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Die Christuskirche in Jerusalem

Das anglikanische Kirchengebäude in der Jerusalemer Altstadt betont die jüdischen Wurzeln des Christentums. Die Innengestaltung erinnert an eine Synagoge.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Wer die Altstadt Jerusalems durch das Jaffator betritt, steuert auf die Christ Church, die Christuskirche, zu. Sie liegt in unmittelbare Nähe zum Jerusalemer Wahrzeichen, der Davidszitadelle.

Obwohl die Kirche weder aus der byzantinischen Epoche (325–638 nach der Zeitrechnung) noch aus der Zeit des Kreuzfahrerkönigreiches Jerusalem stammt, gegründet im Jahr 1100, ist sie von signifikanter Bedeutung. Sie war die erste Kirche im gesamten Nahen Osten, die weder orthodox noch katholisch war, und in Jerusalem das erste christliche Gotteshaus, das die Gläubigen per Glockenschlag zum Gottesdienst rief.

Fassade sowie Innengestaltung der Christuskirche muten eher wie eine europäische Synagoge an als wie ein christliches Gotteshaus. Der Grundstein wurde 1842 von der „London Society for the Promotion of Jews to Christianity“ gelegt, mit der Intention, Juden und Jüdinnen der christlichen Herde zuzuführen.

Die Christuskirche nimmt zu den Konvertierungs-Absichten wie folgt Stellung:

Sollte es sich bei dem „Missionswerk“ um ein weitreichendes und koordiniertes Bestreben handeln, Juden zum Christentum zu konvertieren, so muss man konstatieren, dass ein solches Bemühen nie existierte. Stattdessen waren es Missionare verschiedener Gruppierungen und Kirchen über die Jahrhunderte hinweg, welche die Frohe Botschaft über Jesus aus Nazareth in der ganzen Welt verkündeten. Aufgrund verschiedener Ideologien und Ansätze arbeiteten diese Gruppierungen meist nicht miteinander. Eine der ersten Organisationen, welche sich der Verbreitung des Frohen Botschaft unter den Juden widmete, war die „London Jews Society“ (Londoner Jüdische Gesellschaft, LIS), 1809 in England gegründet vom jüdisch-christlich Gläubigen Joseph Frey. Es war diese Gesellschaft – heute bekannt unter dem Namen CMJ – welche Christ Church erbaute. CMJ ist eine finanziell unabhängige Organisation unter dem Schirm der anglikanischen Kirche.

Ferner heißt es seitens der Christuskirche: Für gut über 160 Jahre war die Botschaft von Christ Church sowohl an Juden als auch an Heiden adressiert. Es kann mit den Worten Simeons zusammengefasst werden, als er das Baby Jesus im Tempel erblickte: „Die Herrlichkeit Israels und ein Licht für die Heiden“, Lukas 2,35.

Repräsentanten der Christuskirche betonen: Über die Jahre hinweg haben wir die christliche Welt an die jüdische Identität Jesu erinnert und daran, dass es wichtig ist, das Neue Testament vor seinem jüdischen Hintergrund zu verstehen. Diese Haltung spiegelt sich in der Architektur und dem Interieur der Kirche wider.

Kirche zur persönlichen Kapelle des Konsuls erklärt

Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte das Osmanische Reich im Heiligen Land. Die Türken erlaubten den Betrieb der bereits bestehenden Kirchen, aber keine kirchlichen Neubauten. Man griff zu einer List: Die Christuskirche wurde kurzum zur persönlichen Kapelle des britischen Konsuls erklärt, das Gotteshaus an seine Residenz angebaut. Die Wohngebäude für den Klerus wurden um den Kirchhof errichtet.

Ursprünglich hatte die Christuskirche keinen Kirchturm, das Läuten von Kirchenglocken war unter osmanischer Herrschaft verboten. Diese Restriktion sollte sich durch den Krimkrieg (1853–1856) ändern, denn die Türken verschuldeten sich hoch bei den Engländern, standen in ihrer Schuld.

