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Nach erster Solidarität: „Die Gegenbewegung nahm schnell Fahrt auf“

Mit Anfeindungen hat die „Jüdische Allgemeine“ nicht erst seit dem 7. Oktober zu kämpfen. Chefredakteur Engel sieht aber in der Gesellschaft das Bedürfnis nach einer fairen Israel-Berichterstattung.
Von Elisabeth Hausen

HEIDELBERG (inn) – Nicht nur in Israel befinden sich Juden seit dem 7. Oktober in einem Ausnahmezustand, der bis heute anhält. Das sagte der Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“ (JA), Philipp Peyman Engel, am Donnerstagabend bei einem Vortrag in Heidelberg. Auch die Redaktion seiner Wochenzeitung sei davon betroffen.

Engel wurde mit dem jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchana Chefredakteur – nur drei Wochen vor dem Massaker der Hamas in Südisrael und dem Ausbruch des Krieges. Ab dem 7. Oktober sei die Redaktion rund um die Uhr im Einsatz gewesen – erstmals auch am Schabbat. Dafür habe sie sich den halachischen, also von Rabbinern bewilligten Segen geholt, weil es auch um die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung in Deutschland gegangen sei.

Wunde wird jeden Tag wieder aufgerissen

Der Schock habe eine Wunde hinterlassen, die auch die Zeit nicht heile. Denn das sei nur möglich, wenn sie gut versorgt und nicht jeden Tag wieder aufgerissen werde. Und genau das verursachten die antisemitischen Erfahrungen von Juden seit dem 7. Oktober, vor allem an Hochschulen, sagte der Journalist.

Er selbst ist im Ruhrgebiet als Sohn einer persischen Jüdin und eines deutschen Nichtjuden aufgewachsen. Seine Mutter floh vor der islamistischen Revolution von 1979, wie er sie nennt, aus dem Iran nach Deutschland. Ihr Beweggrund: „Der Iran ist kein sicherer Platz für Juden mehr.“ Zudem war sie überzeugt, Deutschland habe aus seiner Vergangenheit gelernt.

Doch nun musste Engel beobachten, dass die Solidarität mit Israel nach dem furchtbarsten Pogrom gegen Juden seit der Schoa bei den meisten nicht allzu lange andauerte. Und „die Gegenbewegung nahm schnell Fahrt auf“. Die Taten der Hamas seien in einen „Kontext“ gestellt und heruntergespielt worden – sowohl in deutschen Medien, als auch in der Politik.

„Warum muss immer Israel schuld sein?“

Dazu hat Engel mehrere Fragen: „Wie kann man ein Quäntchen Verständnis für die Mörderbanden der Hamas haben? Warum muss bei allem, was an Schrecklichem in Nahost passiert, immer Israel schuld sein? Warum kommt die Hamas oder der Islamische Dschihad nur als Objekt vor und nicht als handelndes Subjekt?“ Zudem fragt er: „Haben Juden nicht das Recht, sich gegen Pogrome zu wehren?“

Der JA-Chefredakteur beobachtet bei der Berichterstattung häufig doppelte Standards oder eine Täter-Opfer-Umkehr. Beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine werde – zu Recht – klar gesagt, wer angegriffen habe. Hingegen komme die Hamas als Aggressor oft gar nicht vor.

Foto: Sophia Boldt
„Haben Juden nicht das Recht, sich gegen Pogrome zu wehren?“, fragt Philipp Peyman Engel

Auch sprachliche Unsauberkeiten, die zu falschen Assoziationen führten, prangerte Engel an. So habe die Nachrichtenagentur AFP den israelischen Außenminister Israel Katz (Likud) mit den Worten zitiert, er drohe der Hisbollah mit einem „totalen Krieg“ – was an den nationalsozialistischen Propagandaminister Joseph Goebbels erinnere.

