen sich für herunterfallende Essenskrümmel in Position. Eine Gruppe jüdischer Männer mittleren Alters, deutlich an ihren schwarzen Kippot erkennbar, hat das American Colony Hotel für ein Geschäftsessen gewählt. Die arabischen Kellner bedienen zuvorkommend und auf Hebräisch.

„Ich glaube, die Leute werden realistischer. Sie begreifen, dass das American Colony Hotel nicht in Gaza ist, nicht in Ramallah, nicht wirklich in Ostjerusalem“, kommentiert Jeremy die Szene. „Es ist, was es ist: Es ist ein Schweizer Manager, die Kellner sprechen Arabisch, Hebräisch und Englisch, das müssen sie! Gott hat uns den Vorteil und den Nachteil des Vergessens gegeben, aber es ist ein Vorteil, um voranzukommen.“

Heute sind die Besitzer des American Colony Hotels alle Nachkommen der drei schwedischen sowie der amerikanischen Familie Spafford, wobei keiner von ihnen in Israel lebt. Den Geist der Gründer und Gründerinnen führen das schweizerisch-israelische Management und seine arabischen Angestellten fort. Das American Colony Hotel, ein Ambiente, das zu Visionen anregt.

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2 Responses

  1. Danke für diesen sehr informativen Artikel. Er hat mich eigenartig berührt.
    Sehr herausfordernd.
    Wie es wohl weitergehen wird?
    Ich bin dankbar, darauf vertrauen zu dürfen, dass Gott die Kontrolle über alles hat.

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