Der Krimkrieg hatte sich am Streit der Religionen darüber entzündet, wer in der Jerusalemer Grabeskirche das Sagen haben sollte. Der russische Zar Nikolaus I. sah sich als Beschützer der orthodoxen Christen und griff im Juli 1853 das Osmanische Reich an. Englische und französische Truppen ergriffen Partei für die Türken und gingen zur Unterstützung der osmanischen Armee auf der Krim an Land. Den Truppen Napoleons III. gelang es, die Russen auf die Festung Sewastopol zurückzudrängen.

Österreich und Sardinien unterstützten ebenfalls das Osmanische Reich, während Preußen neutral blieb. 1856 musste Russland kapitulieren und es kam zu einem Frieden, der in Paris geschlossen wurde. Eine folgenreiche Entwicklung des Krimkriegs waren zunehmende Spannungen zwischen Russland und Österreich, beide Kaiserreiche strebten an. ihren Machtbereich auf dem Balkan zu erweitern. Ein Konflikt, der in die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts münden sollte, den Ersten Weltkrieg.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die Glocke bildete eine Ausnahme im Osmanischen Reich

In Jerusalem profitierten die Anglikaner von der englischen Unterstützung der Osmanen gegen die Russen. Die Türken gestatteten, der Kirche einen schlichten Glockenturm zuzufügen, um die Gläubigen fortan mit Glockenläuten zu rufen. Die Grabeskirche sollte mit einem Glockenturm kurze Zeit später folgen. Als Dritte im Bunde stimmte die Russisch-Orthodoxe Kathedrale in das Jerusalemer Glockenläuten ein.

Ein Hauch von englischer Eleganz

Die Innengestaltung der Christuskirche ist protestantisch schlicht gehalten. Die schweren Kirchenbänke aus Eichenholz wichen beweglichen Stühlen, auch, um mehr Platz für Kirchen-und Gottesdienstbesucher zu schaffen. Ein Hauch von englischer Eleganz findet sich in den gedeckten Farben, schlichten Holzdecken und Holztafeln. Um so intensiver wirken ein kräftig leuchtender Gobelin und in der Apsis die drei Buntglasfenster. Das mittlere von ihnen wurde während eines Kirchenausbaus im Jahr 1910 eingefügt.

Im Zentrum des Fensters ist ein Kelch in Form eines Kreuzes zu sehen: „Der Segenskelch, ist er nicht das Abendmahl im Blut des Messias?“ (1. Korinther 10,16). Darüber findet sich ein hebräischer Schriftzug, er repräsentiert die Dreieinigkeit von Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Die Olivenbäume rechts und links stellen die Lehre des Paulus im Römerbrief über das Geheimnis der Erwählung Israels durch Gott und seine Warnung an die Kirche dar, dem jüdischen Volk gegenüber nicht arrogant zu sein: „Hat Gott sein Volk verworfen? Auf keinen Fall! …. Sie sind geliebt um ihrer Väter willen. Denn die Gaben und die Berufung Gottes sind unwiderruflich“ (Römer 11).

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Links ein Kreuz und rechts eine Menora

Die Zweige enden auf einer Seite in eine Menora, auf der anderen in ein Kreuz. Die Symbole im ältesten Buntglasfenster der Christuskirche über dem Eingang stellen sowohl die menschliche als auch die göttliche Identität Jesu dar: Der integrierte Davidstern erinnert uns daran, dass Jesus seine jüdische Identität beibehält (Offenbarung 5,5). Der abgebildete Weizen und die Trauben weisen darauf hin, dass er für alle menschlichen Bedürfnisse genügt. Ich bin das Brot des Lebens (Johannes 6,35); ich bin der wahre Weinstock (Johannes 15,1).