Dabei habe Katz erstens von einem „umfassenden Krieg“ gesprochen. Und zweitens gehe die Drohung von der Hisbollah aus, die seit dem 8. Oktober täglich Israel angreife. An sich hätte die Terrormiliz nach dem Libanonkrieg 2006 von der UNO entwaffnet werden müssen. Stattdessen sei sie „bis an die Zähne hochgerüstet“.

In diesem Zusammenhang wies der Referent darauf hin, dass die meisten deutschen Medien nicht über die 80.000 bis 100.000 israelischen Binnenflüchtlinge berichteten. Das würde in Deutschland etwa 800.000 Evakuierten entsprechen. Die Binnenflüchtlinge lebten seit über acht Monaten in einem Provisorium. Dieses und andere Traumata kämen in der Berichterstattung kaum vor. Als positive Ausnahmen hob Engel die deutsche Ausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sowie „Bild“ und „Welt“ vom Springer-Verlag hervor.

„Demonstrationen sind antisemitisch“

Der Ausnahmezustand, in dem sich die jüdische Gemeinschaft befindet, wird aus seiner Sicht durch antisemitische Anfeindungen aufrecht erhalten. Diese kämen von rechtsextremer, linksextremer und muslimischer Seite. „Dass Juden in diesem Land beleidigt, angespuckt und verprügelt werden, sollte uns zu denken geben“, sagte der 41-Jährige. Besonders gefährlich und vielfach unterschätzt sei die Bedrohung von links und von Muslimen. Gegen Rechtsextremismus werde schon länger demonstriert.

Engel kritisierte auch, dass Demonstrationen etwa an Universitäten als „pro-palästinensisch“ bezeichnet würden. In Wirklichkeit seien sie anti-israelisch und sogar antisemitisch. Der Slogan „From the river to the sea Palestine will be free“ lasse keinen Raum für einen jüdischen Staat zwischen Jordan und Mittelmeer.

Die Anfeindungen gegen die JA-Redaktion haben nach seiner Aussage ebenso zugenommen wie gegen Juden allgemein. Dazu gehörten Drohungen wie „Ich weiß, wo du wohnst“ oder „Wir hacken dir die Hände ab“.

Die Stimme erheben

Engel sprach sich dafür aus, sich nicht wegzuducken, sondern die Stimme zu erheben. Die Printauflage der „Jüdischen Allgemeinen“ sei nach dem 7. Oktober gestiegen, die Online-Zugriffe hätten sich verdoppelt. Das zeige: „Das Bedürfnis nach einer fairen Israel-Berichterstattung ist vorhanden.“ Das „Medium Magazin“ hat den Journalisten in der Kategorie „Chefredaktion national“ als Chefredakteur des Jahres 2023 geehrt – wegen der JA-Berichterstattung nach dem 7. Oktober.

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Auf die Frage, ob die jüdische Gemeinschaft in Deutschland wieder auf gepackten Koffern sitze wie nach dem Zweiten Weltkrieg, beantwortete der Chefredakteur mit einer Gegenfrage: „Warum sollten ausgerechnet wir Juden die Koffer packen – und nicht die, die uns angreifen?“

Er verwies auf die ehemalige israelische Regierungschefin Golda Meir (1898–1978), in deren Amtszeit es ein Problem mit sexuellen Übergriffen gab. Auf die Forderung nach einer Ausgangssperre für Frauen zu deren Schutz habe die Politikerin entgegnet: In dem Fall müsste eigentlich eine Ausgangssperre gegen Männer verhängt werden.

Philipp Peyman Engel hielt den Vortrag über „Berichten im Ausnahmezustand: Der 7. Oktober und seine Folgen“ im Rahmen der Heidelberger Hochschulreden in der Alten Universität. Veranstalter war die Hochschule für Jüdische Studien.

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11 Responses

  1. „Warum muss immer Israel schuld sein?“ Pro-palästinensische Demonstranten an Universitäten geben eine klare Antwort.