In der Apsis ziert eine Paneele die Wand. Sie wurde in Anlehnung an einen Aron Kodesch, die „Heilige Lade“ entworfen, die in der Synagoge die Tora-Rolle aufbewahrt. Die Holzvertäfelung ist in vier Felder unterteilt. Die Zehn Gebote sind auf Hebräisch auf den beiden inneren Feldern zu sehen, eingerahmt vom Vater Unser und dem Apostolischem Glaubensbekenntnis, beide ebenfalls auf Hebräisch.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die Paneele ist einem Tora-Schrein nachempfunden

Der vorgelagerte Abendmahltisch ist in drei Teile gegliedert. Am oberen Rand befindet sich die hebräische Inschrift der Worte Jesu: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Darunter in den drei Sprachen, die auf dem Kreuz zu finden sind, Embleme, die die Identität Jesu verkünden. in der Mitte überragt eine Krone den Davidstern, der hebräische Name Immanuel bezieht sich auf die Bibelstelle „darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und wird seinen Namen Immanuel (Gott mit uns) nennen“ (Jesaja 7,14).

Der Davidstern erinnert daran, dass Jesus der „Löwe aus dem Stamm Juda“ bleibt (Offenbarung 5,5). Das lateinische IHS-Monogramm auf der linken Seite steht für Iesus Hominum Salvator – Jesus, der Retter der Menschheit. Zur Rechten befinden sich der erste und der letzte griechische Buchstabe, Alpha und Omega. Sie erinnern an Jesu Verkündigung, dass er ewig ist: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Offenbarung 22,13).

Kirche sollte nicht für Synagoge gehalten werden

Das Kreuz auf dem Haupttisch erinnert an folgendes Ereignis: Am 15. Mai 1948 proklamierte David Ben-Gurion den Staat Israel. Nur wenige Stunden später griffen fünf arabische Armeen Israel an. Im israelischen Unabhängigkeitskrieg konnten die Jordanier die Altstadt von Jerusalem einnehmen.

Die Anglikaner befürchteten, die Jordanier könnten die Christuskirche für eine Synagoge halten. Und tatsächlich forderten die jordanischen Soldaten einen Beweis, woraufhin Pfarrer Hugh Jones zum nahen Suq, dem arabischen Markt in der Altstadt, eilte, um ein Kreuz aus Olivenholz zu kaufen. Er platzierte es demonstrativ auf dem Tisch, wo es bis heute unverrückt steht.

Dänischer Missionar gegen Ritualmordanklage

Hans Nicolajsen, geboren 1803 in Løgumkloster, besser bekannt als John Nicolayson, war ein dänischer Missionar in Palästina für die Londoner Gesellschaft zur Förderung des Christentums unter den Juden. Er war der erste Vertreter der britischen christlichen Mission bei den Juden in Palästina und gehörte zu denjenigen, die gegen die Damaskus-Affäre Einspruch erhoben: Im Jahr 1840 gab es eine Ritualmordanklage gegen in Damaskus lebende Juden. Im ganzen Nahen Osten und Europa kam es zu Ausschreitungen gegen jüdische Gemeinden, das führte zu komplexen diplomatischen Konflikten zwischen europäischen Großmächten.

Die Vorgeschichte zur Damaskus-Affäre: Am 5. Februar 1840 wurden der aus Sardinien stammende Obere eines Kapuzinerklosters in Damaskus, Pater Tomaso, und sein muslimischer Diener von den Ordensbrüdern als vermisst gemeldet. Man ging von einem Mord aus und forderte den zuständigen französischen Konsul Ratti-Meron auf, Jagd auf die Mörder zu machen, die unter den Juden der Stadt vermutet wurden.

Zeugen hatten ausgesagt, Pater Tomaso und seinen Begleiter am Vorabend im jüdischen Viertel gesehen zu haben. Ordensbruder Pater Tusti, ein fanatischer Judenfeind, beschuldigte die Juden, beide Männer ermordet zu haben, da sie ihr Blut für das in sechs Wochen bevorstehende Pessachfest benötigen würden.

Nachfolger gründete Christuskirche

John Nicolayson war der Vorgänger von Bischof Michael Alexander, dem Gründer der Christuskirche in Jerusalem sowie des Protestantischen Friedhofs auf dem Zionsberg.

Im Januar 1842 siedelte der in Deutschland geborene Jude Michael Solomon Alexander nach Jerusalem um und begann seine Arbeit als erster anglikanischer Bischof im Heiligen Land.

Als junger Mann hatte er in England Hebräisch unterrichtet, wo er später zum Rabbiner geweiht wurde. Nach persönlichen Begegnungen mit anglikanischen Geistlichen und der Beschäftigung mit dem Evangelium bekannte sich Alexander 1825 zum Christentum. Nach seiner Ankunft in Jerusalem begann er umgehend mit dem Bau der Christuskirche, um das Evangelium mit Juden und Jüdinnen zu teilen.

Bedingungen in Provinzstadt Jerusalem verbessert

In jenen Jahren war Jerusalem eine unterentwickelte Provinzstadt in einer von der Hohen Pforte vernachlässigten Ecke des Osmanischen Reiches. Bischof Alexander unterstützte großzügig die Armen, verbesserte die hygienischen Bedingungen und errichtete das erste moderne Krankenhaus im Heiligen Land. Nach nur drei Jahren im Amt starb Bischof Michael Alexander unerwartet im Jahr 1845. Die Fertigstellung der Christuskirche erlebte er nicht mehr.

Im Jahr 1842 sprach John Nicolaysen – drei Jahre vor ihrer Fertigstellung – folgendes Gebet für die Christuskirche: „Möge sie zu einem Baum des Lebens heranwachsen, unter dessen Zweigen die Zerstreuten Israels Schutz finden und dessen Früchte zur Heilung der Völker dienen.“ Damit spielte er auf Offenbarung 22,2 an. Nach einem bewegten Leben und etlichen Ortswechseln starb John Nicolayson 1856 in Jerusalem. Sein Grab befindet sich auf dem Protestantischen Friedhof auf dem Zionsberg.

Die Christuskirche mag zunächst unscheinbar wirken und ist für Jerusalemer Verhältnisse jung. Das schmälert nicht ihre faszinierende Geschichte und Bekenntnis. Denn sie ist die einzige Kirche in der Altstadt, die in Liturgie, Symbolen, Innengestaltung und Architektur die jüdischen Wurzeln umfänglich anerkennt und betont.

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6 Antworten

  1. Danke für diesen umfangreichen Bericht. Die Christuskirche ist ein wichtiges Symbol der großartigen Geschichte über diese lange Zeit, auch die Konflikte wurden in diesem Bericht deutlich.
    Das Bekenntnis zu den jüdischen Wurzeln zeigt auf, wie wichtig die Christuskirche in Jerusalem als Wahrzeichen der eingepfroften Zweige ist.
    Mögen alle Besucher/innen von Jerusalem sich auch dieser Kirche Zeit widmen.

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  2. Herzlichen Dank für den Bericht über die Christ Church! Auf unserer Israel Reise im November 2019 haben wir einen messianischen Gottesdienst mit unserer Reisegruppe besucht. Dieses Erlebnis ist für mich unvergesslich weil ich auf der Reise eine geistliche Erweckung erlebt habe und das ist untrennbar mit dem Besuch des Gottesdienstes in der Christ Church verbunden.

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  3. wieso schreibt Ihr „Gott“ nicht aus? Es ist doch nicht der Name Gottes! Auf griechisch ist es „Theos“. Schreibt Ihr dann „T…s“? Hat ein Jude etwas dagegen,, wenn Israelnetz „Gott“ schreibt. Nur mal nachgefragt im Zeitalter der Gendersternchenkorrektheit…

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    1. Da haben Sie recht, sonst schreiben wir auch „Gott“. Danke für den Hinweis, wir haben es geändert.

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    2. Sehr geehrter Herr Ernst,

      als Deutsch-israelische Autorin/Journalistin auch für die Redaktion Israelnetz und Jüdin, schreibe ich in meinen Texten und Reportagen das Wort G´tt nie aus, und dies aus sicher auch Ihnen bekannten Gründen. Natürlich steht es der Redaktion frei, dies beim „Korrekturlesen“ zu ändern und den Lesegewohnheiten der Leserschaft anzupassen.

      Mit freundlichen Grüßen aus Jerusalem.
      Gundula Madeleine Leah Tegtmeyer

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  4. Die Christ Church ist mir sehr vertraut. Viele Gottesdienste habe ich dort mit feiern dürfen.

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