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    1. Pro-palästinensische Demonstranten ein schlechter Witz…was sind das für Menschen…Lügen ohne rot zu werden…diese Demonstranten sind Judenhasser durch die Bank…Und alle die dieses hier in Deutschland dulden machen sich schuldig wie im dritten Reich…

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  2. Die Menschen vergessen schnell, zu schnell. Und die pro-palästinensche Propaganda (durch den Iran gefördert) hat auch jetzt wieder die Oberhand. Es sind zu viele Mitläufer, die keine Ahnung haben darüber, wofür die auf die Strasse gehen. Haben keine Ahnung was das bedeutet „Von Fluss bis zum Meer…“. Die ÖRR haben ihre Chance vertan, objektiv über diesen Krieg Israels gegen die Hamas zu berichten – wenn sie es denn je wollten. Und Israel hat kaum Möglichkeiten dagegen zu halten. Je länger der Krieg dauert desto mehr werden auch die Israelhasser. Der Krieg gegen die Hisbollah hat noch gar nicht richtig angefangen. Sollte sich die Konflikt zu einem Krieg wandeln, werden sich wieder (fast) alle die Münder zerreissen über Israels ‚brutales‘ Vorgehen gegen den Libanon. Wir sind es gewohnt, sollten uns aber nicht daran gewöhnen, dass Israel/ Juden weltweit an den Pranger gestellt wird, für etwas, woran sie keine Schuld tragen.

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  3. Ich bin froh und dankbar, daß es die Jüdische Allgemeine und Israelnetz gibt und hoffentlich noch lange weiter geben wird.
    In einer Gesellschaft, die frei und demokratisch sein soll, muss es immer freien Zugang zu Berichten und Nachrichten geben, die andere Mainstreammedien nicht oder nur unzureichend liefern.
    Leider hat die Verbreitung von Falschdarstellungen zur Manipulation der öffentlichen Meinung immer mehr zugenommen.

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    1. Israel heute (Aviel Schneider) informiert auch aus erster Hand. Und Fokus Jerusalem in Bibel-TV jeden Samstag Abend 19.30 Uhr. Postcast von Arye Sharuz Shalicar sehr interessant. Ist natürlich nichts für pro- Pal., denn wie hier kommen damit pro-israelische Menschen zu Wort.

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  4. Gerade unter Christen wünschte ich mir wesentlich mehr klare Positionierung pro Israel. Da wäre schon viel getan. Wir sind zwar eine Minderheit. Aber wenn da mehr Klarheit und konsequente Haltung sichtbar und spürbar würde, wäre das dennoch weder zu überhören noch zu übersehen. Das wäre eine wirksame Kraft gegen Antisemitismus.

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    1. Ja, das wäre wünschenswert, little brother. Stattdessen gibt es so viele lauwarme Christen, Sonntags der Gd (wenn überhaupt), Bibelkenntnis kaum vorhanden, an Israel wenig interessiert. Ich erlebe Gottesdienste zur Ehre der eigenen Gemeinschaft (ist ja schön, der gemeinsame Gesang und musikalische Darbietungen). Aber ein Gd zur Ehre Gottes und wirkliches Wachsen und Liebe zum Nächsten, davon spüre ich oft wenig. Wenn ein Pastor lieber über den Baum predigt, statt jemanden einzuladen, der einen Vortrag über Israel hält, ist man zu wenig informiert um sich klar zu positionieren. Doron Schneider, Rainer Schmidt z.B. halten gute Vorträge.

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  5. Ich vermisse definitiv bei Herrn Engel die glasklare Benennung der Ursachen und Täter für den nicht mehr beherrschbaren öffentlichen Antisemitismus, Gewalt und Hetze in der BRD.

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  6. Warum flutet man Deutschland mit den Feinden Israels…,Philister,Nordafrikaner,Syrer,Afghanen….etc…??? Wo sind die jüdischen Flüchtlinge??? Und in den Medien sprechen die Politiker wir stehen hinter Israel…Werke sagen mehr als Worte…

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